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"Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache Schultern"

Dem Sparpaket der Bundesregierung fehlt es nach Ansicht des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller an sozialer Balance. Diejenigen, die sich Einschnitte besser leisten könnten, dürften beim Sparen nicht außen vor bleiben, sagte Müller. Er halte deshalb einen moderaten Anstieg des Spitzensteuersatzes für denkbar.

Peter Müller im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.06.2010
    Tobias Armbrüster: Als Anfang dieser Woche das Sparpaket der Bundesregierung öffentlich bekannt wurde, da hieß es zunächst, das sei möglicherweise der Befreiungsschlag, jetzt findet diese Bundesregierung endlich ihr Projekt für die kommenden drei Jahre. Aber schon ein paar Tage später zeigt sich, dass die Regierung hier nur eine weitere politische Großbaustelle eröffnet hat. Jeden Tag melden sich weitere Kritiker zu Wort, die finden, die Vorschläge der Regierung seien nicht wirklich durchdacht und sozial nicht gerade ausgewogen. Einer, der diesen Sparplänen von Anfang an kritisch gegenüberstand, ist der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU). Mit ihm kann ich jetzt am Telefon sprechen. Schönen guten Morgen, Herr Müller.

    Peter Müller: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Christian Lindner, der FDP-Generalsekretär, hat gestern gesagt: Leistungsträger müssen von Kürzungen verschont bleiben. Hat er recht?

    Müller: Natürlich ist das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ein wichtiges Prinzip. Wer leistet, wer etwas arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nichts leistet, der nicht arbeitet. Das ist selbstverständlich.

    Aber neben dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit gibt es eben das Prinzip der Belastungsgerechtigkeit. Der Grundsatz, starke Schultern müssen mehr tragen als schwache Schultern, ist genauso richtig wie die Frage der Leistungsgerechtigkeit, und wenn es um das Sparen geht, ist es deshalb richtig einzufordern, dass diejenigen, die es sich besser leisten können, Einschnitte hinzunehmen, nicht außen vor bleiben.

    Armbrüster: Was müssen wir denn dann von den Leistungsträgern eigentlich erwarten?

    Müller: Ich glaube, dass Ideen, wie sie etwa im Bereich des Wirtschaftsrates entwickelt worden sind, ihre Berechtigung haben. Wenn man sich das Sparpaket anschaut, dann bleiben ja die Bezieher hoher Einkommen weitgehend verschont, und deshalb könnte ich mir durchaus vorstellen, dass es dort einen steuerlichen Beitrag gibt, indem der Spitzensteuersatz moderat angehoben wird, möglicherweise auch verbunden mit Maßnahmen zur Entlastung im Bereich der stillen Progression, gleichzeitig ein Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. Ich glaube, dass dies das vorgelegte Sparpaket, das ein respektables Paket ist, abrunden würde. Da gibt es ergänzenden Diskussionsbedarf.

    Armbrüster: Sie fordern also höhere Steuern für höhere Einkommen?

    Müller: Ich bin der Meinung, dass die Absenkungen des Spitzensteuersatzes unter Rot-Grün zu weit gegangen sind und dass man dort ein Stück Korrektur vornehmen kann.

    Armbrüster: Aber, Herr Müller, ist das nicht möglicherweise die neue deutsche Realität in Zeiten der Finanzkrise, dass wir vor allem beim Sozialetat sparen müssen, damit wir die, die Steuern zahlen können, weiter bei der Stange halten?

    Müller: Der Sozialetat ist der mit Abstand größte Posten im Bundeshaushalt und deshalb kann er natürlich, wenn wir eine Sparnotwendigkeit haben, die so groß ist, wie das gegenwärtig der Fall ist, nicht außen vor bleiben. Deshalb können Sparmaßnahmen in diesem Bereich nicht außen vor bleiben; sie müssen nur abgefangen werden dadurch, dass eine soziale Balance besteht, und die besteht nur dann, wenn eben auch andere nicht außen vor bleiben, wenn eben auch andere, insbesondere diejenigen, die es sich besser leisten können, ihren Beitrag erbringen.

    Armbrüster: Wozu brauchen wir denn diese soziale Balance?

    Müller: Die soziale Balance sichert den sozialen Frieden in Deutschland und das ist ein großer Standortvorteil. Der Sozialstaat hat dazu geführt, dass wir in stabilen sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen unser Land haben entwickeln können. Darauf ist der Wohlstand gegründet, damit sind wir gut gefahren.

    Armbrüster: Das Sparpaket, so wie es die Bundesregierung jetzt vorgeschlagen hat, spaltet also die Gesellschaft?

    Müller: Ich glaube, dass vieles, was da jetzt an Kritik geäußert wird, weit überzogen ist. Ich glaube nicht, dass mit diesem Sparpaket die endgültige Spaltung der Gesellschaft eingeleitet wird.

    Armbrüster: Aber Sie haben gerade selbst den sozialen Frieden angesprochen.

    Müller: Nur dadurch, dass diesem Paket die Balance fehlt, macht man es angreifbar, gibt es Diffamierungspotenzial, und das sollten wir uns wechselseitig ersparen.

    Armbrüster: Warum, glauben Sie denn, ist dieses Sparpaket so unausgewogen? Warum belastet es vor allem die Hartz-IV-Empfänger, die Arbeitslosen und die Familien?

    Müller: Wenn ich die Diskussion richtig verfolgt habe, dann gab es durchaus in meiner Partei die Bereitschaft, auch klare Signale im Bereich der Besserverdienenden zu setzen. Das hat der Koalitionspartner anders gesehen. Koalition heißt Zwang zum Kompromiss, und deshalb ist dieser Kompromiss gemacht worden. Ich kann verstehen, dass diejenigen, die diesen Kompromiss schmieden mussten, nicht anders handeln konnten. Umgekehrt muss verstanden werden, dass nicht jeder sich über diesen Kompromiss freut.

    Armbrüster: Die FDP, um mal den Koalitionspartner beim Namen zu nennen, will unter allen Umständen, so wie es aussieht, Steuererhöhungen vermeiden. Sie würde damit nämlich eines ihrer zentralen Wahlversprechen endgültig brechen. Muss die Union hier aus taktischen Gründen Rücksicht nehmen auf den kleinen Koalitionspartner?

    Müller: Natürlich muss man in einer Koalition aufeinander Rücksicht nehmen. Auf der anderen Seite muss man in einer Koalition aber einfach auch auf politische Realitäten reagieren. Die Welt hat sich seit Griechenland verändert. Wir haben eine andere Situation, wir haben eine ganz andere Sparnotwendigkeit, die ist sehr stark im Bewusstsein angekommen und deshalb ist es richtig, wenn Politik vor diesem Hintergrund neu justiert wird. Es ist ja nicht so, dass es keine Steuererhöhungen gibt. Die Flugticket-Steuer ist eine Steuererhöhung, die Brennelemente-Steuer ist eine Steuererhöhung und deshalb frage ich mich, warum ausgerechnet im Bereich der Besserverdienenden dieses Thema noch tabuisiert wird.

    Armbrüster: Die FDP tabuisiert es wahrscheinlich. Wie wollen Sie dagegen jetzt vorgehen? Wie können Sie sich vorstellen, Steuererhöhungen noch durchzusetzen gegen den Koalitionspartner?

    Müller: Ich glaube, da muss man einfach in der Sache argumentieren, da muss man einfach versuchen zu überzeugen, miteinander reden, und dann glaube ich, dass auch in dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

    Armbrüster: Wolfgang Schäuble, der Finanzminister, hat Ihnen da ja gestern beim Wirtschaftsrat zugerufen, der Peter Müller, der hat gut reden da in seinem Saarland, der soll das erst mal selber machen und sollte uns vielleicht mal zeigen, wie das gehen soll.

    Müller: Wir haben im Saarland eine ganze Reihe Signale auch unter dem Gesichtspunkt der sozialen Balance getroffen. Wir haben beispielsweise das Weihnachtsgeld für die Beamten sehr viel stärker gekürzt, als dies der Bund getan hat, aber mit einer klaren sozialen Staffelung: oben beim Ministerpräsidenten zurückgeführt auf null, unten im einfachen Dienst nicht auf null zurückgeführt, eine Kinderkomponente mit eingezogen, also ganz konsequent umgesetzt den Grundsatz, starke Schultern tragen mehr als schwache Schultern.

    Armbrüster: Sie stehen ja im Saarland an der Spitze eines sehr komplizierten Bündnisses, einer Jamaika-Koalition, Herr Müller. Wie beobachten Sie von Saarbrücken aus, was sich da in der schwarz-gelben Koalition in Berlin tut? So wie es scheint, hören wir ja eigentlich nur von Streitthemen in den vergangenen Tagen.

    Müller: Natürlich gibt es auch im Jamaika-Bündnis im Saarland unterschiedliche Auffassungen. Natürlich haben Grüne, FDP und CDU in vielen Fragen unterschiedliche Positionen. Es ist uns bisher gelungen, auf einer sehr stabilen Basis und auf der Grundlage eines sehr konkreten Koalitionsvertrages trotzdem weitgehend reibungslos gemeinsame Politik zu formulieren, und ich glaube, das muss auch die Maxime für Berlin sein.

    Armbrüster: Glauben Sie, die können sich da was abgucken bei Ihnen in Saarbrücken?

    Müller: Zumindest kann man in Saarbrücken sehen, dass auch ein Bündnis, das ein noch größeres Spektrum in der politischen Landschaft umfasst, reibungslos zusammenarbeiten kann.

    Armbrüster: Peter Müller war das, der saarländische Ministerpräsident, zum Sparpaket und zum Zustand der schwarz-gelben Koalition in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Müller.

    Müller: Bitte schön!