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Stammzellen
Stress lässt Mäusezellen pluripotent werden

Ein japanisches Forschungsteam hat Körperzellen von Mäusen mithilfe einiger Spritzer Zitronensäure umprogrammiert. Die Zellen reagierten auf den Stress in ihrer Umwelt, indem sie pluripotent wurden und wieder die Vielseitigkeit embryonaler Stammzellen erwarben.

Von Michael Lange | 29.01.2014
    Ein Mäuseembryo, dem Zellen injiziert wurden, die durch Stress wieder pluripotent wurden.
    Ein Mäuseembryo, dem Zellen injiziert wurden, die durch Stress wieder pluripotent wurden. (Haruko Obokata)
    Wenn Zellen sich zu einem Organismus entwickeln, dann ist die Richtung immer die gleiche: Es beginnt mit vielseitigen Alleskönner-Zellen, die sich mit der Zeit spezialisieren und zu Hautzellen, Muskelzellen oder Nervenzellen werden.
    Stammzellenforscher haben in den letzten Jahren zeigen können, dass sich dieser natürliche Prozess umkehren lässt. Durch Klontechnik, durch das Einschleusen bestimmter Gene oder durch gezielte Botenstoffe werden spezialisierte Zellen wieder vielseitig oder pluripotent. Stammzellenforscher sprechen von Reprogrammierung.
    Reprogrammierung leicht gemacht
    Dass das auch ohne Klonen, Gentechnik oder Botenstoff-Cocktails funktioniert, konnte nun ein Forscherteam aus Japan zeigen. Es reichte ein Spritzer Zitronensäure im Nährmedium, und die Zellen wurden reprogrammiert. Die Wissenschaftlerin Haruko Obokata vom RIKEN-Forschungszentrum im japanischen Kobe war selbst überrascht.
    Wenn normale Körperzellen neugeborener Mäuse irgendwie gestresst werden, zum Beispiel durch einen leicht sauren pH-Wert von etwa 6, dann verlieren die Zellen ihre Spezialisierung. Während manche Zellen durch die Säure zugrunde gehen, werden andere pluripotent. Das bedeutet: Ihre Fähigkeiten entsprechen nun weitgehend denen embryonaler Stammzellen.
    Die Säure im Nährmedium bedeutet für die Zellen Stress. Sie reagieren auf die lebensfeindliche Umwelt, indem sie ihre natürliche Entwicklung umkehren. Das Ergebnis nennen die japanischen Stammzellenforscher: STAP. Das steht für eine durch einen äußeren Stimulus erzeugte Pluripotenz.
    Der Kölner Stammzellenforscher Jürgen Hescheler ist zwar überrascht, hat aber dennoch eine Erklärung:
    "Das wesentlich Neue an dieser Arbeit ist, dass es gar nicht auf den Detailmechanismus ankommt, sondern dass das zunächst nur eine Schädigung der Zelle ist. Man kann sich das so vorstellen, dass die Zelle geschädigt ist und sich zurückbesinnt auf ihren einfachen, ursprünglichen Status."
    Der beste Weg zurück zum Anfang
    Mittlerweile gibt es zahlreiche komplizierte Verfahren der Reprogrammierung. Wissenschaftler auf der ganzen Welt suchen nach dem besten Rezept. Der neue Weg aus Japan scheint viel einfacher zu sein als alle bisherigen. Das überzeugt auch Jürgen Hescheler:
    "Wir sind am überlegen, ob wir das an unserem Institut nicht auch aufgreifen sollten und versuchen, unsere Zellen über diesen Weg zu reprogrammieren. Und da wird man einfach sehen müssen: Wie ist die Qualität der Zellen. Das ist ein Punkt, der offengeblieben ist in dieser Arbeit. Ich will ja nicht irgendeine Zelle mit einem Defekt haben. Wenn ich jetzt wie in unserem Fall Herzzellen züchten will, dann möchte ich, um das Herz zu reparieren, eine perfekte Herzzelle haben, die wirklich alle Eigenschaften hat."
    Ob die neue Methode geeignet ist, um Gewebe für die Transplantationsmedizin zu züchten, ist offen. Bei älteren Mäusen ist sie nicht so erfolgreich wie bei neugeborenen Mäusen, und mit menschlichen Zellen wurde sie noch nicht getestet.
    Einen wichtigen Nachteil kennen die Forscher bereits. Die durch Säure geschockten Zellen lassen sich nicht wie embryonale Stammzellen oder andere Stammzellen über viele Wochen im Labor vermehren. Hier ist noch jede Menge Forschungsarbeit zu leisten.