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Staudämme
Flüsse auf dem Balkan bedroht

Rund 2.700 große und kleine Staudämme sind auf dem Balkan für die nächsten Jahre geplant oder bereits im Bau, um die Energiegewinnung aus Wasserkraftwerken zu fördern. Nach Ansicht vieler Naturschützer und Wissenschaftler geschieht das aber nicht immer aus ökologischer Notwendigkeit.

Von Rebecca Hillauer | 21.10.2019
Touristen stehen auf der Hängebrücke über den Fluss Vjosa, aufgenommen am 28.09.2009.
Auch kleine Staudämme und Wasserkraftwerke können Flüsse überproportional schädigen (dpa / Rolf Zimmermann )
Das Wasser in Stauseen sei arm an Sauerstoff, die überfluteten Pflanzen zersetzten sich, CO2 und Methan würden frei. Gabriel Singer, Ökohydrologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin:
"Methan ist ein 30mal wirksameres Gas als das Treibhausgas Co2. Weil im Prinzip das Fließgewässer zu einem Stausee wird, der andere biochemische Prozesse unterstützt. Methagenese, die Bildung von Methan, passiert auch in Fließgewässern, aber weit nicht in dem Ausmaß, wie es in einem Staudamm passieren kann."
Algenblüte kann Trinkwassergewinnung beeinträchtigen
Im Sommer kann es bei erhöhten Temperaturen zu einer Algenblüte kommen. Ein Problem vor allem bei Dämmen, die der Trinkwasserversorgung dienen. Bestimmte Algen, sogenannte Zyanobakterien, produzieren Toxine, die das Wasser im Stausee als Trinkwasser unbrauchbar machen. Staudämme halten zudem mikrobakterielle Organismen und Sedimente zurück, Kieselsteine und Sand, die für die natürliche Selbstreinigung eines Gewässers notwendig sind.
"Flussab fehlt dann Sediment im Flussbett. Das führt in den meisten Fällen dazu, dass ein Fließgewässer sich unterhalb eines Dammes eintieft, dass es an Dynamik verliert und an Lebensraum, Biodiversität verliert. Ein sich eintiefender Fluss heißt ja zum Beispiel auch, dass Grundwasserspiegel in der Umgebung sinken. Das kann wieder Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben."
Weltweit fehlen Standards für Kraftwerksbetreiber
Auch kleine Wasserkraftwerke könnten überproportional große Schäden bewirken. Dennoch fördere die EU Wasserkraft mehr als andere Erneuerbare Energiequellen. In der ganzen Welt fehlten Standards für Betreiber, kritisiert die kanadische Maschinenbauingenieurin Jessica Droujko, die derzeit in der Schweiz ihren Master-Abschluss macht und sich den Staudammkritikern angeschlossen hat:
"In der Schweiz ist für Kleinkraftwerke bis zu einer Leistung von drei Megawatt kein Umweltgutachten nötig. In China gilt dies sogar für Wasserkraftwerke bis 25 Megawatt. Und wo Gutachten vorgeschrieben sind, werden sie von dem Unternehmen bezahlt, das das Kraftwerk betreiben will."
Im Juli 2019 organisierte Jessica Droujko ein Sommercamp für Studierende in Slowenien. Veranstaltet wurde das Camp am Ufer des Flusses Soča vom Netzwerk "Balkan River Defense". Die Nichtregierungsorganisation will - Zitat - "die letzten frei fließenden Flüsse in Europa" retten. Studierende aus ganz Europa und den verschiedensten Fachbereichen nahmen an dem Camp teil.
"Die Studierenden aus Westeuropa sagten alle, sie hätten noch nie zuvor einen frei fließenden Fluss gesehen. Und sie wollten helfen, ihn zu schützen".
Nicht jeder Damm wird genehmigt
Slowenien ist stolz auf sein "grünes" Image. Die Regierung hat sogar aus umweltpolitischen Gründen den Bau eines Damms abgelehnt. Laut Staatssekretär im Umweltministerium, Marco Maver, soll Wasserkraft dennoch einen wesentlichen Anteil des slowenischen Stroms liefern.
"Wenn wir den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Zukunft schaffen wollen, müssen wir Wasserkraft, Sonnen- und Windenergie nutzen. Es geht darum, rechtzeitig im Planungsprozess alle Interessengruppen einzubinden, einschließlich der Nichtregierungsorganisationen. Dann wird es uns gelingen, zwischen dem Bau von Dämmen und dem Schutz der Umwelt ein Gleichgewicht zu finden."
Gabriel Singer ist überzeugt, dass dies nur möglich sein wird, falls die Politik Erkenntnisse der Wissenschaft in Zukunft mehr berücksichtigt.
"Es ist ja keine Garantie, dass das Abflussregime unserer Gewässer erhalten bleibt. Im Gegenteil. Wir rechnen ja damit, dass im Rahmen des Klimawandels Abflussregime sich verändern werden. Wir haben es ja letztes Jahr mit rekordverdächtig niedrigen Wasserständen zu tun gehabt. Die können auch für die Energieproduktion nicht besonders zuträglich sein."