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Stasi-Belastungen im Nordostdeutschen Fußballverband

Bis heute werden Stasi-Verstrickungen von Sportfunktionären der ehemaligen DDR gern verschwiegen. Weil es nach dem Mauerfall keine ausreichende Aufarbeitung der Vergangenheit gab, muss sich der deutsche Sport immer wieder mit belasteten Personen auseinandersetzen.

Von Thomas Purschke | 13.05.2010
    Auch der Deutsche Fußballverband, zugleich weltgrößter Sportverband, hat sich um die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit kaum geschert. Obwohl gerade diese Sportart besonders im Visier des Stasi-Ministers Erich Mielke war. Zahlreiche Stasi-Fälle wurden in den vergangenen Jahren generös gedeckelt. So auch im Fall des seit Oktober 1990 amtierenden Präsidenten des Brandenburgischen Fußballverbandes Siegfried Kirschen.

    DDR-Schiedsrichter Kirschen, der bei den Fußball-Weltmeisterschaften 1986 und 1990 aktiv war, hatte laut Aktenlage über einen Zeitraum von 20 Jahren als Informant mit dem Decknamen "Friedrich" für die Stasi gearbeitet und Personen in seinem beruflichen und sportlichen Umfeld bespitzelt. Als dies 2006 publik wurde, machte DFB-Präsident Theo Zwanziger, ein Volljurist, den Fall zur Chefsache. Im Frühjahr 2007 hatte dann DFB-Sprecher Stenger gegenüber dem Deutschlandfunk erklärt, Zwanziger habe sich von Kirschens Rechtsanwalt, dem früheren DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel, über den Inhalt der Stasi-Akte informieren lassen. Der DFB hatte darauf verzichtet, eigens Akteneinsicht bei der Birthler-Behörde zu beantragen. Auch die Anrufung der Stasi-Kommission des deutschen Sports, die speziell für solche Streitfälle für die Verbände eingerichtet wurde, hatte der DFB nicht wahrgenommen und ließ mitteilen, die Stasi-Causa Kirschen sei "als erledigt zu betrachten".

    Dabei hatte sogar der seit 1995 amtierende DFB-Vize und Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes Hans-Georg Moldenhauer Ende 2006 erklärt: "Wenn Kirschen jemand geschadet hat, dann ist er als Präsident des Landesverbandes Brandenburg nicht mehr tragbar."

    Doch auch Moldenhauer selbst wurde von der Stasi als Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit "Kurt Straube" geführt.

    Laut Aktenlage war der Maschinenbau-Ingenieur und einstige Fußballtorwart beim 1. FC Magdeburg Moldenhauer in der DDR ein treuer SED-Genosse, der von 1973 bis 1974 "mit sehr gutem Erfolg" die Kreisschule für Marxismus/Leninismus absolvierte.

    Am 23. April 1984 erklärte Moldenhauer mündlich gegenüber dem Magdeburger Stasi-Major Gruner von der für die Überwachung der Volkswirtschaft zuständigen Abteilung 18, seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Laut Akte lieferte Moldenhauer mehrfach Informationen über Personen. Auch über einen Kollegen, der einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik gestellt hatte.

    Im Dezember 1986 schlug dann die Stasi vor, die GMS-Akte "Kurt Straube" zu archivieren, da Moldenhauer beruflich durch eine außerplanmäßige Aspirantur sowie als Fußball-Bezirksfachauschuss-Vorsitzender und Torwart-Coach beim Fußballclub Magdeburg "zeitlich stark beansprucht" sei.

    Der heute 68-jährige Moldenhauer erklärte dazu auf Nachfrage: Er habe nicht gewusst, dass ihn die Stasi als Mitarbeiter geführt habe. Er sei in der DDR eher ein Widerstandskämpfer gewesen. Zudem habe er nie etwas über Personen an die Stasi berichtet.

    Als er 1994 erfahren habe, dass eine Stasi-Akte existiere, habe er sich unter anderen dem damaligen DFB-Präsidenten Egidius Braun und dem Vizepräsidenten des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen anvertraut. Weiterhin erklärte Moldenhauer, die SED-Parteischule habe er in der DDR besucht, weil er damals als Ingenieur und Abteilungsleiter 40 Leute geführt habe, deswegen kam er angeblich nicht umhin.

    Moldenhauer, der im Oktober 1984 bei einem "internationalen Fußballspiel" gegen den SC Willingen in Hessen als Delegationsleiter der DDR-Betriebssportgemeinschaft Stendal wirkte, monierte danach in seinem Reisebericht an den DDR-Sportbund "besondere Vorkommnisse": Dazu gehörte, dass ein Reporter des Hessischen Rundfunks Moldenhauer interviewt habe und neben den vorher abgestimmten Fragen noch weitere stellte, was von Moldenhauer abgelehnt wurde. Zudem schlussfolgerte Funktionär Moldenhauer in seinem Reisebericht, dass solche "internationalen Fußballvergleiche" exakt geplant werden sollen "und keine ungenutzten Stunden bestehen, um damit eventuelle Einflußnahmen Außenstehender zu ermöglichen".

    Bis heute gibt es im Nordostdeutschen Fußballverband noch zahlreiche Stasi-Altlasten in wichtigen Positionen. Brandenburgs stasibelasteter Fußballchef Kirschen ist Präsidiumsmitglied des NOFV und Chef des Schiedsrichter-Ausschusses.

    Der einstige DDR-Oberliga-Schiedsrichter Bernd Stumpf aus Jena, ist heute -ausgerechnet- Mitglied des NOFV-Sicherheits-Ausschusses. Stumpf, der wegen seiner eklatanten Fehlleistungen als Schiedsrichter sogar vom DDR-Fußballverband gesperrt wurde, hatte sich noch 1989 der Stasi unter dem Decknamen "Peter Richter" verpflichtet. Bereits schon 1975 hatte Stumpf einen Schiedsrichterkollegen übel denunziert, weil dieser 20 Pfeifen von westdeutschen Sportfreunden, somit vom "Klassenfeind", per Post erhalten hatte.

    Der DDR-Oberliga-Schiedsrichter Günter Supp, der einst als GMS "Günter" der Stasi diente, ist heute im NOFV im Schiedsrichter-Ausschuss zuständig für die weiblichen Unparteiischen.

    Lediglich der einstige FIFA-WM-Schiedsrichter Adolf Prokop, der in der DDR der Stasi als Offizier im besonderen Einsatz diente und es bis zum Oberstleutnant brachte, wurde vom NOFV im Herbst 2009 ehrenvoll als Schiedsrichterbeobachter verabschiedet. Allerdings nicht etwa wegen seiner Stasi-Vergangenheit, sondern aus Altersgründen.

    Präsident Moldenhauer wollte sich auf aktuelle Nachfrage zu diesen Personalien nicht äußern.