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Standortbestimmung im Nachkriegsdeutschland

Das Ahlener Wirtschafts- und Sozialprogramm der CDU von 1947 gilt gemeinhin als Beleg für eine ehemals antikapitalistische Ausrichtung der Partei. Doch in seiner Zwitterhaftigkeit bediente das Programm den linken wie den liberalkonservativen Flügel der Partei.

Von Karl Friedrich Gründler | 03.02.2007
    "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen."

    Diese Sätze aus dem Ahlener Programm der CDU in der britischen Zone gelten gemeinhin als Beleg für die antikapitalistische Ausrichtung der frühen Christdemokraten. Vor allem aber dienten sie dazu, den Richtungsstreit innerhalb der CDU auf dem Weg zur Macht in Bonn beizulegen.

    Gegründet wurde die CDU im Sommer 1945 gleichzeitig in Köln und Berlin. Christliche Gewerkschafter und Dominikaner des Klosters Walberberg bei Köln hatten bereits während des Krieges eine grundsätzliche Neuorientierung auf christliche Werte für die Zeit nach den Nazis diskutiert. In den Kölner Leitsätzen vom Juni 1945 heißt es daher:

    "Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe sollen eine neue Volksgemeinschaft beschirmen, die die gottgegebene Freiheit des einzelnen und die Ansprüche der Gemeinschaft mit den Forderungen des Gemeinwohls zu verbinden weiß. So vertreten wir einen wahren christlichen Sozialismus, der nichts gemein hat mit falschen kollektivistischen Zielsetzungen, die dem Wesen des Menschen von Grund auf widersprechen."

    Die Berliner CDU vertritt ebenfalls einen antikapitalistischen Kurs, auch unter dem Druck von SPD und KPD und deren starker Anhängerschaft. Der CDU-Stadtverordnete Joachim Tiburtius in einem Radiogespräch:

    "...ist die Christlichdemokratische Union eindeutig dafür, alle Betriebe der Grundstoff erzeugenden gewerblichen Wirtschaft in Staatseigentum zu überführen, zum zweiten dafür, alle Kartelle, die sich auf die Produkte dieser Industrie beziehen, zu zerschlagen."

    Konrad Adenauer, vor dem Krieg Zentrumspolitiker und Bürgermeister von Köln, beginnt erst Anfang 1946 in der CDU seinen Neustart auf der politischen Bühne. Der These vom christlichen Sozialismus kann er dabei von Anfang an wenig abgewinnen. Bereits nach wenigen Wochen gelingt es ihm, sich durch geschicktes Taktieren an die Spitze der rheinländischen CDU zu setzen. Der abgewählte Vorgänger Leo Schwering nach seiner Niederlage:

    "Gestern war ein schwarzer Tag für das christliche Werkvolk und ein Sieg der Reaktion auf der ganzen Linie."

    Der so gescholtene Adenauer vermeidet in den Monaten darauf jede Festlegung auf Begriffe wie christlicher Sozialismus, Sozialisierung oder Verstaatlichung. Eine Rundfunkansprache aus dem März 1946:

    "An die Stelle der materialistischen Weltanschauung muss wieder die christliche treten. An die Stelle der sich aus dem Materialismus ergebenden Grundsätze diejenigen der christlichen Ethik. Sie müssen bestimmend werden für den Wiederaufbau des Staates und die Abgrenzung seiner Macht für die Rechte und Pflichten der Einzelperson, für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben."

    Für die Landtagswahlen im April 1947 benötigt Adenauer auch die Unterstützung der christlichen Gewerkschafter. So wird ihr Vertreter Johannes Albers gleichberechtigter Vorsitzender der Kommission für das Wahlprogramm neben dem Bankier und Adenauer-Vertrauten Robert Pferdmenges. Am 3. Februar 1947 verabschiedet der Zonenausschuss der CDU "Das Ahlener Wirtschafts- und Sozialprogramm". In seiner Zwitterhaftigkeit bedient es den linken wie den liberalkonservativen Flügel der Partei. Neben der Feststellung, dass die "unumschränkte Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei sei", finden sich Sätze wie:

    "Ausgangspunkt aller Wirtschaft ist die Anerkennung der Persönlichkeit. Freiheit der Person auf wirtschaftlichem und Freiheit auf politischem Gebiet hängen eng zusammen."

    Der Begriff "christlicher Sozialismus" aus den Kölner Leitsätzen wird durch "gemeinwirtschaftliche Ordnung" ersetzt. Und das Programm und die Geschlossenheit der Partei haben Erfolg. Bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen im April 1947 wird die CDU mit über 37 Prozent der Wählerstimmen überraschend stärkste Fraktion.

    Zielstrebig führt Adenauer seine Partei jetzt zu einer marktorientierten Wirtschaftspolitik. Von Verstaatlichungen ist von nun an nicht mehr die Rede. Statt "christlicher Sozialismus" heißt der wichtigste Slogan der CDU ab 1949 "soziale Marktwirtschaft".

    Literaturtipps:
    Rudolf Uertz: "Christentum und Sozialismus in der frühen CDU", Stuttgart 1981
    Leo Schwering: "Frühgeschichte der Christlich-Demokratischen Union", Recklinghausen 1963
    Antonius John: "Ahlener Programm und Bonner Republik", Bonn 1997