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Staudammbau vor dem Stopp?

Im Südosten Anatoliens soll mit finanzieller Unterstützung und mit Firmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein seit Jahren umstrittenes Staudammprojekt verwirklicht werden: der Ilisu-Staudamm am Tigris, bisher die Heimat von 60.000 Menschen. Wenn die Türkei bestimmte ökologische und soziale Auflagen nicht erfüllt, könnten die europäischen Länder die Finanzierung des Projekts allerdings stoppen.

Von Philip Banse | 28.05.2009
    Dieser Staudamm im Südosten der Türkei soll fast zwei Kilometer breit werden. Die Gegner befürchten, dass Zehntausende Menschen verarmen, dass Jahrtausende alte Kulturstätten verloren gehen und enorme ökologische Schäden entstehen. Der Staudamm soll von Firmen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland gebaut werden. Ganz zentral sind dabei staatliche Exportkreditversicherungen, ohne die das Projekt nicht zustande käme. Diese staatliche Unterstützung wurde aber an ökologische, soziale und wirtschaftliche Bedingungen geknüpft. Weil diese Bedingungen bisher nicht erfüllt waren, haben Deutschland, Österreich und die Schweiz den Bau quasi eingefroren.

    Die türkische Projektleitung hat nun bist zum 6. Juli Zeit, die Bedingungen zu erfüllen, sonst können die staatlichen Exportkreditversicherungen gekündigt und damit das Staudammprojekt de facto beerdigt werden. Staudammgegnerin Heike Drillisch von der Bewegung "Gegenströmung" war vor einer Woche in Südostanatolien, um zu sehen, ob die Türkei die gestellten Anforderungen erfüllt, vor allem, ob die Umsiedlung Zehntausender Menschen human geregelt wird.

    "Dabei haben wir festgestellt, dass es zwar neue, sehr umfassende Berichte gibt darüber, wie die Umsiedlung der Menschen passieren soll. Aber letztendlich zeigt sich, dass die ganz grundsätzlichen Probleme nicht gelöst sind. Selbst jetzt, 40 Tage vor Ende des Ultimatums, gibt es keine Vorstellungen, wovon die Menschen tatsächlich irgendwann leben sollen."

    Das bestätigt auch Robert Goodland, einst bei der Weltbank zuständig für soziale und ökologische Kriterien für Staudammprojekte. Er bemängelt, dass die Anforderungen der drei europäischen Staaten noch unter den Anforderungen lägen, die die Weltbank an solche Staudammprojekte stellt.

    "Ich habe mir alle Dokumente angesehen und kann sagen: Es werden alle denkbaren Standards verletzt. Es gibt keine wirkliche Bewertung der sozialen und ökologischen Auswirkungen. Es gibt keine ausreichenden Pläne für eine freiwillige Umsiedlung der Menschen. Es gibt keine Untersuchung, was nach dem Staudamm passiert, also stromabwärts im Irak."

    Im Mittelpunkt der Kritik steht die Stadt Hasankeyf, 10.000 Jahre alt, voller historischer Stätten und immer noch bewohnt. Sie würde im Stausee versinken. Heike Drillisch von der "Stop Ilisu Kampagne":

    "Die Umsiedlungsplaner haben uns klar zu verstehen gegeben, dass sie überhaupt kein Konzept für diese Stadt haben. Es ist immer versprochen worden, wir werden diese wunderbaren Monumente in einen Archäologiepark versetzen, und dann werden dort Tausende von Touristen hinkommen, und die Menschen werden alle ein neues Einkommen finden. Tatsächlich haben wir festgestellt, auch im Gespräch mit Archäologen vor Ort: Voraussichtlich nicht ein einziges dieser Monumente wird gerettet werden. Und das heißt gleichzeitig, dass die Menschen von Hasankeyf einfach überhaupt kein Einkommen mehr haben werden."

    Auch Nejdet Atalay, Bürgermeister von Batman, einer großen Stadt in der Stauseeregion ist gegen den Staudamm:

    "Der türkische Staat verspricht uns Wohlstand durch den Staudamm. Aber alle anderen Staudämme in Südostanatolien zeigen uns: Sie bringen nichts, nur riesige ökologische Probleme. Der Strom der Staudämme geht in den Westen, vor Ort profitiert niemand davon. Unsere Kultur, Natur und unsere Gemeinschaft werden zerstört. Was wir wollen, ist ein Kulturtourismus in Hasankeyf. Das ist unsere wirtschaftliche Perspektive."

    Zur Konsequenz aus diesen diagnostizierten massiven Problemen vor Ort sagt Ulrich Eichelmann von der "Stop Ilisu Kampagne":

    "Es zeigt sich, dass die Türkei diese Auflagen auch nicht erfüllen kann, deswegen muss Deutschland aus dem Projekt aussteigen."

    Damit wäre der Staudamm de facto gestoppt. Ob die Bundesregierung am 6. Juli sagt, die Bedingungen für staatliche Exportkreditversicherungen sind erfüllt oder nicht, das entscheidet ganz wesentlich ein interministerieller Ausschuss. Dessen Vorsitzender ist Hans-Joachim Henckel aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Er wollte heute Vormittag nichts zum Stand der Ermittlungen sagen. Der Sprecher von VA Tech Hydro, des Konsortiums, das den Staudamm baut, hat auf eine Anfrage nicht reagiert.