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Stargaze
Symbiose aus Klassik und Pop

Stargaze ist eine Initiative von Komponisten und Musikern, die Pop und zeitgenössische Musik zusammenführt und dem Publikum nahebringt. Die Szene erfreut sich immer größerer Beliebtheit.

Von Florian Fricke | 15.02.2014
    Der Berliner Komponist und Musiker Nils Frahm etabliert sich immer mehr zum Zugpferd einer Szene, die das Grenzgebiet zwischen zeitgenössischer und populärer Musik beackert. Er ist in den großen Konzerthäusern genauso gern gesehen, wie auf riesigen Popfestivals wie dem dänischen Roskilde-Festival. Gestern in der ausverkauften Volksbühne spielten Frahm und das Stargaze-Ensemble einen Evergreen der Minimal Music, Terry Rileys "In C". Das Stück besteht aus 53 verschiedenen kurzen Patterns, die jeder Musiker nach eigenem Ermessen beliebig oft wiederholen kann. "In C" wird auch heute und morgen als Finale auf dem Programm stehen, wie Stargaze-Mitbegründer André de Ridder erläutert.
    "Terry Rileys "In C" ist das verbindende Element über das Wochenende, jeden Abend wird es von anderen Musikern und Ensembles interpretiert. Die anderen Programmpunkte sind eine Mischung aus Bandkonzerten mit instrumentalen Einlagen und reine Instrumental-Konzerte von Komponisten, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie Bryce Dessner von The National oder Ben Shemie von der kanadischen Band Suuns. Aber das soll jetzt kein didaktisches Erziehungsprogramm werden. Nein, wir wollten einfach ein ambitioniertes Popfestival auf die Beine stellen und dabei Spaß haben."
    Berlin als Austragungsort etablieren
    Ähnliche Festivals gibt es bereits, zum Beispiel am Lincoln Center in New York oder am Hamburger Kampnagel. Mit dem Festival an der Volksbühne wollen Stargaze Berlin als Austragungsort etablieren, ohne dabei andere Festivals zu kopieren. Es soll auch ein weiteres Zeichen gesetzt werden, diese Art des Crossover auch von der politischen Seite endlich ernst zu nehmen, denn in Deutschland gibt es nach wie vor große Berührungsängste zwischen U- und E-Musik. Künstler wie Sharah Worden suchen aber gerade in den Zwischenräumen von Volksmusik und Neuer Musik nach neuen Ausdrucksformen. Mit ihrem Projekt My Brightest Diamond veröffentlicht sie im Mai ein neues Album, auf dem sie ein Blasensemble mit einer Rockband vereinigt.
    !Ich war vor ein paar Jahren in einem Film des Künstlers Matthew Barney. Die Filmmusik bestand nur aus Blasinstrumenten und Schlagzeug. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich wurde richtig süchtig nach der Idee, Musik open air aufzuführen, ohne dass die Instrumente dabei untergehen. Ein Streichinstrument hat im Freien keine Chance zu bestehen. Ich wollte den Raum, den man normalerweise auf der Bühne hat, erweitern, die Musik mehr dreidimensional denken. Mit Blasinstrumenten konnte ich diese Räumlichkeit viel besser darstellen."
    Hochkultur und Rock'n'Roll
    Frank Catrorfs Volksbühne ist für die Zwecke von Stargaze der perfekte Ort, denn hier gehen Hochkultur und Rock 'n' Roll schon immer eine besondere Symbiose ein. Künstler wie Sharah Worden und André de Ridder sind nicht nur Grenzgänger zwischen den Stilen, sondern auch zwischen den Orten, an denen solche Musik aufgeführt wird - und die können unterschiedlicher nicht sein.
    "An einem einzigen Wochenende kann es passieren, dass ich erst im Lincoln Center spiele, dann in irgendeiner Absturzkneipe in Ithaca, New York, und am Sonntag spiele ich dann mit einem Kammerensemble in einem Museum."
    "Und das ist das Erfrischende. Wir alle kennen diese Kellerklubs, wo du froh bist, wenn die Elektrik funktioniert, und dann kommen wir an einen Ort wie die Carnegy Hall, die eine fantastische Akustik haben. Und beides lernst du umso mehr schätzen: Die Intimität eines kleinen Klubs, wo der Schweiß der Leute im Raum schwebt, weil sie so eng stehen. Für mich gibt es neben der intellektuellen Verarbeitung von Musik auch diese sinnliche und körperliche Komponente. Dafür sind die kleinen Klubs gut. Und dann gibt es die Konzerthäuser, wo Musik zelebriert wird, wo es eine transzendentale Erfahrung gibt. Und jeder, der diese beiden Welten erfahren darf, kann sich glücklich schätzen."
    Publikum mit standing ovations
    Sonntagabend wird der finnische Geigenvirtuose Pekka Kuusisto auftreten, auch ein Wanderer zwischen den Welten von Klassik, Folk, Jazz und Elektronik. Spielen wird er eine Komposition des kanadischen Komponisten Owen Pallett, der durch seine Looptechnik und der Zusammenarbeit mit der kanadischen Band Arcade Fire bekannt wurde. Das Violinkonzert hat er Pekka Kuusito auf den Leib geschrieben, es steht in der Tradition europäischer Komponisten wie Ligeti und Penderecki. Abschließen werden den Abend das Kölner Elektronikduo Mouse on Mars, die zusammen mit dem amerikanischen Performer Tyondai Braxton Terry Rileys "In C" förmlich dekonstruieren werden. "In C" bleibt auch 50 Jahre nach der Veröffentlichung eine faszinierende Spielwiese für neue Ideen. Nils Frahm und Stargaze gingen gestern auf einen 70minütigen hypnotischen Trip. Das Publikum bedankte sich mit minutenlangen standing ovations.