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Städtereise im Jahr 2516

Maddrax ist, anders als die alteingesessenen Heftromanreihen wie Jerry Cotton, John Sinclair und Co., eine höchst selbstironische, genreparodistische Serie. Als wäre Maddrax auch noch Kapitän eines Produktpiratenschiffes, macht jede Folge Beute in jedem denkbaren Fundus der Populärkultur.

Von Hartmut Kasper | 19.07.2011
    In einem sind sich alle Apokalyptiker und Weltuntergangspropheten einig: Das Ende kommt, wie alles Gute, stets von oben.

    Der Komet sah aus wie eine glühende, Funken sprühende Feuerkugel, innen gleißend weiß und an der Spitze von milchigem Orange. Er zog einen langen glitzernden Schweif hinter sich her, dessen Licht in alle Richtungen zerfaserte. "Wahnsinn!", gellte es in Matthew Drax' Pilotenhelm. "Das ist das absolut Größte, was ich je gesehen habe!" Professor Smythes Stimme schraubte sich in schmerzhafte Tonlagen ( ... ) "Dann schauen Sie genau hin", knurrte Matt. "Es wird wahrscheinlich auch das absolut Letzte sein, was Sie in Ihrem Leben zu sehen kriegen!"

    Im Februar des Jahres 2000 erschien Maddrax Heftroman Nummer 1 mit dem Titel "Der Gott aus dem Eis". Michael Schönenbröcher, der zuständige Redakteur der neuen Serie, begrüßte die Leser mit den Worten:

    Herzlichen Glückwunsch! ( ... ) ihr habt den Sprung ins Millenium überlebt. Was ja nicht selbstverständlich schien bei all der Schwarzmalerei von selbst ernannten Propheten ( ... ) Ja, ihr habt es geschafft und könnt aufatmen - zumindest bis zum Jahr 2012. Dann nämlich wird ohne Zweifel eintreten, was das Autoren-Team von MADDRAX prophezeit: der Weltuntergang.

    Die Völkerkundler späterer Tage werden vielleicht einmal erforschen, warum in der deutschen Populärkultur so oft US-amerikanische Piloten den Retter und Heiland geben müssen. In Roland Emmerichs Film "Independence Day" steigt am Ende Mr. President höchstselbst, ein Pilot a.D., wieder in den Jet, um die Erde vor den Aliens zu retten. Auch der unsterbliche Erbe des Universums Perry Rhodan ist gelernter Düsenflieger. So auch Maddrax.

    "MADDRAX ist der Held einer fantastischen Serie, eines Genre-Mixes aus Science Fiction, Abenteuer, Grusel. Eigentlich heißt er Matthew Drax, ist ein Mann aus unserer Zeit, aus dem Jahr 2012, den das Schicksal um 500 Jahre in die Zukunft verschlägt. Bei seiner ersten Begegnung mit der neuen Bevölkerung der Erde stellte er sich als Matthew Drax vor, was bei den barbarischen Völkern als MADDRAX hängen geblieben ist."

    Und der das sagt, der muss es wissen. Denn er ist einer der Biografen von Matthew Drax, dem Zeitverschlagenen - also einer von zehn Stamm- und etlichen Gastautoren im Team der Serie:

    "Mein Name ist Oliver Fröhlich. Ich stamme aus Hof. Ich bin Finanzbeamter und seit einiger Zeit einer der Autoren des Maddrax-Teams."

    Von ihm wollen wir die ganze Geschichte hören: Wie genau hat das Schicksal den braven Amerikaner in die Zukunft befördert? Welche Schicksalsmächte waren da am Werk?

    "Im Jahr 2012 kommt ein Komet auf die Erde zu, der droht, die Erde auszulöschen. Es werden verschiedene Versuche unternommen, den Komet zu stoppen, unter anderem wird er von der ISS beschossen. Und jener Matthew Drax ist ein Pilot, der in seinem Flieger von der Luft aus das ganze beobachten soll. Durch zunächst ungeklärte Umstände - man vermutet zunächst, dass es die Druckwelle des einschlagenden Kometen ist - schleudert es ihn in die Zukunft. Er wird sich aber später in der Serie herausstellen, dass das ein Trugschluss ist, dass er tatsächlich durch einen Zeitstrahl geflogen ist, der diesen Zukunftssprung verursacht hat."

    Die Zukunft, in der er sich wieder findet, hat sich auf abenteuerliche Weise verändert: Alles ist anders - und auch wieder nicht. Ein Mensch, der aus der Epoche 500 Jahre vor unserer Zeit - aus etwa dem Jahr 1516 - ins Jetzt geschleudert würde, hätte vielleicht zunächst einige Schwierigkeiten, sich zurecht zu finden: Onlinebanking, GPS-Navigation, die Vielzahl der TV-Programme. Nicht so Maddrax im Jahr 2516. Er kommt ganz gut zurecht - auch, weil er etwas wie kulturelle erste Hilfe erfährt:

    "Nachdem es ihn in die Zukunft geschleudert hat, findet er sich irgendwo in den Alpen wieder und stürzt mit seinem Jet ab. Und überlebt nur, weil ihn Mitglieder der neuen Bevölkerung, der Barbaren, finden und ihn vor mutierten Riesenratten retten. Dabei lernt er dann auch eine der Barbarinnen kennen, namens Aruula, die wohl den Träumen so manchen Mannes entsprungen sein dürfte."

    Und die deswegen nach altbewährter Barbarensitte sehr dürftig bekleidet durch die postapokalyptische Landschaft streift. Aruula hält das vom Himmel hoch gestürzte Bild von einem Mann natürlich für einen Gott, entkleidet sich paarungswillig von ihrem Fell, und so kommt bald eines zum anderen.

    Gut, dass Matthew Drax noch vor seinem Ausflug in Richtung Komet sich hatte scheiden lassen. So darf er von allem Ballast der Vorzeit befreit in die Welt nach dem Weltende übersiedeln. Aruula führt Maddrax in den sonderbar entstellten Kosmos des 26. Jahrhunderts ein. Und nach und nach begreift Maddrax, was ihm und dem Planeten zugestoßen ist - mehr jedenfalls, als ein platter Kometeneinschlag.

    "Der Kometeneinschlag ist kein Kometeneinschlag, wie sich im Lauf der Serie herausstellt, sondern es handelt sich um eine gestrandete Raum-Arche, in der außerirdische Lebewesen durchs All gereist sind. Unter dem Einfluss dieser Wesen, die für ihre Mentalsubstanz neue Träger suchen, versuchen sie Mutationen zu erschaffen, die für sie geeignet sind als Lebensform. Dadurch hat sich die Welt furchtbar verändert. Oberirdisch sind die Leute größtenteils verdummt durch eine Strahlung, die von diesen Außerirdischen kommt. Sie sind in die Barbarenzeit zurück gefallen. Es gibt allerdings auch überlebende Kulturen unterhalb der Erde, die sich zum Zeitpunkt des Einschlags in Bunkern aufgehalten und die nächsten 500 Jahre überdauert haben. Da kommt es dann zu skurrilsten Ausformungen der Technos, wie die unter der Erde heißen."

    Durch die apokalyptische Wendung der Weltgeschichte entsteht, wenn schon kein neuer Himmel, so doch eine neue Erde. Dieser runderneuerte Globus kann nun neu entdeckt werden.

    Die besagte furchtbare Veränderung der Welt hat sie jedoch nicht bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Im Gegenteil: Vieles an ihr wirkt merkwürdig vertraut. Die Terra Nova ähnelt verblüffend der Welt, wie die vormodernen Menschen sie immer gefürchtet haben: Sie ist voller Ungeheuer und Ghule, sprechender Riesenratten, Untoter, Nixen und Vampire.
    Aber von dieser sagenhaften Bevölkerung einmal abgesehen, scheint sich gar nicht so sehr viel getan zu haben:

    "Zu Beginn der Serie ist das, was MADDRAX tut, mehr oder weniger eine Deutschlandtournee, eine Europatournee. Er reist von Stadt zu Stadt und findet jede Stadt als eine anderen skurrile Art vor. Köln beispielsweise ist eine Persiflage auf den Karneval. Es gibt ein dunkles Dreigestirn. Alle trinken Kölsch. Das ganze ist natürlich furchtbar gefährlich, wie der echte Karneval eben auch. Berlin wird von Amazonen beherrscht. In Rom finden im Kolosseum irgendwelche wahnwitzigen Spiele statt. In Monaco gibt es dann eine Art Grand Prix. So wird versucht, jede Stadt mit einer Eigenart darzustellen, und die dann ins Fantastische zu übersteigern."

    Eine MADDRAX-Zeittafel führt Buch über die stattgehabten Veränderungen und über Maddraxens Welttournee. Hier einige Auszüge aus den Annalen der Zukunft:

    Matt versammelt alle Bewohner des Umlandes im Dominikanerkloster Santa Maria della Grazie und wendet eine List an: Er blendet die Doggars und hat mit Hunderten Litern Bier ( ... ) mutierte Schneckenmonster ( ... ) in einen Schacht gelockt. Die Doggars werden von den Schnecken gefressen, die Dörfler siegen. ( ... )

    Josepp Nüssli ( ... ) erzählt Matt von seinen Erlebnissen: dem tödlichen Duell mit dem König der Einäugigen, der Schlacht mit den "Bodensee-Piraten" und "der Begegnung mit den Menschenmetzgern von Memmingen".

    2520, Anfang September
    In Pottsdam erfährt Bolle ( ... ), dass Rudgaar ein Spion ( ... ) Berlins ist. ( ... ) Matt erkennt, dass ein Daa´mure bei ihm ist, der wie Johnny Depp aussieht und sich Herr Knuud von der Deehael nennt.


    Johnny Depp und Knuud von der Deehael - so hätten sich auch zwei Ikonen aus dem Hier und Heute in die Zukunft gerettet: Piraten-Johnny und das Logistik-Unternehmen Dalsey, Hillblom und Lynn - DHL eben - alias die Deutsche Post.

    Maddrax bietet den Lesern einen permanenten Mummenschanz. Die Lust am Untergang paart sich mit vergnüglichem Geisterbahn-Schauder. Das Ganze nährt sich nicht zuletzt aus der Neugier, was aus der eigenen Heimat geworden sein mag. Hat Hamburg noch einen Hafen? Berlin das Brandenburger Tor? Steht zu Köln noch der Dom? Der Leser in Köln sei getröstet: Der Dom, er steht.

    Über schmale Stufen stiegen Suse und die Männer von der Stadtmauer. Über eine lange Treppe ging es hinauf in die Ruinen und auf den Domplatz. Schwarz und bedrohlich ragten die Domtürme in den Sommerhimmel. Suse erzitterte bei ihrem Anblick. ( ... ) es roch nach Feuer und Schwefel im Dom.

    Maddrax ist, anders als die alteingesessenen Heftromanreihen wie Jerry Cotton, John Sinclair und Co, eine höchst selbstironische, genreparodistische Serie. Als wäre Maddrax auch noch Kapitän eines Produktpiratenschiffes, macht jede Folge Beute in jedem denkbaren Fundus der Populärkultur: Zombies und der Zarewitsch, die ISS und Unterwassermenschen, Marsianer und ein Volk von aufrecht gehenden, aber sonst nicht sehr ehrpusseligen Riesenratten - Maddrax ist eine einzige, flächendeckende Groteske.

    Ein Übriges tun zweifellos die trashigen Titelbilder. Vorwiegend in düsteren Farbtönen gehalten, zeigen sie kampferprobte Barbarinnen und aufrechte Helden, die schwerterschwingend gegen zähnefletschende Kreaturen der Finsternis ankämpfen. Bilder, die wirken, wie von Groschenheftcovern der 1960er-Jahre in unsere Gegenwart entführt.
    Maddrax hat nun beinah die ganze Welt gesehen, Europa und Amerika, Afrika und Australien, dazu den Mond, den Mars. Nun, im Jubiläumsheft Nummer 300, kehrt er zurück nach Europa. Genauer: ins malerische Lübeck.

    "Band 300 heißt 'Unter Mutanten'. Es kommt unter anderem natürlich das Holsten-Tor vor, es gibt eine kleine Verknüpfung zu einer Lübecker Spezialität, die aber bei uns leicht anders heißt. Dadurch, dass die Technos unter der Erde gefangen sind, durch die Mutanten, wird irgendwann ihre Nahrung knapp. Sie sind also darauf angewiesen, zu jagen, und das zu jagen, was sie eben finden auf ihren kurzen Ausflügen, wenn sie einmal kurz nach oben kommen können. Und in so einer Stadt sind es eben größtenteils Tarazen, also jene großen mutierten Ratten. Und weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, machen sie Jagd auf die und verzehren die. Und im Volksmund der Lübecker findet das eben den spöttischen Eingang 'Feinstes Lübecker Tarazipan'."

    An einer Stelle in diesem Roman heißt es:

    Als es ihn vor elf Jahren über fünfhundert Jahre in die Zukunft verschlagen hatte, musste er sich erst an den Anblick des Sternenhimmels gewöhnen, denn all die Konstellationen standen nicht mehr an der gleichen Stelle wie früher. ( ... ) Matt widmete sich erneut der Aufgabe, in die Flammen zu starren und seinen Gedanken nachzuhängen. Unfassbar, was er seitdem alles erlebt und erfahren hatte. Dinge, die er zu seiner Zeit als Pilot der US Air Force für unmöglich gehalten hätte. ( ... ) Welche Überraschungen und Enthüllungen warteten noch auf ihn?

    Wer weiß? 300 Hefte seiner Abenteuer sind erschienen, dazu diverse größere und kleinere Ableger der Serie, und ein Ende ist nicht abzusehen. Warum auch? Nicht umsonst trägt die Serie den Untertitel "Die dunkle Zukunft der Erde”. Und die Zukunft ist - jedenfalls, wenn man die Apokalypse wie Maddrax einmal überstanden hat - wieder offen und unbegrenzt.

    MADDRAX - die dunkle Zukunft der Erde.
    Heftromanserie im Bastei-Verlag.
    Heftroman 300: "Unter Mutanten" von Oliver Fröhlich.
    1,60 Euro