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Stadt der Toleranz

Als in Europa der Dreißigjährige Glaubenskrieg tobte, gründete Herzog Friedrich III. Friedrichstadt. Um den Handel zu beleben, gab er holländischen Kaufleuten, darunter die verfolgten Remonstranten, ein besonderes Privileg: die Glaubensfreiheit.

Von Conrad Lay | 11.12.2011
    Die private Nord-Ostsee-Bahn hat uns in zwei Stunden von Hamburg zu dem kleinen Bahnhof von Friedrichstadt geführt, wir steigen aus und erreichen in wenigen Schritten die Treene, die ganz in der Nähe in die Eider mündet.

    Eider und Treene sind die beiden größten Flüsse Schleswig-Holsteins. Die Treene führt Süßwasser, das Wasser der Eider ist von der nahen Nordsee bereits salzig. Neben der Schleuse ankert ein größeres Schiff.

    Wir gehen weiter in das Städtchen hinein und wundern uns: Man könnte geradezu annehmen, in Holland gelandet zu sein. Grachten durchziehen die Stadt, sie werden hier Burggräben genannt. Die schmucken Treppen-Giebel der Häuser erinnern an Utrecht oder Amsterdam. Vor den Häusern stehen sog. "Klönsnack-Bänke" und gepflegte Rosenstöcke, als Hochstämme gezogen. Ein hübsches Städtchen mit gerade mal 2500 Einwohnern, ein schmuckes "Holländerstädtchen", viel besucht von Touristen. Doch dieses Friedrichstadt ist mehr: Es ist die "Stadt der Toleranz". Die besondere Lage an der Eidermündung bewegte den schleswigschen Herzog Friedrich III. dazu, hier eine Handelsstadt zu gründen. Christiane Thomsen, die Leiterin des Stadtmuseums, kennt die Hintergründe:

    "Er wollte gerne Niederländer hier ansiedeln, um Steuereinnahmen erwirtschaften zu können, es war nämlich zu der Zeit so, dass die Bauern auf dem Lande ihre Abgaben in Form von Naturalien bezahlten und die Bürger in den Städten bezahlten Steuern in Form von Geld. Und Herzog Friedrich hatte eine recht teure Lebenshaltung, sein Herzogshof verschlang viel Geld, er war nämlich dem Luxus nicht abgeneigt, und importierte sehr viele Luxusgüter aus entfernten Ländern, und das kostete natürlich etwas, und er war ja auch ein Mann der Kunst, ein Mann der Wissenschaft, und das war natürlich auch nicht ganz umsonst zu haben. Und um eben Steuergelder in sein Herzogtum lenken zu können, hatte er die Idee, eine neue Stadt zu gründen."

    Also zu einer Zeit, als in halb Europa der Dreißigjährige Glaubenskrieg tobte, gründete Herzog Friedrich eine religiöse Freistadt. Er musste dafür den holländischen Kaufleuten, die ihm Steuern einbringen sollten, ein besonderes Privileg geben: die Glaubensfreiheit - anfangs war Holländisch sogar die Amtssprache in Friedrichstadt. Die holländischen Glaubensflüchtlinge, die sogenannten Remonstranten, die sich von den Calvinisten abgespalten hatten, setzten sich dafür ein, dass sich andere religiöse Minderheiten hier ansiedeln durften, etwa die Mennoniten. Der Remonstrant Heinrich Mannel berichtet:

    "Man sagt immer, die Remonstranten hatten die Idee und die Mennoniten das Geld bei der Erbauung dieser Stadt. Das kann natürlich sein, es waren auch einige wohlhabende Remonstranten hier dabei, so sind dann Quäker gekommen und polnische Brüder, und dann auch Katholiken, was mitten im Dreißigjährigen Krieg im protestantischen Norden also eine sehr schwierige Sache gewesen ist für den Herzog, aber er wollte eben auch den Handel mit Spanien über sein Herzogtum ziehen, deshalb ist hier die erste katholische Gemeinde nach der Reformation im protestantischen Norden gegründet worden."

    Und nicht nur das, die katholische Gemeinde in Friedrichstadt hat auch eine große Tradition.

    "Sie war nämlich die Gemeinde, in der der deutsche Gottesdienst als erster katholischer Gemeinde eingeführt wurde und in der die weiße Kommunion eingeführt wurde. Das weiß man gar nicht, aber das ist die Gemeinde in Friedrichstadt."

    Bis zu 13 Glaubensgemeinschaften fanden sich bald in Friedrichstadt ein, so entstand hier eine der größten jüdischen Gemeinden Norddeutschlands, zeitweise war sie die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Friedrichstadt. Michael Jordan, Pastor der evangelisch-lutherischen Kirche, freut sich über die gelebte Ökumene: So kommen zu ihm mennonitische Jugendliche in den lutherischen Konfirmandenunterricht, und katholische Gläubige werden auf dem Friedhof der Remonstranten beerdigt:

    "Das finde ich eben ganz spannend, das kann man hier hautnah alles erleben, mit dem jüdischen Vertreter hat man drüber diskutiert, ob man nun von Juden oder Menschen jüdischen Glaubens spricht, oder wie man sie bezeichnet, also wo da die Empfindlichkeiten sind, ob man von Gott spricht, oder wenn man das verschriftlicht, dann machen die Juden ja G'tt, um deutlich zu machen, sie sprechen Gottes Namen nicht aus. Also die Ehrfurcht auch vor dem Namen Gottes kann man da lernen, und das ist der Schatz solcher Begegnungen, da könnte ich von jeder Glaubensgemeinschaft was erzählen, wo wir einfach immer wieder spüren, wie reich doch der Reichtum der Religionen ist, wenn sie sich auf einem friedlichen Weg miteinander befassen. Und das tun wir hier."

    Im Zentrum des Städtchens, auf dem geräumigen Markt, wurde in früheren Jahrzehnten einmal ein Pferdemarkt mit Tausenden von Pferden abgehalten. Den gibt es heute nicht mehr, stattdessen erstreckt sich dort ein grüner Park, daneben steht noch die historische Marktpumpe mit einem gotikähnlichen Brunnenhäuschen. Ringsum sind die Häuser aus kleinen roten Backsteinen gebaut, sogenannte holländische Moppen. Ursprünglich wurden die Gebäude auch nicht nach Straßen und Hausnummern benannt, sondern nach sogenannten Hausmarken, wie sie in Holland in üblich sind. Das sind Reliefs über den Türen, die mal eine Friedenstaube, einen Papagei, einen Schwan, einen Hirsch, einen Himmel darstellen - der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Es hieß also nicht "Am Markt 16", sondern "Haus Sternenhimmel". Vieles gibt es hier am Friedrichstädter Markt zu entdecken, nur eines gibt es nicht: eine Kirche. Denn in der Stadt der religiösen Toleranz sollte keine Glaubensgemeinschaft die andere dominieren.

    Eine große Ausnahme der vielgerühmten Toleranz gibt es allerdings: Das ist die Reichspogromnacht im November 1938. Christiane Thomsen führt uns in die ehemalige Synagoge. Das jüdische Gotteshaus war damals von SA-Leuten aus Husum und Friedrichstadt geschändet worden. Sie rissen alles heraus, was daran erinnerte, dass es sich um eine Synagoge handelte, und machten daraus ein Wohnhaus für einen SS-Mann. Vor zehn Jahren wurde das Gebäude zu einer Kultur- und Gedenkstätte umgewandelt.

    "Man hat sich dann, als man das Gebäude restauriert hat, sich dafür entschieden, es nicht wieder zu rekonstruieren, weil wir das auch gar nicht können. Wir wissen gar nicht, wie's ausgesehen hat, sondern eine ganze moderne Gestaltung hier vorzunehmen, und die Spuren der Geschichte auch im Inneren sichtbar zu machen. Wir haben hier zum Beispiel im Osten ein Loch in der Wand, in dem vorher der Thoraschrein untergebracht war, der ging so absiss-förmig ins Nachbargebäude über. Im Nachbarhaus wohnte der Rabbiner und der hatte also eine runde Wohnzimmerwand. Und an dieser Seite war der Thoraschrein untergebracht, und man hat 1941 einfach diese Absiss abgebrochen, und einfach ein paar Steine runtergemauert, und hat aber den Sturz und paar Balken stehen lassen. Und das haben wir jetzt bei der Restaurierung freigelegt. Und wir haben ein Foto des zerstörten Innenraumes der Synagoge davorgehängt, um eben daran zu erinnern, dass dieses Gebäude 1938 zerstört worden ist."

    Auch die dänische Minderheit hat eine eigene lutherische Gemeinde, der etwa 200 Familien angehören. Ihren Gottesdienst feiern sie in guter ökumenischer Tradition in der Mennonitenkirche. Pastor Victor Greve:

    "Es gibt eigentlich sehr viele Deutsche hier in Friedrichstadt, die sehr gut dänisch reden und verstehen können, und nicht irgendwie in meiner oder unserer Gemeinde Mitglied sind oder bei einem Verein oder so. Das ist ganz komisch. Muss man natürlich aufpassen, dass man nicht irgendwas Doofes auf Dänisch sagt und man glaubt, das versteht keiner, sowieso, da muss man schon aufpassen."

    Doch die große Besonderheit Friedrichstadts sind die holländischen Remonstranten. Mit Heinrich Mannel bin ich vor seiner Kirche verabredet, deren Turm wie ein Vorbild für Hamburgs Michel aussieht. Der Remonstrant hat einen großen Schlüssel mitgebracht.

    Wir betreten die Kirche: Von innen sieht sie mit ihren Stelen wie ein umbauter griechischer Tempel aus. Da sei auch beabsichtigt gewesen, bestätigt Heinrich Mannel, denn das drücke den freisinnigen Geist der Remonstranten aus. Einen Altar gibt es nicht, an seiner Stelle steht an zentraler Stelle die Kanzel:

    "In den reformierten Kirchen ist die Predigt das Wichtigste beim Gottesdienst. Es gibt hier auch keinen Schmuck. Es ist halt eine reformierte Kirche, und es soll nichts vom Wort ablenken."

    Remonstranten kennen kein Dogma, keine Sakramente. In ihrem Glaubensbekenntnis heißt es höchst allgemein:

    "Wir sind uns bewusst und erkennen, dass wir unsere Ruhe nicht finden in der Sicherheit dessen, wozu wir uns bekennen, doch in Verwunderung über das, was uns zufällt und geschenkt wird."

    Wir verlassen die Kirche wieder und treffen zufällig den holländischen Pastor, der einmal im Monat hierher kommt:

    "Hallo!" - "Guten Tag" - "Ich bin Pastor Bowmann, ich komme eben an aus Holland". - "Möchten Sie einen Kaffee?" "Nein, ich muss noch ein bisschen essen."

    Auf holländisch heiße Toleranz "Vertragsamkeit", erzählt Heinrich Mannel, und so trachteten die Remonstranten danach, sich mit den anderen zu vertragen.

    "Im stillen Kämmerlein ganz hinten drin, beneiden die uns ganz sicher auch. Weil wir kein Dogma haben, es wird uns nichts vorgeschrieben, wir haben nicht die strenge Kirchenzucht der Calvinisten."

    Die Toleranz beschränkt sich nicht auf die Historie: Eine muslimische Gemeinde hat der Ort zwar nicht, aber einer von Abschiebung bedrohten, siebenköpfigen, kurdischen Familie gewährte der evangelische Pastor Michael Jordan Kirchenasyl:

    "Ich war vier Wochen hier in dieser Stelle, und über den Besitzer des Dönerladens wurde ich auf diese Familie aufmerksam. Und dann hat sich in der Tat eine Dynamik entwickelt, mit der ich auch nicht gerechnet hatte. Und am Ende stand dann nach langer Prüfung, wie sich das auch gehört, dass wir dieser siebenköpfigen Familie Kirchenasyl gewährt haben. In dieser Zeit haben alle Fraktionen der Stadt durch die Bank, alle Kirchen, dahinter gestanden und haben das unterstützt, da hat sich die Stadt der Toleranz wirklich als Stadt der Toleranz wieder erwiesen, bis hin zum Schluss, als wir hier eine große Demonstration hatten für die Familie, als es ganz hoffnungslos schien, aber am Ende doch noch die Abschiebung verhindert werden konnte in letzter Sekunde."