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Starfotograf Peter Lindbergh ist tot
Weg vom Zwang zur Perfektion

Mit seinen Schwarzweiß-Fotos prägte er die Modefotografie und schuf "Supermodels". Der Fotograf und Filmacher Peter Lindbergh arbeitete für die Großen der Modebranche wie Jean-Paul Gaultier und Giorgio Armani. Nun ist er im Alter von 74 Jahren gestorben.

Von Sigrid Fischer | 04.09.2019
Der Fotograf Peter Lindbergh in einem schwarzen T-Shirt und mit einer hellen Schirmmütze auf dem Kopf, auf der "Peter" steht.
Der Fotograf Peter Lindbergh ist im Alter von 74 Jahren verstorben. (imago images / Independent Photo Agency)
Peter Lindbergh: "Stay! Stay! Stay! Fabulous!"
Peter Lindbergh bei der Arbeit, Anfang der 90er-Jahre in den Straßen von Los Angeles. Es war die Zeit seines internationalen Durchbruchs. Mit seiner eigenen Begeisterung konnte er andere anstecken.
Peter Lindbergh: "Brilliant!"
"Bei ihm fühlt man sich großartig", wird Julianne Moore in dem Fotoband "Shadows on the Wall" zitiert. Was ihn ausmachte – das waren Bodenständigkeit und Normalität, die er in den Glamourzirkus brachte. Zum Beispiel wenn er Sachen sagte, wie: "Das fand ich immer furchtbar, find' ich heute noch furchtbar, wenn Leute sich mit Zeug behängen, um zu sagen: 'Guck' mal, I am somebody.'"
Mit dieser Einstellung und einem offenbar unerschütterlichen Selbstbewusstsein ging Peter Lindbergh Ende der 70er-Jahre nach Paris, dann nach New York. Und dort sollte er die Fashion-Fotografie revolutionieren. Amerika sei damals noch im "Repräsentationsstress" gewesen, so nannte er das. Die Models auf den Titelseiten dick geschminkt und maskenhaft.
Die Spuren des Lebens sichtbar machen
"Das war ganz stark in 80er-Jahren, und die Covers von der amerikanischen 'Vogue', die waren mit Turban, Diamanten, total retuschiert, ausgewaschen. Das ist ja ein Statement, wenn man sowas macht: 'Ich bin zugehängt mit Statussymbolen', 'mein Chauffeur wartet, ich muss jetzt gehen', 'Mein Windhund ist noch nicht da', dies ganze Zeug. Das war nicht meine Welt, da wollte ich nicht reinkommen. Und dann hab ich gesagt: Nee, interessiert mich nicht."
Er wollte die Identität und Lebenserfahrung seiner Protagonistinnen einfangen. Die Spuren des Lebens, auch die Unvollkommenheiten in ihren Gesichtern. Er wollte die Frauen, die er fotografierte, vom Jugendwahn und vom Zwang zur Perfektion befreien. Sein berühmtes Foto mit Models am Strand in weißen Männerhemden und eher dezent geschminkt – das hat "Vogue"-Chefin Anna Wintour seinerzeit überzeugt. Er bekam das Cover und eine 20-Seiten-Strecke im Heft. Dazu noch eine wichtige Erkenntnis oben drauf:
"Wenn die Leute einem 100.000 Dollar bezahlen für irgendwas, dann wollen die nicht, dass man das macht, was die wollen. Das wird zwar so präsentiert, aber letzten Endes wollen die, dass man sagt: 'Das ist langweilig, pass' mal auf, guck' mal, das ist toll.' Das wollen die, und dafür bezahlen die einem viel Geld."
Das Phänomen des Supermodels mitbegründet
Viel zu viel Geld, wie er fand. Was Peter Lindbergh wollte, das kriegte er in der Regel. Wenn Naomi Campbell fürs Foto partout nicht in den Swimmingpool steigen wollte, dann stand sie am Ende doch drin. Das Phänomen des Supermodels, das heute jeder kennt, das hat er in den 90ern mitbegründet, indem er Persönlichkeiten statt Kleiderständer zeigte.
Peter Lindbergh: "It's fabulous! It's fabulous! That is fantastic!"
Peter Lindbergh war Jahrgang 1944, Kindheit und Jugend hat er im Ruhrgebiet verbracht, zwischen Industriebrachen und Kohlenhalden gespielt – die später auch mal zu Kulissen bei seinen Fotoshootings wurden. Vielleicht kam seine Erdung aus dieser Zeit. Er hatte einfach einen sehr direkten Zugang zu sich selbst. Für ihn eine wichtige Bedingung, um gute Fotos zu machen.
"Das kriegt man durch meditieren. Weil man sich immer besser kennt und besser kennt und besser kennt - und dann irgendwann ganz unmerklich geht das plötzlich zusammen."
Genau dieses Einswerden von Fotograf und Foto, das versuchte er den jungen Kollegen in Workshops zu vermitteln. Weil er festgestellt hatte, dass Modefotografen heute nicht allzu viel darüber nachdenken, was sie tun.
Todestrakt statt Showbizz
"Und die sagen dann: 'Ja, Ihre Fotos, die bewegen einen so. Wie macht man das?' Ich hab' dann angefangen von Kreativität zu sprechen, und genau von dem Punkt, dass jeder was in sich hat. Und da aber nicht dran kommt. Und wenn er nicht da dran kommt, dann ist er verzweifelt und guckt rum, was die anderen machen und hängt sich dann an irgend so ‘ne Welle an. Und wenn er darauf mitreitet, kann er Erfolg haben. Aber der kommt da nie dran und wird nie dieses Ding fühlen, dass er und das, was er macht, eine Sache sind. Und das ist phänomenal. Die wussten gar nicht, wovon ich rede."
Von digitaler Nachbearbeitung seiner Fotos hielt Peter Lindbergh nicht allzu viel, und auf Farbe verzichtete er in der Regel, weil er glaubte, so komme er der Wirklichkeit näher. Vor ein paar Jahren ist er mal ausgebrochen aus dem Showbizz und hat im Todestrakt eines Gefängnisses in Florida eine ganz andere Wirklichkeit abgebildet. Die dunkle Seite der Welt zu fotografieren – Krieg und Elend, das überließ er aber grundsätzlich anderen. Peter Lindbergh war sich offenbar bewusst, dass er ein privilegiertes Leben geführt hat. Jedenfalls konnte er gönnen und musste gar nicht immer der Erste sein.
"Ich bring' meinen Kindern bei, besser ihr werdet Zweiter oder Dritter, weil dann sind zwei, die sich freuen. Dann hast Du ein bisschen Glück verstreut und nicht einen blöden Pokal im Wohnzimmer stehen. Sondern, dann hast Du zwei Menschen glücklich gemacht, den ersten und den zweiten."