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Stahlproduktion
Die Suche nach der richtigen Mischung

Die Stahlhersteller in den Industrieländern stehen unter Druck. Deutschlands größter Stahlproduzent Thyssen Krupp Steel optimiert deswegen seinen Herstellungsprozess. Ein Forscherteam stellt testweise Sinter her, den Hauptrohstoff für Roheisen. Ziel ist es, Voraussagen über das Verhalten von Sinter in der Großproduktion treffen zu können.

Von Bernd Schlupeck | 12.04.2016
    Aus einer Eisenwanne im Stahlwerk von Thyssenkrupp leuchtet rotglühender Rohstahl.
    Eisen aus dem Hochofen Schwelgern 1 bei ThyssenKrupp wird am 21.05.2015 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) mit einer Eisenwanne zur Weiterverarbeitung durch das Stahlwerk transportiert. ThyssenKrupp produziert im Jahr rund 12,1 Millionen Tonnen Stahl (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Im Technikum bei "Thyssen Krupp Steel" lärmt ein fünf Meter hoher rohrartiger Ofen. Daneben stehen eine Art Minikran und riesige runde Metallkörbe. Über beiden thront ein Trichter, zu dem eine Stahltreppe hinaufführt. Alle Teile gehören zu einer neuartigen Sinter-Versuchsanlage, die insgesamt die Grundfläche einer 2,5-Zimmer Wohnung hat. Auf einer Plattform am Ende der Treppe steht ein hoch gewachsener Mann, kurze weiße Haare, randlose Brille, gekleidet in Jeans und Sakko.
    "Mein Name ist Urban Jahnsen. Ich bin hier zuständig für die Qualitätskontrolle der Rohstoffeinsatzstoffe bei Thyssen Krupp Steel. Wir befinden uns hier, wo sich die Mischeinrichtung unserer Sinter-Versuchsanlage befindet."
    Qualität der Erze wird schlechter
    Ziel des Ingenieurs ist es, mit der Versuchsanlage die richtige Eisenerzmischung zu finden. Eine, die möglichst staubarm und sauber verbrennt. Das Problem: In Duisburg kommen verschiedene Erzsorten aus aller Welt in Form von Pulvern an. Um daraus flüssiges Roheisen zu erzeugen, die Vorstufe von Stahl, müssen die Pulver miteinander verbacken werden. Sintern nennt das der Fachmann. Dazu werden die Eisenerzpulver mit feinem Koks gemischt, in einen Rostkorb gegeben und im Gasofen bei circa 1.300 Grad Celsius und Druck verbrannt. Auf mikroskopischer Ebene passiert dabei Folgendes: Die Eisenkörner werden an den Rändern angeschmolzen und verdichten sich zum sogenannten Sinterkuchen. Der wird anschließend in größere Stücke gebrochen, die an schwarze, versteinerte Badeschwämme erinnern. Diese Brockenform ist notwendig, weil das Erz so überhaupt erst im Hochofen absinken kann.
    "Wir wissen, dass schon jetzt, aber auch in Zukunft, die Qualitäten der von uns zu verarbeitenden Erze schlechter werden. Und wir auf der anderen Seite gezwungen sind immer kostengünstiger zu arbeiten, und gerne eben auch billigere Erze einsetzen würden. Wie diese Erze sich jetzt im Sinterprozess in der Sinterqualität ausdrücken und damit auch in den Ofenprozess hineinwirken. Das wollen wir mit dieser Anlage hier prognostizieren."
    Welche Qualität eine Rohstoffmischung hat, wissen die Ingenieure nach anderthalb Stunden. So lange dauert es eine Charge von circa 190 Kilogramm zu sintern und zu analysieren. Wichtig ist ihnen, dass beim Test-Sintern die Abgasgrenzwerte eingehalten werden und so wenig Staub wie möglich entsteht. Ist das nicht der Fall, wird ein Erzpulver eventuell nicht mehr eingekauft. Sind die Ingenieure zufrieden, eignet sich die Mischung auch für den Einsatz in den großen Anlagen.
    Vollautomatische Anlage
    Im kontinuierlichen Prozess werden in Duisburg etwa 1.300 Tonnen Sinter in der Stunde produziert. Auch hier gilt: Grenzwerte einhalten und Emissionen möglichst reduzieren. Den Testweg vor der eigentlichen Großproduktion beschreiten inzwischen viele Stahlhersteller, etwa 50 Anlagen dieser Art weltweit gibt es. Der Vorteil in Duisburg ist: Die Anlage läuft vollautomatisch. Einsatzstoffe in den Mischer füllen, den Rostkorb bestücken, zum Brenner fahren, war bei der bisherigen Anlage Handarbeit. Nun übernimmt ein computergesteuerter Manipulator das Füllen und den Transport zwischen den einzelnen Stationen.
    "Jeder hat einen menschlichen Faktor. Man hat schlecht gefrühstückt, hat schlecht geschlafen, behandelt die Schaufel anders wie am Tag zuvor, wie auch immer. Diese Vorgänge beeinflussen letztendlich sowohl den Sinterprozess als auch die Qualität des Produktes, die erzeugt werden soll."
    Stahlhersteller stehen bei der Umweltpolitik im Fokus
    Der Manipulator ähnelt einem Minikran mit Andockplatte und fährt auf einem kurzen Schienenstück hin und her. Überwacht wird er wie die gesamte Anlage von Thorsten Stürmer. Der Ingenieur geht in einen kleinen Raum: Die Schaltzentrale. Zwei Tische, darauf drei rote "Notaus"-Knöpfe und vier Flachbildschirme. Einer zeigt die Anlagenkomponenten und Maschinendaten, auf einem anderen erscheinen per Mausklick Tabellen mit Zahlen aus der Abgasanalyse.
    "Hier messen wir quasi CO2, Kohlenmonoxid, Sauerstoff, Wasser. Dann halt den Staub im Abgas, dann SO2, HCl. Das sind so die gängigen Prozessgrößen, wonach auch die Großanlagen gesteuert werden."
    Schwefeldioxid, Stickoxid und Chlorwasserstoff im Rauchgas, Staub der beim Sintern entsteht: Thorsten Stürmer achtet genau darauf, wie viel Abgase anfallen. Denn beim Thema Umweltschutz stehen Thyssen Krupp Steel sowie alle anderen Stahlhersteller besonders im Fokus der Klimapolitik. Für alle Stoffe gilt daher: Je weniger emittiert wird, desto besser. Das ist unterm Strich nicht nur gut für die Duisburger Luft. Sondern schont auch den Geldbeutel von Thyssen Krupp Steel. Denn die nachgeschalteten Filter, die der Konzern an seinen Sinteranlagen betreibt, verschleißen künftig weniger schnell.