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Startschuss für die Crispr-Medizin
Krebspatienten in China erhalten genmanipulierte Immunzellen

Das neue Gentechnik-Verfahren Crispr/Cas wurde 2012 entwickelt und ist mittlerweile aus den Labors der Welt nicht mehr wegzudenken. Auch die Medizin will davon profitieren. Nun werden in China die ersten Krebspatienten behandelt. Erste Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Gentherapie benötigen noch mindestens fünf Jahre, berichtet DLF-Experte Michael Lange.

Wissenschaftsjournalist Michael Lange im Gespräch mit Arndt Reuning | 16.11.2016
    Das Huaxi-Krankenhaus der Sichuan-Universität in Chengdu
    Das Huaxi-Krankenhaus der Sichuan-Universität in Chengdu (imago/Xinhua)
    Arndt Reuning: Was ist über die klinische Studie bekannt, die bereits vor gut zwei Wochen begonnen hat?
    Michael Lange: Es ist jetzt bekannt geworden, dass der erste von zehn Krebspatienten behandelt wurde. Er erhielt genmanipulierte Blutzellen. Das geschah an einer Klinik in Chengdu in Zentralchina - das ist eine Millionenstadt mit einer großen Universität. Und dort hat die Studie jetzt begonnen. Die Patienten sollen alle zehn Lungenkrebspatienten sein und zwar einem in fortgeschrittenen Stadium. Es muss klar sein, dass die Chemo- und die Strahlentherapie keine Wirkung zeigten, das heißt, wie man in der Medizin sagt, die Patienten sind "austherapiert". Das heißt aber auch: Die Heilungschancen durch diese Form der Gentherapie sind äußerst gering.
    Reuning: Welche Rolle spielt das neue Verfahren Crispr/Cas bei der klinischen Studie?
    Lange: Es ist das Gentechnik-Verfahren. In diesem Fall ist das so, dass Zellen der Patienten außerhalb der Patienten genetisch verändert werden. Das heißt, dem Patienten werden Blutzellen entnommen. In diesem Fall geht es um T-Zellen, das sind wichtige Zellen des Immunsystems. Und mit Crispr/Cas lässt sich das Erbgut dieser Zellen zielgenau verändern. In diesem Fall soll aber nur ein Gen ausgeschaltet werden. Das ist also gentechnisch gesehen keine große Herausforderung. Das ist ein Gen namens PD-1. Dieses Gen rägt die Information für ein Protein, das wie eine Bremse auf das Immunsystem wirkt. Und wenn man dieses ausgeschaltet dann ist die Hoffnung, dass das Immunsystem auf Touren kommt und genau auf die Krebszellen gelenkt wird. Diese Hoffnung ist Begründet durch Versuche mit Zellkulturen und auch aus Tierversuchen.
    "Es wird noch mindestens fünf Jahre dauern, bis man überhaupt etwas über die Wirksamkeit der Methode aussagen kann"
    Reuning: Wann werden wir wissen, ob diese Gentherapie erfolgreich war?
    Lange: Die Ärzte sagen, dass bisher alles gut verlaufen ist. Das sagt aber nicht viel aus. Sie haben ja erst einen Patienten behandelt. Außerdem handelt es sich um eine Studie der Phase 1 - diese dient der Erforschung möglicher Risiken und Nebenwirkungen. Es geht darum, eine gute Dosierung zu finden, da man das in der Regel aus Zellkulturen und Tierversuchen nicht so richtig weiß. Das heißt, diese Versuche stehen noch ganz am Anfang. Es wird noch mindestens fünf Jahre dauern - dann laufen die Phasen zwei und drei - bis man überhaupt etwas über die Wirksamkeit der Methode aussagen kann.
    Reuning: Im Wissenschaftsmagazin Nature ist von einem Effekt wie damals beim Sputnik-Satelliten die Rede. Beginnt jetzt ein Wettrennen zwischen den USA und China um die neue Crispr-Medizin?
    Lange: Ich halte das nicht für so bedeutend, aber es ist in der Tat ein Wettrennen. Es gibt wesentlich mehr Forschergruppen in den USA die diese Methode im Labor und in Tierversuchen einsetzen und es gibt auch einige Forschergruppen in den USA die bereits vollständige klinische Konzepte vorgestellt haben. Die haben sie bei den staatlichen Zulassungsbehörden eingereicht. Aber die Prozesse der Zulassungsverfahren sind bei den US-behörden langwieriger, so dass die chinesischen Forscher schneller in die Praxis gehen können.
    Reuning: Wie ist Ihre Einschätzung? Hat mit dem Beginn dieser Studie eine neue Phase der Gentherapie begonnen?
    Lange: Eigentlich nicht. Es geht um das Gentechnikverfahren, mit dem Zellen außerhalb des Körpers behandelt werden. Es geht nicht um das, was mit Gentherapie möglich ist. Im Grunde genommen ist mit Crispr/Cas etwas ähnliches möglich, was vorher mit schwierigeren, aufwändigeren Methoden auch schon möglich war.
    Es gibt zum Beispiel die Methode Talen, das sind Nukleasen, also Enzyme, die auch ganz gezielt schneiden können. Und wenn man im Labor schneidet, in der Zellkultur einzelne Gene angreift, dann ist es eigentlich egal, ob man ein kompliziertes oder ein einfaches Verfahren hat. Der Effekt ist im Prinzip der Selbe. Das heißt mit diesem Talen-Verfahren, das von Pflanzenforschern in Deutschland entwickelt wurde, ist im Prinzip das gleiche möglich wie mit dem Crispr/Cas-Verfahren. Und mit dem Talen-Verfahren ist schon in vielen Studien im Einsatz.
    Reuning: Vielen Dank, Michael Lange.