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Staub auf den Zeilen

Schon in ihrem Erstling aus dem Jahr 2007 bediente sich die Autorin Johanna Straub für die Geschichte ihrer Heldin Philippa eines Wechselspiels der Perspektiven. Auch in ihrem zweiten Roman "Das Beste daran" ist der vielfache Wechsel der Blickwinkel das auffälligste Gestaltungsmerkmal.

Von Imogen Reisner | 17.06.2010
    Erzählt werden Momente aus dem Leben einer Handvoll Männer und Frauen, die allesamt in der Mitte ihres Lebens stehen und sich mit den Problemen ihrer Beziehungen auseinandersetzen. Oder, im Einzelfall, für einen Partner gar keine Zeit haben, weil ihre Arbeit das Projekt ihres Lebens ist. Vorstellungen und Reflexionen, also eher Probleme ungelebten Lebens, rückt die Autorin Johanna Straub dabei ins Blickfeld. Leben im Konjunktiv, möchte man es nennen. Ein Leben, das häufig dominiert wird von den Zwängen virtueller Kommunikation.

    Marvin und Jette, das scheinbar eingespielte Paar, eröffnen den Reigen postmoderner Partnerschaften. Die beiden haben sich für ein paar Tage auf eine Insel im hohen Norden geflüchtet, um ihr Verhältnis zueinander zu klären. Ihre Versuche, miteinander ins Gespräch zu kommen, werden immer wieder vom Klingeln ihrer Handys torpediert, Rufen aus der Heimat, der sie bewusst entflohen sind.

    Statt die wundersame lichtdurchflutete Landschaft ihres vorübergehenden Exils zu genießen, das Fremde und die Andersartigkeit ihrer Umgebung als Impuls für neue Wege zu nutzen, quälen sich Jette und Marvin mit unlösbaren Kopfgeburten:

    Warum reicht es nicht, sagt Jette, warum wollen wir noch etwas anderes, als wir jetzt haben?

    Demontieren das Sosein des Anderen verbal-analytisch:

    Genau das ist das Problem, sagt sie. Du willst doch nur.
    Ich will aber nicht, dass du doch nur willst.


    Und pflegen wechselseitig ihre Zerknirschtheit:

    Ich verstehe dich nicht, sagt er.
    Ich weiß, sagt sie.


    Wir begegnen Alexandra, die ein Kind von Per, ihrem Lebensgefährten, erwartet. Per wiederum trifft sich heimlich mit Anna, mit der er seine unerfüllten Sehnsüchte auszuleben glaubt. Die allerdings die meiste Zeit in geschlossenen Räumen inszeniert werden müssen, da niemand in der Umgebung von Per und Anna erfahren darf, dass sie ein Liebespaar sind.
    Anna, die sich schon in jungen Jahren als melancholische Denkerin hervorgetan hat:

    Wahrscheinlich kann man froh sein, wenn alle paar Jahre unter all den Menschen, denen man begegnet, auch nur einer ist, der einen wirklich interessiert, und man sollte besser aufpassen, dass man diesen einen Menschen nicht verpasst.

    Und Per, der sympathische Träumer, der so gern ein Held mit dem Duft von Freiheit und Abenteuer wäre. Aber der stets von fremden Mächten am Heldentum gehindert wird.

    Was hält denn den Helden auf?
    Er ist gefangen in den Erwartungen der anderen.
    Und was will er selbst?
    Er will die Zeit anhalten.
    Warum?
    Weil er dann nichts mehr verpasst, sagt Per, und dann sagen sie beide nichts mehr.


    Johanna Straubs Figuren scheinen nicht wirklich dort angekommen zu sein, wo sie – ja: was? – hinwollten? Selbst das bleibt im Ungewissen. Denn bis auf ein paar wunderbare Szenen gelungenen Lebens, die – und das ist bezeichnend – aus der Vergangenheit hochgeblendet werden, verhandelt der Roman "Das Beste daran" die Negativversion der Gegenwart: Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten; Menschen, die nicht so agieren, wie es sich die Anderen wünschen; Ereignisse, die nicht geschehen, weil die Unentschiedenheit oder der mangelnde Biss der Akteure sie nicht zum Leben zu erwecken vermag.

    Es sind Menschen, die zweifeln, die auf der Suche sind und die sich gleichzeitig ängstigen vor dem, was sie finden könnten. Selbst wenn sie Sehnsüchte haben – und das haben die meisten der Straub'schen Figuren – überwiegt das instinktive Gefühl, alle Gewißheiten verloren zu haben. Ihr uneingerichtetes Leben erscheint ihnen bedroht, auch wenn sie meist sehr klug daherreden.

    Jette, die vermeintlich gefestigte Karrierefrau, die ziemlich genau weiß, was sie nicht will, bringt das Dilemma auf den Punkt:

    Hast du nicht das Gefühl, jede Entscheidung ist viel mehr gegen alles andere als für das eine?

    Johanna Straub ist eine gut beobachtete Momentaufnahme über die Befindlichkeit der Vierzigjährigen in unserer Gesellschaft gelungen. Am überzeugendsten gelingt ihr das, wenn sie ihren Figuren ganz genau zusieht, wenn sie akribisch protokolliert, was passiert oder richtiger: was passieren könnte, wenn. Und auch dort, wo die Autorin in Rückblenden die Vergangenheit heraufbeschwört und davon erzählt, wie sich das Leben anfühlt, wenn es einfach geschieht.

    Wenn das Personal etwa in Gestalt eines geschwefelten Warmduschers, als weibliches Geschoss oder als Worthülsensammler auf die Bühne tritt, dann werden wir nicht nur mit den Ergebnissen einfühlsamer Beobachtung und kluger Reflektion bedient, sondern auch amüsant unterhalten.

    In Teilen des Romans allerdings droht das fragile Gleichgewicht zwischen abstrakten Gedankengebäuden auf der einen und erzählter Welt auf der anderen Seite zulasten sinnlicher Anschauung zu kippen. Wenn die analytischen Kopfgeburten der Helden und Heldinnen überwiegen, wirkt das ermüdend und auch ein wenig manieriert. Dann liegt zu viel Staub auf den Zeilen, und der gebremste Schaum im Lebensgefühl der Protagonisten macht sich lähmend auch beim Leser breit. Und wenn in einigen Passagen die Personalpronomina die Szene beherrschen, weil die wechselnden Protagonisten zu selten beim Namen genannt werden, dann knirscht es hörbar im Getriebe der Komposition, und der Leser spürt das Gewollte, das kopflastig Konstruierte. Dann möchte man die Sies und Ers bei der Schulter packen, kräftig schütteln und fragen: Was habt ihr eigentlich für Probleme?

    Johanna Straub: "Das Beste daran". Roman
    Liebeskind, München 2010, 221 Seiten; 16,90 Euro