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Stahlindustrie in Luxemburg
Esch - die Stadt der Arbeiter

Esch-sur-Alzette in Luxemburg erlangte durch seine Stahlindustrie Wohlstand und Reichtum. Die Zeiten sind vorbei, die Hochöfen bis auf einen stillgelegt. Esch sieht seine Zukunft in der Universität - und will zur Stadt der Wissenschaften werden.

Von Monika Lüpschen | 14.06.2015
    "Im 19./20. Jahrhundert hatte jede Fassade oder jeder Baustil eine politische Konnotation. Neu-ägyptisch war für Synagogen oder Freimauerlogen vorbehalten, orientalistisch für Bäder oder Kaufhäuser, neuromanisch-neugotisch für Kirchen, Neu-Renaissance für laizistische Verwaltungsgebäude und dann die Kunst des ausgehenden 18. Jahrhunderts lehnt sich an die Schlossarchitektur an, inspiriert und eigentlich politisch neutral, die nichts anderes im Sinn hat als materiellen Erfolg darzustellen. Es war eine Art der Selbstdarstellerei in der Architektur", erklärt Stadtführer Robert Leon Philippart in Esch-sur-Alzette, jener Stadt, von der man kaum glauben kann, was er bei einem Rundgang sagt: "Esch war ein verschlafenes Dorf bis man Eisenerz fand, das man ab 1838 zuerst teilweise, dann systematisch industriell ausbeuten konnte."
    Wohlstand durch industrielle Entwicklung
    Diese industrielle Entwicklung brachte großen Wohlstand. Tausende Arbeiter aus Deutschland, Belgien, Frankreich und Italien siedelten sich an. Handwerk und Industrie florierten. Reich gewordene Bürger zeigten ihren Wohlstand an äußerst repräsentativen Wohn- und Geschäftshäusern. Sie verwirklichten hier ihre Vorstellungen von Architektur. Vorgaben für die Erweiterung der Stadt lieferte der renommierte deutsche Städteplaner Josef Stübben. Philippart: "Einer der großen Meister. Er hat das Handbuch des Städtebaues geschrieben. Stübben war daran interessiert, die Natur, die Geschichte, die Topographie, das Klima zu beachten bei der städtebaulichen Entwicklung. Das hat auch geholfen, dass Esch so eine große Dichte hat und auch eine kohärente Stadtplanung hier hat und so eine kohärente Bebauung."
    Allein in der Rue de l'Alzette, einer schnurgeraden Straße im Zentrum, drängen sich dicht an dicht Bauten aus der Zeit zwischen 1880 bis 1930, also im Stile des Historismus, des Jugendstils, des Art Deco und des frühen Modernismus. Symbole moralischer, ethischer, religiöser und kultureller Werte kennzeichnen die Fassaden der sorgfältig restaurierten Gebäude. Über fünf Kilometer lang ist der touristische Rundweg. Er gibt aufschlussreiche Einblicke in die jüngere Vergangenheit der Stadt. "Das Gelbe hier ist in dem wertvollen Stein von Chaumont bei Metz errichtet, ist neugotisch. Das waren meist Leute, die von einem romantisch-christlichen Zeitalter träumten, denn Gotik und Neuromantik waren damals für Kirchen vorbehalten", sagt der Stadtführer.
    Moderne Formensprache
    Man konnte sich teure Materialien leisten wie Kupfer für Kuppeln, emaillierte Ziegel, die das Licht widerspiegeln, um Skulpturen besser zur Geltung zu bringen oder fein geschmiedete Eisengitter, geschliffenes Kristallglas, Blei gefasste, farbige Fenster und vieles andere mehr: "Man definierte sich als Bürger durch seine Arbeit. Links haben wir Äskulap mit der Schlange. Diese linke Hälfte gehörte einem Drogeristen. Rechts haben wir Venus mit dem Bubikopf, die sich die Schuhe schnürt; hier befand sich ein Schuhgeschäft. Also wie im Mittelalter die Zunfthäuser versucht man sich in der modernen Formensprache."
    Höchste Anerkennung haben die Arbeiter und Handwerker erfahren. An herausgehobenem Platz hoch an der Fassade des Rathauses, am Tympanon, wurden sie für ihre Arbeit in den Gruben und Stahlwerken gewürdigt, haben sie doch wesentlich dazu beigetragen, dass die Stadt reich geworden ist, Philippart: "Wenn man einen Tympanon darstellt und da ein Wappen hineinsetzt, wird dieses Wappen normaler Weise von Löwen umrahmt. Hier ist es von Minen- und Grubenarbeitern umrahmt. Das heißt, diese Stadt gehört den Arbeitern. Das ist die Stadt des arbeitenden Volks. Hier auf diesem Platz wurden auch die ersten Maifeiern gefeiert. Hier wurden die ersten Sozialversicherungen gefordert. Auf der rechten Hälfte des Tympanon erkennt man die Hochöfen und darunter steht: Mer welle bleiwe wat mer sin. Das ist die Devise Luxemburgs: Wir wollen bleiben, was wir sind , das heißt, wir gehören zu diesem ganzen Land." Nach rund 100 Jahren versiegten mit der Stahlkrise in den 1970/80er Jahren die Quellen des Reichtums. Die Hochöfen mussten stillgelegt werden. Einer wurde komplett an China verkauft. Nur ein Werk arbeitet noch. In Elektroöfen produzieren knapp 5.000 Arbeiter aus Schrott Spundwände.
    Neues Stadtviertel
    Krasser könnten die Unterschiede nicht sein, denn nach wenigen Kilometern hat sich die Szenerie total geändert. Große Brachflächen kennzeichnen die Landschaft, durchwühlter Boden, aufgeworfene Erdhügel. Als Relikt der Vergangenheit wird die Silhouette eines Hochofens sichtbar, und nach einer Biegung der neuen Straße befindet man sich plötzlich in einer neuen Welt. Noch von Industriebrache umgeben breitet sich ein neuer Stadtteil aus: Esch-Belval.
    Antoinette Lorang, Kulturbeauftragte des Fonds Belval, über dieses Projekt: "Wir hatten den Auftrag, hier eine Universität zu bauen, aber nicht als Campus, wie man das von der Peripherie von Städten her kennt, sondern wirklich ein neues Stadtviertel mit Mischfunktionen: Uni, Geschäfte, Wohnungen, Büro, und es ist ja auch schon ein großer Teil realisiert. Es gibt ein großes Geschäftszentrum mit Kino, Restaurants, Café und dann das Hochofenareal. Das ist jetzt für uns wirklich ein riesengroßer Schritt, weil: Sie müssen sich vorstellen, dass jetzt jahrelang doch ein sehr großes Areal Baustelle war und dass das Areal jetzt wirklich sehr attraktiv ist für die Besucher." Eine Milliarde Euro hat der Staat Luxemburg für die erste Bauphase zur Verfügung gestellt. In den nächsten Jahren wird das Gelände weiter ausgebaut, neue Unternehmen und Investoren werden gesucht: "Cité des Scienes - Stadt der Wissenschaften. Was ist das? Forschungseinrichtungen, aber auch alles drumherum - Wohnungen für die Studenten, kulturelle Aktivitäten, staatliche Verwaltungen sind auch mit in diesem Programm, und hier werden 7.000 Studenten nach Belval ziehen und 3.000 Forscher bis 2020 ungefähr."
    Entsprechend ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Region wurde der Hochofenanlage eine besondere Position zugewiesen. Umgeben von großen Wasserbassins mit Pflanzen und Freiflächen, die farblich und vom Material her auf die metallenen Gebilde abgestimmt wurden, ist hier ein beeindruckendes Industriedenkmal entstanden. Lorang: "Am Anfang waren viele Leute skeptisch, aber jetzt, wo das Ganze fertig ist mit der Gestaltung, kriegt es doch einen ganz anderen besonderen Flair. Man sieht, dass das ganze Konzept trägt."