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Staubige Aussichten

Nirgendwo sonst auf Erden sind die Astronomen dem Himmel näher als hier, in den chilenischen Anden. In über 5000 Metern Höhe entsteht in der Atacama-Wüste die größte Teleskopanlage der Welt: ALMA, ein Verbund aus 50 riesigen Radioschüsseln. Alma arbeitet im Bereich der Infrarotstrahlung. Das Instrument blickt so selbst durch dicke Staubwolken hindurch in die Tiefen des Universums.

Von Dirk Lorenzen | 17.05.2007
    "Wir nehmen die Straße nach Argentinien, den Paso Chama. Am Kilometer 57 biegen wir dann nach Süden auf unser Gelände."

    ""Wir sind da oben in 5000 Metern Höhe - und damit über dem meisten Wasserdampf in der Atmosphäre. Wasser ist unser Feind, denn es absorbiert die Strahlung, die wir sehen wollen."

    "Man braucht das Teleskop, um Objekte zu messen, die wir nicht im sichtbaren Licht studieren können."

    "Es ist das am höchsten gelegene Teleskop dieser Größe."

    Staubige Aussichten -
    das Radioteleskop ALMA auf Spurensuche im kalten Universum

    "Wir haben eine Sauerstoffflasche hier. Wenn Sie sich irgendwie komisch fühlen, gebe ich Ihnen Sauerstoff."

    Juan Fluxa packt seine Sachen zusammen für eine Fahrt in große Höhe: Ziel ist die 5000 Meter hoch gelegene Ebene von Chajnantor im Norden Chiles. Dort oben, mitten in der Atacama-Wüste, entsteht die größte Teleskopanlage der Welt: ALMA, das Atacama Large Millimeter Array, ein Verbund aus 50 Radioantennenschüsseln, eine jede mit 12 Metern Durchmesser.

    Juan Fluxa ist der verantwortliche Elektronikingenieur.

    "Wir müssen uns melden, bevor wir hoch fahren. Dann wissen die, dass wir unterwegs sind - falls wir ein Problem haben. Das ist Vorschrift - fährt ein Wagen allein hoch, muss er sich unterwegs zweimal melden."

    Ausgangspunkt ist San Pedro de Atacama. 5000 Einwohner leben hier - von den Touristen und von den Astronomen. Flache Häuser im typischen Lehmbau-Stil säumen staubige Straßen. Um den Ort herum einige Felder und Weiden: Eine kleine Oase inmitten endloser ockerfarbener Weite eines ausgetrockneten Salzsees. Nach Osten hin bilden die Anden eine imposante Kulisse. Hinter der Gebirgskette liegt Argentinien.

    Die asphaltierte Straße windet sich vom 2400 Meter hoch gelegenen San Pedro langsam nach oben, vorbei am majestätischen Vulkan Licancabur mit seinen perfekt gleichmäßig abfallenden Flanken. Links und rechts der Strecke rotten Wracks verunglückter LKWs vor sich hin.

    "Wir sind bereits 4500 Meter hoch. Aber wir kommen auf dem Chajnantor-Plateau noch ein wenig höher."

    Schließlich verlässt Juan Fluxa die gut ausgebaute Passstraße und biegt rechts ab auf eine Schotterpiste.

    "Base Sequitor, 926 in camino interra."

    Die Piste schlängelt sich zwischen den Bergen hindurch bis auf 5000 Meter über Normal-Null. Dann öffnet sich die Landschaft in eine weite, ganz leicht gewellte Ebene: die Hochebene von Chajnantor. Am südlichen Ende, gut 30 Kilometer entfernt, hat ein Kegelvulkan gerade eine große Dampfwolke ausgespuckt, die träge am Horizont hängt. Der schmutzig-grauen Flanke eines nahen Berges haben unterschiedlich gefärbte Flächen und Steinvorsprünge das Aussehen eines riesigen Strichgesichts gegeben.

    "Das ist unser Geist. Je nach Beleuchtung blickt er ironisch, glücklich oder unzufrieden auf uns herab. Wenn er unzufrieden ist, droht uns ein harter Tag..."

    Endlich blitzt im gleißenden Sonnenlicht eine große metallene Schüssel auf. Keine Halluzination: Es ist das erste der geplanten 50 Teleskope für ALMA. Mit den Arbeits- und Technikcontainern nebenan wirkt es wie ein soeben gelandetes Raumschiff.

    "So, wir sind da."

    "Base Sequitor, 926 arrivando a la antenna."

    Juan Fluxa ist nicht nur Elektronikingenieur bei der Europäischen Südsternwarte ESO, die am Teleskopprojekt ALMA beteiligt ist. Er ist auch Sicherheitsbeauftragter der Anlage - und so gibt er ein paar Hinweise zum Verhalten in großer Höhe.

    "Wie fühlen Sie sich? Gut, ja? Lassen Sie sich Zeit - laufen Sie nicht zu schnell. Hier oben merkt man sofort, ob man zu schnell war oder nicht."

    Die Luft in Chajnantor ist dünn, sehr dünn - nur noch gut halb so dicht wie auf Meereshöhe. Viele klagen über Schädelbrummen, manchen wird schlecht. Heute arbeiten hier sechs Personen, Mechaniker, Elektroingenieure und Wissenschaftler. Aber selbst die Profis müssen nach spätestens acht Stunden wieder hinunter nach San Pedro fahren. Wer als Besucher nach Chajnantor will, muss zuvor ein Formular unterschreiben, das ausdrücklich darauf hinweist, dass man diesen Ausflug unter Umständen nicht überleben wird - Lohn des "Risikos" ist der Blick auf ein einzigartiges Forschungsinstrument inmitten einer fast außerirdischen Landschaft.

    "Das Teleskop hat zwölf Meter Durchmesser. Es hat die Form einer Parabel und besteht aus Aluminiumplatten. Zudem halten vier lange gebogene Beine einen weiteren Metallspiegel mitten über der Teleskopschüssel. Die von der Schüssel gebündelte Strahlung wird von diesem Fangspiegel durch ein kleines Loch mitten in der Schüssel geleitet, direkt in die wissenschaftlichen Messinstrumente hinein. "

    Auf der Rückseite des Teleskops sind zwei weiße Container übereinander montiert. In ihnen stecken Instrumente und Computer. Die ganze Konstruktion lässt sich um 180 Grad drehen. Die Astronomen können so das Teleskop auf jeden beliebigen Punkt am Himmel ausrichten. Keine Kuppel oder ähnliches schützt die Schüssel. Das Teleskop ist ständig Sonne und Wind ausgesetzt. Regen gibt es hier oben praktisch nie - ganz selten fällt Schnee.

    ""Die Oberfläche des Teleskops besteht aus mehr als 250 vorgeformten Aluminiumplatten. Jede Platte wird von fünf Schrauben gehalten. Um die Platten perfekt anzuordnen, muss man also an mehr als 1300 Schrauben drehen. Und das viele Male. Wir vermessen die Oberfläche mit einem holographischen Verfahren. Bei eventuellen Abweichungen muss man in die Schüssel klettern und die entsprechenden Schrauben drehen. Jetzt weichen die Platten weniger als 20 Mikrometer von der perfekten Form ab."

    Die Schüssel hat zwölf Meter Durchmesser, aber die größten Unebenheiten betragen nur einige tausendstel Millimeter. Wäre die Schüssel so groß wie der Bodensee, wären die größten Beulen gerade mal ein paar Zentimeter hoch. Die Firma Vertex Antennentechnik in Duisburg hat den ALMA-Prototypen extrem präzise gebaut. Dieses erste Teleskop in Chajnantor heißt APEX, Atcama Pathfinder Experiment - mit ihm arbeiten die Forscher seit dem Jahr 2005. Wissenschaftlicher Leiter ist Karl Menten, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, das neben der Europäischen Südsternwarte ESO maßgeblich am ALMA-Prototypen beteiligt ist.

    "Man braucht APEX, um Objekte zu messen, die wir nicht im sichtbaren Licht studieren können. Insbesondere interessiert uns Strahlung, die von Molekülen im interstellaren Raum ausgesendet wird und von Staubpartikeln. Der interstellare Raum ist keineswegs leer. Es gibt nicht nur Sterne, sondern es gibt riesige Wolken, die Hunderte von Lichtjahren groß sind, und aus denen ständig, auch jetzt, neue Sterne entstehen."

    Auch kaltes Gas und Staubteilchen senden Strahlung aus. Allerdings leuchten sie nicht wie die Sonne oder normale Sterne im sichtbaren Licht, sondern bei größeren Wellenlängen. Dass Himmelskörper auch im Bereich der Radiostrahlung leuchten, haben die Astronomen 1931 zum ersten Mal bemerkt. Die rasante Entwicklung der Radartechnik im 2. Weltkrieg hat die Radioastronomie nach Kriegsende dann weit vorangebracht.

    Mehrere Physiknobelpreise gingen an Radioastronomen: Das Nachleuchten des Urknalls ist im Radiobereich entdeckt worden. Pulsare, schnell rotierende Sternleichen, die wie kosmische Leuchttürme das All ausleuchten, wurden mit Radioteleskopen gesichtet. Zwei umeinander kreisende Pulsare bestätigten den Astronomen die Existenz der Gravitationswellen - eine Vorhersage der Einsteinschen Relativitätstheorie. Nun verfolgt das erste Radioteleskop in Chajnantor ein weiteres fundamentales Phänomen im Kosmos, erklärt Karl Menten:

    "Dieser Prozess der Entstehung, wie entsteht ein Stern aus einer riesigen Molekülwolke, dieser Prozess ist trotz intensiver Forschung über die letzten Jahrzehnte immer noch nicht verstanden. Und unsere Beobachtungen tragen dazu bei, die Anfangsbedingungen für diesen Prozess festzustellen. Wir wollen also die Temperatur und Dichte dieser Molekülwolken bestimmen. Man kann auch anhand des Doppler-Effekts die Geschwindigkeiten in den Molekülwolken bestimmen. Würden wir also jetzt beobachten, dass ein Teil der Molekülwolke kollabiert, dann hätten wir klare Hinweise, dort entsteht ein neuer Stern."

    Das Radioteleskop zeigt nicht nur, dass dort eine Wolke existiert - es misst der Wolke im Bild gesprochen auch gleich noch Puls, Blutdruck, nimmt die Blutwerte und macht ein Ultraschallbild vom Bauchraum. Die Astronomen sehen so, was dort passiert. Wirklich erklären können sie es bisher nicht. Denn wie genau eine riesige Gas- und Staubwolke allmählich zu drehen anfängt, zusammenstürzt, sich abplattet und schließlich einen Stern zündet, den dann einige Planeten umkreisen, ist bis heute nicht im Detail verstanden.

    Riesige optische Teleskope, wie sie auch in Chile stehen, oder das Hubble-Weltraumteleskop helfen nicht wirklich weiter. Denn entstehende Sterne sind scheu - sie verbergen sich hinter dichten Staubschleiern. Normales Licht kommt da nicht durch.

    Die Wolken, aus denen sich Sterne und Planeten bilden, bestehen vorwiegend aus Wasserstoff. Der ist selbst mit ALMA kaum zu sehen. Und so müssen sich Karl Menten und sein Team mit einem Trick behelfen:

    "Es gibt nicht nur Wasserstoffgas, sondern es gibt auch andere Moleküle, die dann aber 10.000 bis eine Million bis sogar eine Milliarde mal weniger häufig sind, die kann man aber trotzdem nachweisen, weil sie sehr starke Strahlung ausstrahlen. Diese Nachweismoleküle, die benutzen wir, um die Chemie und die physikalischen Zustände in diesen Wolken zu bestimmen. Zu den Molekülen gehört zum Beispiel Kohlenmonoxid, das wir alle kennen als Autoauspuffgas, aber auch Ammoniak, Methylalkohol auch sogar Ethylalkohol, also unser Trinkalkohol, ist in Molekülwolken entdeckt worden, und immer komplexere Moleküle, darunter auch einige, die es gar nicht gibt auf der Erde. Die würden in der Erdatmosphäre sofort reagieren und würden verschwinden."

    Stünde das erste ALMA-Teleskop irgendwo in Deutschland, sähe es trotz der nahezu perfekten Bauweise wegen der hohen Luftfeuchte fast nichts. Seine Leistungsfähigkeit spielt es erst in Chajnantor aus...

    "Weil es sehr hoch ist, ganz einfach. In der Submillimeterastronomie, das ist also die Astronomie, in der ich arbeite, bei Wellenlängen, die kürzer als ein Millimeter sind, ist das um so mehr wahr, als nicht nur die Unruhe der Luft eine Rolle spielt, die in der optischen Astronomie das Leben schwer macht, sondern auch der Wasserdampfgehalt in der Luft. Der Wasserdampf in der Luft absorbiert Strahlung..."

    ... und deshalb wird ALMA in der trockensten Wüste der Erde gebaut, in der Atacama-Wüste Chiles. Europa und die USA haben sich zusammengetan zum ersten wirklich internationalen Astronomie-Projekt. 25 Teleskopschüsseln liefern die Europäer - mit dem Pilotinstrument APEX arbeitet bereits das erste davon - 25 Schüsseln liefern die Amerikaner. 2012 soll alles fertig sein, vielleicht kommen sogar noch ein paar Schüsseln mehr dazu. Die Gesamtkosten für Bau und Betrieb über 15 Jahre liegen bei gut 500 Millionen Euro - verglichen mit Satellitenmissionen nicht viel, Hubble hat zehnmal mehr gekostet. In der Ebene von Chajnantor werden die 50 Schüsseln bis zu 18 Kilometer voneinander entfernt stehen. Aber sie lassen sich zusammenschalten. Dann sieht das Netzwerk so gut wie ein einziges riesiges 18-Kilometer-Teleskop. So liefert ALMA einen unerreicht scharfen und weitsichtigen Blick ins staubige kalte Universum.

    So schön hoch und trocken der Standort auch ist, so tückisch ist er auch. Nach einer Viertelstunde am Teleskop drängt Juan Fluxa - wieder ganz Sicherheitsingenieur - auf die übliche Prozedur: Blutkontrolle!

    "Hier den Finger drauf und dann drücken."

    Mit Hilfe eines kleinen Geräts, das wie ein großer Fingerhut aussieht, bestimmt Juan Fluxa, ob der Besucher auf der großen Höhe bleiben darf...

    "Der Sauerstoffgehalt ist 90 Prozent, ganz gut. Der Herzschlag liegt bei 63. Für das erste Mal hier oben ist das erstaunlich gut."

    Die Sicherheitsvorkehrungen auf Chajnantor sind keineswegs übertrieben. Das Gefährliche an der Höhenkrankheit ist, dass die betroffenen Personen die Symptome oft unterschätzen.

    "Man fühlt sich schnell etwas benommen. Man kann sein Hirn nicht mehr hundertprozentig kontrollieren. Dann macht man leicht Fehler. Selbst Arbeiten, die im Prinzip einer allein ausführen kann, werden hier oben immer im Team erledigt. Einer führt die Arbeit aus, ein anderer beobachtet das Geschehen und kann zur Not sagen, hej, pass auf, das soll aber anders sein."

    Chajnantor wird noch für einige Jahre eine riesige Baustelle bleiben. Die 50 Teleskopschüsseln werden in einem niedriger gelegen Basislager zusammengebaut und erst dann in 5000 Metern Höhe aufgestellt. Und auch die eigentliche astronomische Arbeit erfolgt in angenehmeren Höhenregionen.

    Carlos Duran ist als Elektronikingenieur für den Datentransfer zuständig.

    "Die Daten werden hier am Teleskop verarbeitet und dann über eine Glasfaserleitung zur Richtfunkantenne auf einem nahen Hügel übertragen. Von dort geht es dann direkt zur Basis Sequitor."

    100 Kilometer Luftlinie entfernt, in der Basis Sequitor am Rande von San Pedro de Atacama: das Kontrollzentrum. Gemessen an der wissenschaftlichen Bedeutung von ALMA wirkt der Kontrollraum des Pilotteleskops sehr bescheiden: vier Arbeitsplätze, ein Dutzend Monitore und eine kleine Sofaecke. Heute hat Peer Bergman "Schicht", ein schwedischer Astronom im Teleskopteam.

    "Ich überprüfe gerade, ob das Teleskop auch scharf eingestellt ist und ob es korrekt an den Himmel zeigt. Wir beobachten gleich eine Quelle im Orion-Nebel."

    Auf den Monitoren sind sämtliche Daten des Teleskops und der angeschlossenen Messinstrumente zu sehen - Position am Himmel, Bewegung, eingestellte Frequenz. In Echtzeit wurden sie vom Teleskop zum Kontrollraum übertragen. Ein Monitor zeigt ein Bild des Teleskops, oben in Chajnantor.

    "Das ist die Webcam, die immer auf das Teleskop gerichtet ist. Im Moment ist Nacht - aber die Anlage ist von Scheinwerfern erleuchtet, so dass wir immer sehen, was da oben los ist. Das Blinklicht zeigt, dass sich das Teleskop gerade bewegt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, aber in 5000 Metern Höhe ist zu dieser Zeit keiner."

    Erleuchtetes Teleskop? Ist das nicht völlig absurd? Muss ein Teleskop nicht immer perfekt im Dunkeln stehen, um gut beobachten zu können? Das gilt nur für Teleskope, die im sichtbaren Licht arbeiten, erklärt Peer Bergman. Künstliches Licht oder Tageslicht kümmern ihn herzlich wenig...

    "Das ist ein Radioteleskop - Licht stört uns überhaupt nicht. Allerdings hat die Sonne insofern einen Einfluss, als sie mit ihrer Hitze die Antennenschüssel etwas verformt. Für besonders empfindliche Messungen bevorzugen wir also die Nacht - aber das hat nichts direkt mit dem Licht zu tun."

    Während Astronomen, die mit optischen Teleskopen arbeiten, tagsüber auf die Nacht warten, richten die Radioastronomen ungerührt ihre Instrumente rund um die Uhr auf den Himmel. Radioastronomie ist das Paradies auf Erden.

    "Ich führe eine Beobachtung für ein internationales Astronomenteam aus, das nach exotischen Molekülen im Orion Bar sucht, einer Quelle im Orion-Nebel. In dieser Wolke gibt es verschiedene Arten von Molekülen und Staubteilchen. Jede Teilchenart sieht etwas anders aus - und jede ist eine kleine Antenne, die Strahlung einer bestimmten Wellenlänge aussendet. Die Art der Strahlung hängt vom genauen Aufbau des Moleküls ab. So sendet jede Teilchenart ganz charakteristische Frequenzen. Zerlegen wir die von dieser Wolke im Orion kommende gesamte Strahlung in unserem Teleskop in ihre Wellenlängen, so finden wir sozusagen die "Fingerabdrücke" der jeweiligen Stoffe."

    Somit sehen die Radioastronomen nicht nur, dass dort draußen etwas leuchtet. Sie sehen auch genau, was dort leuchtet. Sie sehen, woraus die Wolken im All bestehen. Das Teleskop liefert die chemische Analyse gleich mit.

    "Jetzt stellen wir das Teleskop auf die nächste Frequenz ein, 3,05 Gigahertz - genauso wie man auch ein normales Radio von einem Sender zum anderen verstellt."

    Die 12-Meter-Schüssel ist Chajnantor ist wie ein riesiges Radio, das aber nicht UKW-Sender auf der Erde empfängt, sondern kosmische Radiosender. Zudem registriert es noch genau, von wo am Himmel die Strahlung kommt. Somit erstellt das ALMA-Pilotteleskop Bilder im Radiobereich genau so, wie optische Teleskope Bilder im normalen Licht aufnehmen.

    Während "normale" Teleskope möglichst dunkel stehen müssen, müssen Radioteleskope möglichst kalt sein. So lässt sich das elektronische Rauschen klein halten, das die schwachen Signale aus dem All schnell überlagern und damit unsichtbar machen würde. Zwar herrschen in der Ebene von Chajnantor oft Minusgrade - doch das ist immer noch viel zu warm, jedenfalls für die Elektronik. Juan Fluxa steigt die Treppen hinauf in einen kleinen Raum direkt unterhalb der großen Teleskopschüssel. Die Kammer beherbergt den Detektor des Teleskops, gleichsam die Netzhaut - das Instrument, das die vom Teleskop empfangene und gebündelte Strahlung aus dem All registriert und zu einem Bild zusammensetzt.

    "Das ist das Pumpen des Kompressors. Wenn wir das Pfeifen hören, wissen wir, dass mit der Kühlung der Detektoren alles in Ordnung ist. Wenn wir das nicht hören, müssen wir laufen... Denn ohne Kühlung heizen sich die Empfangsgeräte schnell auf und dann registrieren die keine Strahlung aus dem All mehr. Erst nach drei Tagen wäre das System wieder kalt genug für gute Beobachtungen."

    Die elektronischen Kameras werden mit flüssigem Helium fast auf den absoluten Nullpunkt gekühlt. Erst unter minus 270 Grad Celsius sind die Geräte empfindlich genug, um wirklich alle Details der staubigen kalten Wolken in den Tiefen des Alls zu erfassen.

    Adrian Lee, Astronom an der Universität von Berkeley, nutzt mit seinem Team das Teleskop, um extrem weit hinaus in den Kosmos zu blicken.

    "Wir beobachten Galaxienhaufen, also Ansammlungen von Hunderten oder Tausenden Galaxien im Universum. Diese Haufen sind die größten Objekte im Kosmos. Wir wollen verstehen, wann und wie sie sich gebildet haben. Da gibt es einige Theorien, deren Vorhersagen wir nun überprüfen wollen. Wenn wir genauer verstehen, wie sich die Galaxienhaufen im Laufe der kosmischen Geschichte gebildet haben, werden wir sicher auch besser verstehen, wie der Kosmos insgesamt entstanden ist und wie er sich entwickelt hat."

    Galaxienhaufen sind nicht so einfach zu beobachten. Sie sind nur in der Nähe der Milchstraße einfach aufzuspüren. Alles, was weiter als ein, zwei Milliarden Lichtjahre entfernt ist, entgeht den Astronomen meist. Dabei müssen für einen Test der theoretischen Modelle über den Kosmos Galaxienhaufen viel weiter draußen beobachtet werden. Normale Teleskope versagen da - also muss wieder einmal der Radiobereich den Astronomen helfen. Adrian Lee und sein Team machen sich ein bemerkenswertes Phänomen zu Nutze.

    "Wir suchen nach dem Sunyaev-Zeldovich-Effekt, einer Schwächung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Diese Strahlung ist gleichsam die Reststrahlung des Urknalls, die letzte Kulisse beim Blick hinaus in den Kosmos. Läuft diese Strahlung auf dem Weg zu uns an einem riesigen Galaxienhaufen vorbei, so schwächt das Gas des Haufens die Strahlung etwas. Am Himmel gibt es sozusagen "Löcher" in der Hintergrundstrahlung. Mit diesem Teleskop und unserer neuen Kamera werden wir gezielt viele Galaxienhaufen suchen - und so viel über die Vergangenheit des Kosmos erfahren."

    So erfolgreich das erste ALMA-Teleskop heute schon ins staubige, kalte und ferne Universum blickt: Es ist nur ein Anfang. Dieses Teleskop trägt nicht umsonst den Namen APEX, Atacama Pathfinder Experiment. Denn es weist den Radioastronomen wie ein Pfadfinder den Weg ins All. APEX zeigt, dass sich diese Technik problemlos in so großer Höhe einsetzen lässt. Und so haben die Astronomen auf der Ebene in den Anden Großes vor - das, erzählt Juan Fluxa, erkennt man erst vom Cerro Chico aus, dem kleinen Berg, auf dem die Richtfunkantenne für den Datentransfer nach unten steht.

    "Wir sehen das gesamte Chajnantor-Plateau: Die glitzernde Kuppel da hinten auf dem Hügel ist eine kleines Instrument des California Institute of Technology. Der Container weiter links ist die Anlage, mit der dieser Standort in den 90er Jahren getestet wurde. Da ging es darum, wie gut hier das Wetter ist, wie der Wind weht, wie trocken es ist etc. Die Gruppe von Containern vorne rechts ist das Camp der ALMA-Baustelle. Da sind die Bauarbeiter, die die Straßen bauen und die Fundamente der künftigen Teleskope. Die Bergkette da hinten markiert die Grenze zu Argentinien - und das glitzernde Etwas weiter vorne ist natürlich am wichtigsten: Unser Teleskop!"

    Auf dem 5300 Meter hohen Cerro Chico peitscht der Wind unangenehm ins Gesicht. Die Finger werden schnell klamm, doch die Aussicht in grandios. Noch steht das erste ALMA-Teleskop ziemlich allein auf weiter Flur. Doch dieser idyllische Anblick der Ebene mit den schwefelgelben Vulkanen wird bald um viel Hightech erweitert. Das Plateau wird dann ganz anders aussehen...

    ""In einigen Jahren stehen da 50 Teleskopschüsseln. Das wird ein toller Anblick sein. Die Teleskope werden über einige Kilometer verteilt und lassen sich verschieben. So kann man sie ideal konfigurieren, um sie zusammenzuschalten und so noch viel schärfer ins All zu blicken. ALMA wird extrem präzise den Kosmos beobachten. Es wird Dinge entdecken, von denen wir uns heute nicht einmal vorstellen können, dass sie existieren."