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Stammzellen ins Gehirn

Neurologie. - Nervengewebe ist bei Verletzungen ein problematischer Fall, denn es regeneriert sich nicht. Ein Weg so etwas doch zu erreichen ist die Übertragung von Stammzellen. Doch die müssen sich sinnvoll in die bestehenden Nervennetze integrieren. Dass das im Prinzip möglich ist, zeigen Forschungen aus den USA, die heute in der Zeitschrift "Science" berichtet werden.

Von Volkart Wildermutho | 25.11.2011
    Die Theorie klingt einfach: wenn im Gehirn die Nerven nicht mehr funktionieren, dann liefert man einfach neue nach, die sich aus Stammzellen gewinnen lassen. Solche transplantierten Nervenzellen überleben im Gehirn von Versuchstieren, sie bilden auch Verknüpfungen, aber können sie wirklich beim Muskelschwund oder einer Querschnittslähmung die verlorenen Funktionen ersetzen? Diese Frage will Jeffrey Macklis beantworten. Störungen der Bewegungssteuerung sind aber komplex, weil die Nerven über größere Entfernungen kommunizieren müssen. Jeffrey Macklis und seine Kollegen an der amerikanischen Harvard University sind deshalb erst einmal einen Umweg gegangen. Sie experimentieren mit Mäusen, die extrem übergewichtig werden. Der Grund: in einem kleinen Nervenknoten reagieren ihre Nervenzellen nicht auf das Fetthormon Leptin.

    "Keinen Moment dachten wir daran, eine Therapie für übergewichtige Menschen zu entwickeln. Wir wollten verstehen, in wie weit transplantierte Nerven sich in die bestehenden Schaltkreise des Gehirns integrieren."

    Für die Regulation des Stoffwechsels ist im Gehirn der Hypothalamus zuständig. Hier gibt es vier verschiedene Nervenzelltypen, die auf Leptin reagieren, und die bei den Versuchsmäusen nicht richtig arbeiteten. Bei gesunden Mäusen entstehen diese vier Nerventypen in der Embryonalentwicklung aus Vorläuferzellen. Macklis:

    "Wir haben gedacht, diese Zellen sind bereit, Verbindungen zu knüpfen und Nervennetze aufzubauen. Also sind sie die optimalen Zellen, um auch fertig ausgebildete Hirnstrukturen zu erneuern."

    Jeffrey Macklis isolierte die Vorläuferzellen aus gesunden Mäuseembryonen und transplantierte sie in den ausgereiften Hypothalamus junger Mäuse mit Neigung zu extremer Fettsucht. Nach Wochen schläferte er einige dieser Tiere ein und untersuchte ihr Gehirn. Die Vorläuferzellen hatten sich tatsächlich in alle vier benötigten Nerventypen verwandelt, sie produzierten die richtigen Rezeptoren und bildeten die passenden elektrischen Signale. Mehr noch, sie hatten funktionierende Verbindungen mit den schon vorhandenen Nerven geknüpft.

    "They speak to the recipient brain and the recipient brain speaks to them."

    Diese Nerven sprechen zum Gehirn und das Gehirn spricht mit ihnen, so Jeffrey Macklis. Die neuen Nerven reagierten auf Leptin, auf den Glukosespiegel, auf Insulin und gaben diesen Informationen im Hypothalamus weiter. Das konnte man den Mäusen auch von außen ansehen. Während nicht behandelte Tiere fast schon grotesk fett wurden, sahen die Mäuse mit den transplantieren Zellen nur ziemlich dick aus. Ihre Fettsucht war nicht geheilt, aber immerhin abgemildert.

    "Es ist erstaunlich. Es hat sich nur eine kleine Zahl von Nerven in die bestehenden Netzwerke integriert. Aber das reicht, um etwas so komplexes zu beeinflussen, wie die Stoffwechselsteuerung."

    Es gab schon klinische Studien an Parkinsonpatienten, denen Nervenzellen von abgetriebenen Feten übertragen wurden, um einen fehlenden Botenstoff nachzuliefern. Einige Patienten konnten sich nach der Transplantation tatsächlich wieder recht natürlich bewegen, andere profitierten kaum und wieder andere hatten Nebenwirkungen, zeigten plötzlich stark überschießende Bewegungen. Ein möglicher Grund für die sehr unterschiedlichen Ergebnisse: man hatte die neuen Nerven nicht in ihre natürliche Umgebung transplantiert, deshalb waren sie nicht in die normalen Regelkreise eingebunden. Die Experimente mit den dicken Mäusen zeigen, dass eine solche echte Integration im Prinzip möglich ist. Jeffrey Macklis möchte auf lange Sicht Patienten mit neuronal bedingten Bewegungsstörungen helfen. Entweder mit einer Zelltransplantation oder durch die gezielte Anregung von Vorläuferzellen, die sich im Gehirn befinden, aber beim Erwachsenen meist schlummern.

    "Was immer wir machen, es wird am Anfang nicht perfekt sein, nicht exakt. Aber selbst eine nur teilweise wiederhergestellte Beweglichkeit wäre für Patienten mit einer Muskelschwäche oder einer Querschnittslähmung ein großer Vorteil. Ich bin recht zuversichtlich, dass uns das in absehbarer Zukunft gelingen wird."

    Jeffrey Macklis experimentiert auch mit Mäusen mit Muskelschwäche. Die ersten Daten sind vielversprechend. Aber es bleibt ein weiter Weg, bis sich neue Zellen nicht nur in Mäuse- sondern auch in Menschenhirne integrieren.