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"Stabilität kann nur von den Betroffenen selbst ausgehen"

Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, glaubt, dass die Anerkennung des Kosovo allein nicht für Stabilität sorgen kann. Wichtig sei es nun, dass sich die Demokratie in Serbien weiter entwickele und ein Abgleiten in den Nationalismus von den Serben selbst verhindert werde.

Moderation: Christiane Kaess | 19.02.2008
    Christiane Kaess: Nur einen Tag nach seiner Unabhängigkeitserklärung ist das Kosovo von mehreren Staaten anerkannt worden. Frankreich, Großbritannien und die USA gehören dazu, am Mittwoch wollen Deutschland und andere EU-Staaten folgen. In Deutschland ist neben dem Beschluss des Bundeskabinetts ein Anerkennungsschreiben von Bundespräsident Horst Köhler an den Präsidenten des Kosovos nötig. Vor wenigen Minuten habe ich mit Gert Weisskirchen gesprochen, er ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Ich hab ihn zuerst gefragt, ob er damit rechnet, dass der Termin des morgigen Mittwochs eingehalten wird.

    Gert Weisskirchen: Es sieht gegenwärtig so aus. Man darf damit rechnen, dass der Bundespräsident das Schreiben so wegschicken wird.

    Christiane Kaess: Herr Weisskirchen, nun wünschen sich alle von dieser Anerkennung Stabilität. Wird diese Stabilität denn durch die Anerkennung kommen?

    Weisskirchen: Die Stabilität kann natürlich nur von den Betroffenen selber ausgehen. Das heißt, die schwierige Lage, die mit dieser schwierigen und schweren Geburt zusammenhängt und die Probleme, die sie auslösen kann, die können nur von den Betroffenen gemäßigt, gebändigt, gedämpft werden. Und das geschieht zuallererst einmal, und ich hoffe doch sehr, in Serbien selbst.

    Kaess: Dennoch wollen einige Länder das Kosovo mit ihrer Anerkennung unterstützen. Aber was ist diese Anerkennung wert, wenn nicht alle Staaten sie nachvollziehen?

    Weisskirchen: Nun, das liegt in den Händen der Staaten selbst. Da kann es keinen Zwang geben, sondern das ist eine freie Entscheidung eines jeden Staates, ob das Kosovo anerkannt wird als eigenständiger, unabhängiger Staat.

    Kaess: Das Kosovo wird ja mit der Blockade Russlands zum Beispiel kein Mitglied internationaler Organisationen wie zum Beispiel der UN werden können. Welche Probleme werden sich denn daraus ergeben?

    Weisskirchen: Das war, glaube ich, eines der Geburtsprobleme dieser schweren Geburt, dass das Kosovo wohl nicht den vollen Rang, jedenfalls in binnen kürzester Zeit, wird erreichen können, wie das im "normalen", in Anführungsstrichen, Nationalstaat der Fall ist. Insoweit wird das Kosovo immer ein behütetes Kind sein. Die Frage ist nur, von wem. Ich hoffe doch, dass die Europäische Union mit ihrer Entscheidung, die Institutionen in Kosovo zu belassen, die es bereits gibt und sogar noch eine neue hinzuzufügen, dass dieses Kind wird dann wachsen können.

    Kaess: Über die Institutionen wollen wir gleich noch sprechen. Aber noch mal zurück zu der Unabhängigkeit. Kann man überhaupt von einer echten Unabhängigkeit sprechen? Sie findet ja, Sie haben es angesprochen, nach wie vor unter der Kontrolle der internationalen Organisationen statt.

    Weisskirchen: Das wird so sein, und das wird ein Wachstumsprozess werden, am Anfang eine ganz geringe Souveränität und später vielleicht eine, auf die es dann gar nicht mehr im alten nationalstaatlichen Sinne ankommt, sondern eine, die innerhalb der Europäischen Union definiert wird. Und dann hoffen wir doch auch alle, dass Serbien dazukommen wird, sodass der gesamte Raum dort sich Schritt für Schritt in eine wirkliche stabile Region entwickelt.

    Kaess: Sie sprechen Serbien an. Die Drohungen von serbischer Seite kamen ja schon lange. Jetzt hat Serbien seinen Botschafter aus Washington abgezogen. Müssen wir denn mit anhaltenden Verstimmungen mit Serbien rechnen?

    Weisskirchen: Genau das ist der schwierigste Teil des Problems, das Sie jetzt ansprechen. Wir müssen jetzt die Signale in die Region verstärken. Das darf keine Sonderbehandlung werden, obwohl es ein ganz besonderer Fall ist. Das Kosovo alleine mag sich dann selber wohlfühlen in diesem schwierigen Wachstumsprozess. Mindestens genauso wichtig, ich würde sogar hinzufügen, wahrscheinlich sogar noch wichtiger für die Region ist, dass die Demokratieentwicklung in Serbien stabil bleibt und dass alle Gefährdungen und Versuchungen, in Nationalismus zurückzufallen, von den Menschen in Serbien selbst zurückgewiesen werden. Das aber kann am besten mit unterstützt werden durch die Kräfte, die wir in der Europäischen Union mobilisieren, um die Demokratie in Serbien auch wirklich von außen stabil mit zu entwickeln.

    Kaess: Kann man denn in diesem Zusammenhang Serbien und dem Kosovo die EU-Perspektive nur gemeinschaftlich anbieten?

    Weisskirchen: Ja, aber das sollte auch verstärkt werden. Ich finde, dass jetzt eine Zeitbeschleunigung einsetzen kann, nach vorne, und hoffentlich nicht zurück in den Nationalismus, sondern nach vorne in die Europäische Union.

    Kaess: Wäre gerade gegenüber Serbien eine einheitliche Haltung der EU-Länder wichtig, die es ja nicht gibt? Einige Länder, wie zum Beispiel Spanien, befürchten einen Dominoeffekt. Die EU hat noch keine gemeinsame Position gefunden. Hat die EU das Problem Kosovo denn zu lange vernachlässigt?

    Weisskirchen: Das ist eine ganz, ganz brisante Frage, weil ich glaube nicht, dass die Europäische Union an diesem Punkt infrage gestellt werden sollte, sondern der wirkliche Zeitbeschleuniger ist jemand ganz anderes auf der anderen Seite des Atlantiks.

    Kaess: Die USA?
    Weisskirchen: Nämlich die USA. Und von daher gesehen, die Europäische Union und das Zögern der Europäischen Union ist in der Tat darauf zurückzuführen, dass wir es ja schließlich sind, wir Europäer, die mit diesem Problem jetzt fertig werden müssen, weil das Kosovo und Serbien liegen nun inmitten Europas. Und es ist gerade deshalb, finde ich, die wirkliche Pflicht der Europäer, jetzt voranzukommen und den gesamten Prozess zu beschleunigen und mitzuhelfen, dass beide, das Kosovo und Serbien, Mitglied, volles Mitglied, der Europäischen Union werden können.

    Kaess: Herr Weisskirchen, werfen Sie den USA vor, die Unabhängigkeit zu früh versprochen zu haben oder in Aussicht gestellt zu haben?

    Weisskirchen: Nun, die USA haben offenbar von Beginn an 1244 genauso verstanden, wie es jetzt realisiert wird. Es gab wohl ein Versprechen der Nationalstaatswerdung von Beginn an. Das kann man auch verstehen, Sie erinnern sich zurück an die Diktatur Milosevic, dass die Kosovaren an nichts anderem mehr festgehalten haben als genau an diesem Zukunftsbild, und das ist nun jetzt eingetreten. Jetzt aber kommt es darauf an, dass das Zukunftsbild der gesamten Region vervollständigt wird, und das Zukunftsbild der gesamten Region, heißt Serbien, muss genauso die gleiche Chance haben, so schnell als möglich Mitglied der Europäischen Union zu werden.

    Kaess: Aber bei der Kritik, die Sie gerade angebracht haben, was wäre denn eine Alternative für ein unabhängiges Kosovo gewesen?

    Weisskirchen: Ja, das ist ja genau, das was Ahtisaari versucht hat auszuloten. Und man musste feststellen nach diesem ganz schmerzhaften Prozess der Überprüfung dieser ganzen heiklen Entwicklungslinien, und das hat Herr Ischinger ja auch noch einmal am Schluss versucht, leider konnte man kein anderes Ergebnis finden. Und manchmal ist es so in der Politik, dass man auch mit dem schwierigsten Ergebnis versuchen muss, schneller voranzukommen. Das ist jetzt der Fall.

    Kaess: Herr Weisskirchen, schauen wir zum Schluss noch kurz auf die EULEX-Mission, die jetzt als größter ziviler Einsatz in der Geschichte der EU startet. Der größte Beitrag kommt aus Deutschland. Hat sich Deutschland hier etwas viel Verantwortung aufgehalst?

    Weisskirchen: Nein. Das hat nun etwas mit der gesamten Konstruktion der Europäischen Union zu tun und zugleich auch damit, dass wir Deutsche sehr genau erkennen und ja auch wissen aus den vergangenen Jahrzehnten, die zurückliegen, im Grunde genommen seit Beginn des Ersten Weltkriegs, diese Region braucht Stabilität. Und wir alle, wir Europäer und wir Deutsche auch, wir haben eine Verpflichtung dazu, dass diese Region genau diese Chance auch selbst von innen heraus erfüllt.

    Kaess: Gerd Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch!

    Weisskirchen: Danke auch!