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Stammbaum mit weiterem Seitenast

Paläoanthropologie. – Der Stammbaum des Menschen ist ein besonders verzwicktes Problem der Evolution. Je mehr wir finden, desto stärker verzweigt er sich und desto zufälliger wird die Entwicklung, die bis zum modernen Menschen führt. Der Homo floresiensis fügt dem menschlichen Stammbuch nun einen weiteren besonders nahe an die Gegenwart reichenden Zweig hinzu. Im Interview mit dem Deutschlandfunk bewertete Friedemann Schrenk Professor für Paläoanthropologie am Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt die Funde. Die Fragen stellte Arndt Reuning.

28.10.2004
    Reuning: Herr Professor Schrenk, die Knochen von der Insel Flores sind vergleichsweise jung und sehr gut erhalten. Aber offenbar hat sich diese Hominidenart nur dort auf der Insel entwickelt. Welche Bedeutung muss man dann diesen Fund beimessen?

    Schrenk: Es ist natürlich schon ein Schock, wenn wir zunächst einmal feststellen, daß wir nicht alleine als Homo Sapiens, also moderne Menschen, sind. Die Bedeutung ist auf jeden Fall sehr hoch einzusetzen. Die Frage ist nur, wie die Interpretation letztendlich ist. Ich glaube, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, man hat die Datierung ja noch nicht so genau gemacht. Man hat die Knochen selbst noch nicht datiert, man müsste auch noch DNA-Untersuchungen, also genetische Untersuchungen machen. Aber von der Morphologie her, also von dem Aussehen diese Hominiden, ist es schon etwas sehr seltsames. Diese kleine Körperform, dieses kleine Gehirn, ist auf jeden Fall etwas spannendes und eigentlich füllt jeder neue Fund eine Lücke in unserem Wissen.

    Reuning: Die Einordnung in unseren Stammbaum scheint etwas schwierig zu sein. Wie kann man sich die Mischung von früheren und entwickelten Merkmalen erklären?

    Schrenk: Es ist ja auf einer Insel sehr viel in der Entwicklung möglich, was eigentlich in größeren Gebieten nicht passiert. Wir haben oft auf den Inseln Phänomene wie die Verzwergung, aber auch zum Beispiel Riesenwuchs. Es ist noch unklar, ob diese Faktoren, die man jetzt da beobachtet, wirklich alle nur einer neuen Art zuzuordnen sind, oder ob das auch zum Beispiel Konstruktionsprobleme sind. Wenn man einen Kopf kleiner macht, heißt das nicht, dass alles einfach nur im Verhältnis kleiner wird, sondern es gibt bestimmte Dinge, wie Kaumuskulatur, oder Jochbögen, die dann vielleicht überproportional groß bleiben. Die Mischung in diesen Merkmalen kann durchaus auch daher kommen, dass diese Menschen eben sehr klein waren.

    Reuning: Trotz ihres geringen Gehirns haben diese Menschen ja auch ein so etwas wie eine Kultur entwickelt. Ist das nicht verwunderlich?

    Schrenk: Die Gehirngröße an sich ist ja nicht absolut zu nehmen, sondern Gehirngröße macht immer erst im Verhältnis zur Körpermasse Sinn. Mit anderen Worten, wenn man größer ist, braucht man ein größeres Gehirn. Das hat natürlich mit den motorischen Dingen des Gehirns zu tun. Intelligenz hat nicht unbedingt etwas mit der Gehirngröße zutun, sondern mit der neuronalen Verschaltung im Gehirn, und die ist fossil nicht überliefert. Insofern kann man da eigentlich nicht sagen.

    Reuning: Kann man feststellen, ob dieser Mensch eine eigene Art ist?

    Schrenk: Nein. Arten machen ja wir. Die Arteinteilung kommen von einem heutigen Wissenschaftler, der beschließt, dass das eine eigene Art ist. Das ist ja auch nichts Absolutes, das ist Interpretation. Und Interpretationen können sich auch wieder ändern. In diesem Fall kommt natürlich darauf an, woher man diese Menschen ableitet. Wenn man sagt, das ist Homo Erectus, der sozusagen überlebt hat, dann könnte man genauso gut eine Unterart von Homo Erectus daraus machen. Wenn man sagt, okay, das ist Homo sapiens, der sich verändert hat, dann kann man auch eine Unterart von Homo sapiens daraus machen. In diesem Fall wurde eine neue Art gemacht. Ich will jetzt mal salopp sagen, das ist natürlich auch verkaufsfördernd, denn dadurch kommt man natürlich besser in die Medien als mit einer Unterart. Nur, haben Namen nichts mit der biologischen Grundlagen zu tun, sondern sind Interpretation.