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Stadtplanung
Fußgänger im Visier der Forschung

In den Städten der Zukunft wird es weniger Platz für Autos geben, um Bussen, Bahnen, Radfahrern und Fußgängern mehr Raum zu geben. In einem Reallabor in Karlsruhe testen Forscher in der Praxis, wie Bürgersteige, Straßen und Wege beschaffen sein müssen, damit sich Fußgänger sicher fühlen.

Von Michael Stang | 09.05.2019
In der Karlsruher Fußgängerzone ermahnt ein Schild Radfahrer, langsam zu fahren
In der Karlsruher Fußgängerzone ermahnt ein Schild Radfahrer, Rücksicht auf Fußgänger zu nehmen. (Michael Stang / Deutschlandradio)
"Wir laufen hier in einer der Fußgängerzonen in Karlsruhe entlang. Das ist die Erbprinzenstraße."
Jochen Eckart interessiert sich für eine Gruppe Verkehrsteilnehmer, die in den vergangenen Jahrzehnten bei der Stadt- und Verkehrsplanung keinen großen Stellenwert genossen hat: Fußgänger.
"Sie sind unter dem Radar verschwunden, sowohl in der Praxis wurden sie immer vernachlässigt, als auch in der Forschung."
Der Verkehrsökologe von der Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft leitet das Reallabor GO Karlsruhe. Dabei entwickeln und erproben Fußgänger und Experten gemeinsam neue Ideen.
"Wir machen das in mehreren Stufen. Die allererste Stufe war gewesen, dass wir am Beginn der Fußgängerzone auf die Fahrbahn gemalt hatten: 'Das ist hier eine Fußgängerzone', um die Radfahrer überhaupt erstmal drauf aufmerksam zu machen. Dann waren jetzt diese Schilder gewesen und jetzt die dritte Stufe wird sein, dass wir so große Anzeigetafeln an den Beginn der Fußgängerzone stellen. Wo wir, wenn viele Fußgänger in der Fußgängerzone sind, die Radfahrer bitten, doch wirklich außen rumzufahren. Wenn hier nicht so viele Fußgänger sind unterwegs sind zu sagen, ja fahrt hier lang, aber bitte vorsichtig."
Per App können Fußgänger Feedback geben
Um mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen, traten die Forscher bei Veranstaltungen auf, führten Umfragen durch und baten Fußgänger um Mithilfe – etwa mit der eigens entwickelten App 'GO Karlsruhe'. Wer sich die Anwendung auf das Smartphone geladen hat, kann vor Ort Mängel melden: Wo es etwa unsicher ist oder dreckig und oder auch die Lieblingsstrecke mit dem Hund eingeben.
"Wir wollen Maßnahmen, die zusammen mit Bürgern entwickelt wurden, ausprobieren und schauen: Welche Wirkung bringen sie? Um danach halt informiert darüber diskutieren zu können: Wollen wir so etwas weiter machen: ja oder nein?"
Ein neuer "Spaß am Gehen" ist das große Ziel. Klaus Eckart und seine Kollegen schauten anfangs, ob und wo es in der Stadt überhaupt Attraktionen wie Geschäfte gibt, die fußläufig gut erreichbar sind. Sind die Wege bequem zu gehen, ist die Strecke attraktiv, schnell und direkt genug? Denn Fußgänger scheuen Umwege.
Verengte Fahrbahnen sorgen für den besseren Überblick
In Absprache mit der Stadt haben die Forscher auch testweise einige Fahrbahnen verengt, damit die Fußgänger besser sehen können und schneller gesehen werden. Einige Strecken wurden mit Videos gefilmt, um zu messen, ob die Fußgänger bestimmte Angebote intuitiv annehmen oder nicht und ob die Testmaßnahmen wirklich eine Verbesserung darstellen.
"Und genau für diesen Abschnitt hatten wir die Rückmeldung bekommen, dass sich durchaus einige Fußgänger dadurch gestört führen, dass hier viele Radfahrer langfahren, schnell langfahren, relativ eng an Leuten vorbeifahren."
Umfragen zeigten zu Eckarts Überraschung, dass Fußgänger sich mehr von Radfahrern als von PKW gestört fühlen: "Deshalb haben wir jetzt hier versucht, eine Kommunikation zwischen Radfahrern und Fußgängern herzustellen."
Der Forscher zeigt auf eine der Anzeigetafeln, die eigens für Radfahrer installiert wurden: "Die messen die Geschwindigkeit der Radfahrer und geben dann eine Rückmeldung."
Fußgänger fühlen sich durch schnelle Radler gestört
Bis zu einer Geschwindigkeit von zwölf Kilometern pro Stunde ist alles in Ordnung – was bei den meisten vorbeifahrenden Radlern allerdings nicht der Fall ist.
"Wenn einer zu schnell fährt, erscheint ein roter Smiley mit der Bitte 'LANGSAM'. Und wenn endlich mal jemand langsam genug fährt, erscheint ein grüner Smiley mit der Aufschnitt 'Danke'."
Die Anzeigetafeln sind eins von acht Experimenten quer durch die Stadt, erklärt der Verkehrsforscher Jochen Eckart.
"Dieses Format Reallabor ist etwas, das funktioniert und insbesondere bei solch einem Thema Fußverkehr funktioniert."
Das Projekt war auf drei Jahre angelegt, die Förderung lief Ende 2018 aus, aber das Vorhaben wird kostenneutral weitergeführt. Nun liegen der Stadt Karlsruhe Vorschläge zur dauerhaften Umsetzung bestimmter Fußverkehr-freundlicher Maßnahmen vor. Bleibt die Frage: Welche Verkehrsteilnehmer bekommen welche Fläche? Es wird sich zeigen, ob die Verantwortlichen gewillt sind, dem Fußverkehr auf Kosten der Radfahrer und PKW wirklich mehr Platz einzuräumen.