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Startschuss für die Nachhilfe

Mit der umstrittenen Novelle des Hartz IV-Gesetzes ist auch das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket in Kraft getreten. Demnach sollen Kinder armer Eltern in Zukunft besser gefördert werden. An einer reibungslosen Umsetzung bestehen allerdings Zweifel.

Von Claudia van Laak | 01.04.2011
    Dank des Bildungspakets kommt Laura jetzt im Englischunterricht besser mit. Im Werbevideo von Bundessozialministerin Ursula von der Leyen ist ein bezopftes Mädchen zu sehen, das zunächst einsam und unglücklich vor ihren Hausaufgaben sitzt. Plötzlich wird alles anders: Gemeinsam mit drei anderen Kindern und einem tollen Nachhilfelehrer klappt das Englisch viel besser und macht auch noch Spaß.

    Ein hübscher Werbefilm, der allerdings mit der Realität wenig zu tun hat. Denn wie die vom Gesetz vorgesehene Lernförderung konkret umgesetzt wird, das ist vielerorts noch unklar. Zuständig sind die Kommunen, die das Bildungspaket unterschiedlich schnell Realität werden lassen. Die Bundeshauptstadt hinkt hinterher. Rosemarie Seggelke, Berliner Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften GEW.

    "Die Betroffenen, die damit zu tun haben werden, also die Schulleitungen und unsere Lehrer hier in Berlin, die wissen noch überhaupt nix."

    Die Frage ist: Wie kommt das Kind möglichst schnell und unbürokratisch zu seinem Nachhilfeunterricht? Zunächst müssen die Eltern einen Antrag beim Jobcenter einreichen – oder bei der Behörde, bei der sie ihre Leistungen erhalten, also zum Beispiel beim Wohngeldamt. Dann muss der Anspruch geprüft werden. Reicht dafür eine Kopie des letzten – schlechten – Zeugnisses aus? Ist ein Stempel der Schule nötig? Oder vielleicht sogar ein Gutachten des Klassenlehrers? Fragen über Fragen – und Skepsis bei der GEW.

    "Also es ist sehr viel bürokratischer Aufwand. Wenn man einen Antrag ablehnt, dann gehe ich davon aus, dass man das detailliert begründen muss. Und man muss natürlich auch viele Elterngespräche führen, wenn man sagt: Bitte keine Nachhilfe für mein Kind. Das Kind ist durch die Schule schon so stark belastet, da ist Nachhilfe nicht gut. Wir wollen das hier in der Schule alleine regeln. "

    Nicht nur bei der Nachhilfe, auch bei anderen die Schule betreffenden Punkten des Bildungspakets ist noch vieles ungeklärt. Kinder aus armen Familien sollen Klassenausflüge und den Schulbus bezahlt bekommen, außerdem können sie ein kostenloses warmes Mittagessen erhalten. Der Geschäftsführer des Berliner Arbeitslosenzentrums Frank Steger verweist auf den Gesetzestext zur Schülerbeförderung – danach wird nur der Bus zur nächstgelegenen Schule bezahlt.

    "Was passiert mit Eltern, die sagen, mein Kind ist sportlich begabt, soll auf ein Sportgymnasium, oder mein Kind ist sprachbegabt, soll auf ein humanistisches Gymnasium. Dann ist es nicht mehr die nächstgelegene Schule, und auch da wird es mit Sicherheit Streit geben."

    Die Leistungen werden nicht automatisch erbracht, Anträge sind nötig. Doch wie erfahren die Berechtigten davon, dass ihre Kinder kostenfrei Nachhilfe erhalten können, dass der Vereinsbeitrag für die fußballbegeisterte Tochter erstattet wird? Frank Steger vom Berliner Arbeitslosenzentrum befürchtet,

    "... dass da gar nicht so viele Anträge gestellt werden und dass es dann hinterher heißt, also Hartz IV-Eltern kümmern sich gar nicht darum, dass ihre Kinder am Musikunterricht, an Sportvereinen teilhaben, das wäre dann tatsächlich ein Schuss nach hinten, wenn das von der Gesellschaft so gewertet würde."

    Das Bildungspaket dürfte kaum einfach und unbürokratisch umsetzbar sein. Jeder 5. Euro des Etats wird für die Verwaltung gebraucht – so Schätzungen des Bundessozialministeriums.