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Stärkung von Verbraucherrechten
EU-Kommission will Sammelklage ermöglichen

Die EU-Kommission plant Sammelklagen für Verbraucher zu ermöglichen. Kunden, die vor dem Dieselskandal von Autoherstellern darin getäuscht wurden, ein angeblich gesetzeskonformes Fahrzeug zu kaufen, könnten so gemeinsam Schadenersatz einklagen. Wirtschaftsvertreter fürchten eine Klagewelle.

Von Thomas Otto | 11.04.2018
    Neuwagen vor dem Volkswagen-Werk Zwickau
    In Deutschland muss VW bislang keine Entschädigungszahlungen für die betroffenen 2,4 Millionen VW-Kunden leisten. Ein Grund dafür: In Deutschland konnte man bisher keine Sammelklagen einreichen. (dpa/Jan Woitas)
    Man habe aus Dieselgate gelernt, so die Botschaft der EU-Kommission. Ihre Antwort: Ein "new deal for consumers" - frei übersetzt eine "neue Übereinkunft für Verbraucher".
    Auch an die Mit-Gesetzgeber in EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten gewandt, kündigte Justizkommissarin Vera Jourova an: "Mit dieser neuen Übereinkunft können wir alle die Karten offenlegen und zeigen, ob wir ernsthaft die Konsequenzen aus Dieselgate ziehen und den Konsumenten in Zukunft eine faire Chance auf Kompensation ermöglichen."
    Die soll es geben durch Sammel- beziehungsweise Verbandsklagen.
    Verbandsklage nicht rückwirkend möglich
    Beispiel Abgas-Betrug: Kunden, die von den Herstellern darin getäuscht werden, ein gesetzeskonformes Fahrzeug zu kaufen, können in Zukunft gemeinsam Schadenersatz einklagen. Außergerichtliche Einigungen sollen auch hier weiterhin möglich bleiben. Allerdings werden die bisher Geschädigten davon wenig haben - Die Möglichkeit der Verbandsklage wird es nicht rückwirkend geben.
    Was in manchen EU-Staaten schon heute möglich ist, gibt es in neun Ländern - einschließlich Deutschlands - bisher nicht. Künftig sollen durch EU-weit einheitliche Regeln die Mitgliedsstaaten hierbei auch besser zusammenarbeiten können.
    Strafen von vier Prozent des jährlichen Umsatzes möglich
    "Wir geben den Behörden die Mittel, um Betrüger zu bestrafen. Verbraucherschutzbehörden haben bisher nicht die Möglichkeit, gegen Geschäftspraktiken vorzugehen, die großen Schaden anrichten. Große Firmen haben keine Angst vor den bestehenden Strafen."
    Betrug dürfe nicht zu billig sein, so Jourova. Verhängte Strafen seien oft viel zu niedrig. Das soll sich ändern: Firmen sollen zu Strafen von vier Prozent ihres jährlichen Umsatzes verurteilt werden können.
    EU-Justizkommissarin Vera Jourova spricht über die Pläne der Kommission für Sammelklagen.
    EU-Justizkommissarin Vera Jourova spricht über die Pläne der Kommission für Sammelklagen. (AFP / Emmanuel DUNAND)
    Weitere Verbraucherrechte werden gestärkt
    Das heute vorgestellte Paket umfasst noch zahlreiche weitere Vorschläge, mit denen die Kommission die Rechte der Verbraucher und deren Durchsetzung stärken will: Online-Marktplätze müssen transparenter werden und bezahlte Suchergebnisse besser kennzeichnen. Auch bei scheinbar kostenlosen Diensten - die wir mit unseren Daten bezahlen - soll es eine Art Rückgaberecht geben.
    Unterschiedliche Qualität von äußerlich identischen Lebensmitteln in verschiedenen Ländern wird verboten. Osteuropäische Staaten hatten das gefordert und eine Art Lebensmittel-Rassismus westeuropäischer Firmen beklagt.
    Kommission will keine Klagewelle
    Wirtschaftsvertreter kritisieren die Kommissionsvorschläge als zu weitgehend, bezweifeln deren Notwendigkeit und fürchten eine Klagewelle. So fürchtet der Verband der Chemischen Industrie, dass vor allem Verbände und Anwälte profitierten. Ebenso äußerte sich der CSU-Abgeordnete Markus Ferber. Eine neue Klageindustrie wolle auch die Kommission verhindern, so Kommissarin Jourova:
    "Dieses Modell wird sich sehr von dem der USA unterscheiden: Es geht nicht um mehr Geschäfte für Anwälte, sondern um mehr Gerechtigkeit."
    Klageberechtigt sein sollen Organisationen nur unter bestimmten Voraussetzungen: So müssen sie ihre Finanzierung offenlegen und dürfen nicht mit dem Ziel handeln, Geld zu verdienen.
    Aushöhlung des Widerrufsrechtes?
    Sozialdemokraten und Grüne im EU-Parlament begrüßten grundsätzlich die Vorschläge der Kommission. Der Grüne Jan-Philipp Albrecht forderte, EU-weite Sammelklagen auch auf Schäden für Gesundheit und Umwelt und Verletzung von Arbeitnehmerrechten auszuweiten.
    Die SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt fürchtet eine Aushöhlung des Widerrufsrechtes. So soll das 14-tägige Widerrufsrecht bei online gekauften Produkten nach einmaliger Benutzung erlöschen. Das würde sowohl beim Verbraucher als auch beim Händler zu einer großen Rechtsunsicherheit führen und eine Flut von Rechtstreitigkeiten nach sich ziehen, so die SPD-Abgeordnete.
    Während in Deutschland parallel an einer Musterfeststellungsklage gearbeitet wird, müssen die weitergehenden Kommissionsvorschläge zunächst von EU-Parlament und Mitgliedsstaaten verabschiedet und danach in nationales Recht umgesetzt werden.