Dienstag, 19. März 2024

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Stefan Aust über Baerbock und Bundestagswahl
"Ein häufigerer Wechsel an der Spitze würde uns guttun"

Die Deutschen seien es nicht mehr gewohnt, dass an der Regierungsspitze ein Wechsel stattfinde, sagte der Publizist Stefan Aust im Dlf. Das "Hochjubeln" der Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, hänge auch mit der Sehnsucht nach etwas Neuem zusammen. Mit Angriffen habe sie rechnen müssen.

Stefan Aust im Gespräch mit Manfred Götzke | 04.07.2021
Der Journalist und Publizist Stefan Aust bei der Vorstellung seiner Autobiografie "Zeitreise"
Der Journalist und Publizist Stefan Aust sieht bei der kommenden Bundestagswahl noch Chancen für die SPD (picture alliance/ dpa/ Marcus Brandt)
Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, steht momentan wegen Plagiatsvorwürfen in der Kritik und im Visier der Medien. Es geht um ihr Sachbuch "Jetzt". Sie selbst spricht von einer Kampagne, der man "klare Kante" bieten sollte.
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Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock

Der Publizist Stefan Aust sieht die Situation recht abgeklärt. Im Dlf sagte er zum Thema Schmutzkampagne gegen Baerbock: "Damit muss man in der Politik rechnen." Die Grünen und Baerbock selbst seien von der Öffentlichkeit und den Medien in der Vergangenheit hochgejubelt worden – und dürften sich nun nicht wundern, dass sie auch tief fallen können.
Dass Öffentlichkeit und Medien bei aktuellen Kanzlerkandidaten und -kandidatinnen nach Fehlern suchten, sei kein außergewöhnliches oder neues Phänomen, sagte Aust. Das sei bei Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Ludwig Erhard und Konrad Adenauer so gewesen, erklärte der ehemalige Chefredakteur des Magazins "Der Spiegel" und heutige Herausgeber der Tageszeitung "Die Welt". Wer in der Politik so ein hohes Amt anstrebe, müsse sich schon ziemlich warm anziehen. Annalena Baerbock stehe das aber offenbar gerade ganz gut durch, stellte Aust fest.
Zugleich kritisierte er die populäre Jagd auf Plagiate aller Art: "Diese Sucherei nach Plagiaten mit Hilfe von irgendwelchen Programmen kommt einem vor wie in der Schule: Der eine guckt ab, der andere petzt beim Lehrer – das ist ziemlich kindisch."
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Trittin (Grüne): Das strukturkonservative Lager mobilisiert "alles, was es hat"
Hinter den Vorwürfen gegen Annalena Baerbock, stehe eine politische Grundsatzfrage, sagte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin.

Der Weg ins Kanzleramt und die Medien

Kritik übte Aust auch an der aus seiner Sicht geringen politischen Erfahrung Baerbocks. Und nannte zum Vergleich Angela Merkels Weg an die Spitze der Bundesregierung - die zuvor zwei Mal vier Jahre Ministerin, dann CDU-Vorsitzende gewesen sei, bevor sie Bundeskanzlerin wurde. Bei den Grünen dagegen würde Baerbock nun "mal eben aufs Schild gehoben", um Kandidatin und in kurzer Zeit Kanzlerin zu werden. "Da darf man sich nicht wundern, wenn da einiges schiefgeht." Es werde nicht deswegen so genau hingeschaut, weil Baerbock sich als relativ junge Frau um die Kanzlerschaft bewerbe, sondern weil das alles so schnell gehe.
Das "Hochjubeln" Baerbocks auf der anderen Seite habe etwas damit zu tun, dass es nach 16 Jahren Angela Merkel als Kanzlerin eine gewisse Müdigkeit beziehungsweise eine Sehnsucht nach etwas Neuem gebe, meint Aust. Auch nach einer neuen Generation. "Ich glaube, dieses Land würde sehr viel besser damit fahren, wenn es öfter mal einen Wechsel geben würde", so Aust. Wenn eine Person das Amt so lange besetze, werde der "Thron" immer größer und damit auch die Erwartung an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.
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Berichterstattung über Baerbock - Auch eine Mediendebatte
Die Debatte um Annalena Baerbock war von Anfang auch eine Auseinandersetzung einiger Medien. Die gegenseitigen Vorwürfe reichen von Gefälligkeitsjournalismus für die Grünen bis zum Vorwurf einer Schmutzkampagne.

Blick auf die Bundestagswahl

Den Ausgang der Bundestagswahlen im September hält Aust noch für völlig unklar. Es hänge alles davon ab, ob eine Zwei-Parteien-Koalition möglich sein werde, sagte Aust. Er geht davon aus, dass als mögliche Szenarien genauso gut eine Ampel- oder Jamaika-Koalition infrage kommen. Außerdem könne es sein, dass die SPD bei der Bundestagswahl wieder aufholt.