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Start unter schlechten Vorzeichen

Spaniens Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Jose Luis Zapatero möchte ein neues Zukunftsprogramm für die EU erarbeiten. Doch für die internationale Presse droht Spanien eher zum nächsten großen Wirtschaftsproblem der Union zu werden - und nicht zum Vorreiter der Staatengemeinschaft.

Von Hans-Günter Kellner | 08.01.2010
    Spanien hat sich mit der Übernahme des EU-Vorsitzes Zukunftsthemen vorgenommen. Die alte sogenannte Lissabon-Strategie zur Modernisierung der europäischen Gesellschaften soll durch eine neue ersetzt werden. Spanien will der Sache seine Handschrift geben. Doch die internationale Presse reagierte verhalten. Spanien sei womöglich überfordert, da es selbst tief in der Krise stecke und mehr als andere vom Platzen der Immobilienblase betroffen sei.

    Im Inland wird dies differenzierter gesehen. Selbst regierungskritische Ökonomen halten die Katastrophenszenarien für unangebracht. Alvaro Anchuelo lehrt angewandte Volkswirtschaft an der Juan-Carlos-Universität in Madrid und gehört der oppositionellen Partei "Union, Fortschritt und Demokratie" an. Er meint:

    "Die großen volkswirtschaftlichen Variablen Spaniens sind nicht schlechter, als in anderen Ländern: Die Industrieproduktion ist um etwa dreieinhalb Prozent zurückgegangen. Die Staatsschulden liegen bei 66 Prozent, niedriger als in Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Zudem ist bei uns keine Bank zusammengebrochen. Sie hatten keine toxischen Kreditpakete und mehr Rücklagen."

    Doch gerade in Spanien gilt das Risiko für die Banken noch längst nicht als überwunden. Bis zu einer Millionen neue Wohnungen hätten keine Käufer gefunden, sagt Anchuelo. Nun gehörten sie den Banken, die sie einst finanziert hatten. Doch niemand kauft derzeit Wohnungen. Geldinstitute, die schlicht zu viel Immobilien haben, könnten jedoch auch zusammenbrechen, warnt der Volkswirt.

    "Bei großen Banken wie der Banco Santander oder der BBVA wird das nicht passieren. Aber bei den kleinen Sparkassen ist das möglich. Darum wollen viele ja fusionieren. Es gibt ja auch den Rettungsfonds von 99 Milliarden Euro."

    Optimistisch blickt der Wirtschaftsprofessor dennoch nicht in die Zukunft: Fast 20 Prozent der Erwerbstätigen suchen in Spanien Arbeit. Zwar ist den Spaniern eine solche Quote durchaus nicht fremd. Zu Beginn der 90er-Jahre lag sie sogar schon einmal noch höher. Doch die heute kaum qualifizierten Erwerbslosen waren meist in der Bauindustrie beschäftigt. Für sie sieht Alvaro Anchuelo kaum eine Chance - wenn Spanien der Kurswechsel zu einer technologieorientierten Industrie denn gelingen sollte. Dafür wünscht sich der Ökonom eine große Koalition.

    "Spanien hat eine politische und institutionelle Krise. Wir brauchen eine Verfassungsreform für eine richtige föderale Struktur unseres Landes. Doch die beiden großen Parteien können sich über nichts verständigen. Die Ausgaben der Regionalregierungen geraten außer Kontrolle. Sie koordinieren sich nicht. In einigen Regionen wie in Katalonien oder im Baskenland erschweren bürokratische Sprachregelungen die Arbeitsmöglichkeiten."

    Der Volkswirt hält das Land für im Reformstau blockiert, die Regierung Zapatero zeige kaum den Willen, daran etwas zu ändern. Eine tiefgreifende Bildungsreform würde am Widerstand der autonomen Regionen scheitern, eine Arbeitsmarktreform am Widerstand der Gewerkschaften, glaubt er. Die Lage ist schlimm, aber nicht katastrophal, fasst er zusammen:

    "Unser durchschnittliches Einkommen liegt mit rund 24.000 Euro im EU-Durchschnitt. Wir haben eine beachtliche Entwicklung hinter uns: Es sind ja nicht nur Wohnungen gebaut worden, sondern auch Infrastrukturen, Autobahnen, Zugstrecken, Flughäfen. Das sind produktive Investitionen. Auch die Qualität der Bildung ist trotz aller Probleme besser geworden. Wir standen aber kurz davor, die entwickeltesten Länder Europas einzuholen, und das haben wir nicht geschafft. Wir sind ungefähr bei Italien stehengeblieben. Der große Sprung ist uns nicht gelungen."