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Stefan Zweig
Sein ganzes Leben eine Art Exil

Der Österreicher Stefan Zweig gehörte in den 1920er-Jahren weltweit zu den bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellern. Sein Suizid am 23. Februar 1942 im brasilianischen Petrópolis regte zahlreiche Autoren dazu an, sich mit seinem Leben zu beschäftigen. "Das unmögliche Exil" des amerikanischen Essayisten George Prochnik blickt bis in Zweigs Kindheit zurück.

Von Eva Karnofsky | 24.10.2016
    Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881−1942)
    Stefan Zweig (1881−1942) (dpa / picture alliance / DB Ullstein)
    Der amerikanische Essayist und Literaturwissenschaftler George Prochnik hatte noch nie etwas von Stefan Zweig gehört, als er bei der Vorbereitung eines Brasilien-Schreibprojekts auf Zweigs Porträt des Landes stieß, in dem der in Wien geborene jüdische Schriftsteller auf der Flucht vor den Nationalsozialisten Asyl fand und in dem er sich am 23. Februar 1942 gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte das Leben nahm.
    "Um mir einen ersten Überblick zu verschaffen, schnappte ich mir sämtliche Bücher über das Land aus den Bibliotheksregalen. Unter diesen Werken stach ein Band heraus, der in angenehmem Plauderton gehalten und gut zu lesen war; fast ein wenig peppig in der Art, wie er mit Gattungen spielte; gleichermaßen Reisebericht, Geschichte und philosophische Betrachtung über das Verhältnis zwischen Natur und Zivilisation. Es war Stefan Zweigs "Brasilien. Ein Land der Zukunft", das er nur ein paar Wochen nach seiner Ankunft im August 1941 dort veröffentlichte."
    Schreibt Prochnik über seine erste Begegnung mit Stefan Zweig. Prochnik entdeckte weitere Affinitäten zu dem in den 20er- und 30er-Jahren bekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller, der, als er 1936 zum ersten Mal nach Brasilien reiste, sogar vom Außenminister persönlich im Hafen von Rio de Janeiro in Empfang genommen worden war.
    "Zweigs Leben auf der Flucht berührt mich nicht zuletzt deshalb, weil es wie in einem Tableau Vivant archetypische Stadien der Flüchtlingserfahrung vermittelt, die auch andere durchlebten, die vor einem zum Mörder gewordenen Staat das Weite suchten."
    Schreibt Prochnik, dessen eigener Vater, er war Jude wie Zweig, ebenfalls aus Wien vor den Nazis geflohen war und unter dem Leben im Exil sehr gelitten hatte. Gelegentlich geht der Autor in seinem in der Ich-Form geschriebenen Buch auf familiäre Parallelen ein, was in dem ansonsten sehr flüssigen, lebendigen und anschaulichen Buch ein wenig stört, weil es nicht zu großem Erkenntnisfortschritt führt. Man möchte schließlich über die schillernde Persönlichkeit Stefan Zweig lesen. Prochnik schildert Zweig so:
    "Stefan Zweig – reicher Bürger Österreichs, rastlos umherwandernder Jude, erstaunlich produktiver Autor, unermüdlicher Verfechter eines paneuropäischen Humanismus, unablässiger Netzwerker, tadelloser Gastgeber, zu Hause Hysteriker, hehrer Pazifist, billiger Populist, zartes Gemüt, Hundeliebhaber, Katzenhasser, Büchersammler, Krokodilschuhträger, Dandy, Depressiver, Kaffeehausenthusiast, Tröster einsamer Herzen, gelegentlicher Frauenheld, Männerliebäugler, mutmaßlicher Exhibitionist, überzeugter Fabulierer, Schmeichler der Mächtigen."
    Keine neuerliche chronologische Aufarbeitung
    George Prochnik geht es nicht um eine neuerliche chronologische Aufarbeitung der Zweigschen Biografie und auch nicht um die Bewertung von dessen Werk. Er spürt vielmehr dem Exil des Autors nach und vor allem auch der Frage, warum es Zweig nie lange an einem Ort hielt. Er setzt dabei in Zweigs Kindheit an. Und das macht den besonderen Reiz des Buches und das Neue an ihm aus und ermöglicht dem Leser einen anderen Blick auf Zweigs Selbstmord.
    "Zwischen seinem Gefühl der Unsicherheit im Haus seiner Eltern und in Wien insgesamt, seiner Entfremdung von dem Zuhause, das Friderike und er in Salzburg geschaffen hatten, und der Selbstentfremdung, die in ihm den Wunsch weckte, aus der eigenen Haut zu fahren, kann man Zweigs gesamtes Leben in Österreich als eine Art Exil auf Probe betrachten."
    Schreibt Prochnik und sammelt Belege dafür in Briefen von Zweig selbst, beispielsweise an seine erste Frau Friderike. Aber er hat auch Aussagen von Zeitgenossen des Schriftstellers zurate gezogen, die er vor allem Primärquellen, aber auch der Sekundärliteratur entnommen hat. Am Ende des Buches legt Prochnik in einer kommentierten Bibliografie offen, woher seine Informationen für die einzelnen Kapitel stammen.
    Konflikten ging Zweig aus dem Weg
    Konflikten, das bewies sich bereits früh, ging Zweig möglichst aus dem Wege, in dem er das Weite suchte. Etwa, als er sich 1904 mit dem Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, in Wien stritt. Zweig war nicht damit einverstanden, dass die Juden, wie Herzl es anstrebte, in einem jüdischen Staat zusammenleben sollten, er wollte sie über die Welt verstreut sehen. Also mied Zweig Herzl künftig.
    "Je weniger Zweig in Wien war, desto weniger Zeit hatte er für Herzl oder den Zionismus. Zweig hatte sich aus dem Staub gemacht."
    Genauso verließ er beim Anblick des Weihnachtsbaums überstürzt eine Weihnachtsfeier im eigenen Haus mit seiner ersten Frau Friderike.
    "Möglicherweise gründete Zweigs Verbitterung beim Anblick des Weihnachtsbaums in einem tiefer sitzenden Gefühl des Ausgeschlossenseins von einem Ritual, das in Wien so begeistert gefeiert wurde, einem Gefühl, das er nicht einmal sich selbst eingestehen konnte."
    Vermutet Prochnik. Zweigs Mutter Ida hatte ihm nie den Gefallen getan, einen Weihnachtsbaum aufzustellen, mit Rücksicht auf ihre streng gläubigen jüdischen Eltern, obwohl er sich dies sehr gewünscht hatte. Im Elternhaus herrschte zudem eine ständige, laute Geselligkeit, die Zweig bereits als Kind in Tagträume fliehen ließ.
    "Zwischen seinem Gefühl der Unsicherheit im Haus seiner Eltern und in Wien insgesamt, seiner Entfremdung von dem Zuhause, das Friderike und er in Salzburg geschaffen hatten, und der Selbstentfremdung, die in ihm den Wunsch weckte, aus der eigenen Haut zu fahren, kann man Zweigs gesamtes Leben in Österreich als eine Art Exil auf Probe betrachten."
    Europa als Heimat
    Schon während des Studiums war er für einige Semester nach Berlin gegangen. Und später hielt er sich immer wieder wochenlang in Paris auf. Er verstand sich als kosmopolitischer Pazifist, dessen Ziel obendrein ein geeintes Europa war. Als seine Heimat verstand er Europa. Die Verbundenheit Zweigs mit dem humanistischen Europa der kulturellen Vielfalt vor Hitlers Machtergreifung arbeitet Prochnik deutlich heraus.
    Zweig verlässt Wien zunächst im Herbst 1933 Richtung England, Ende des Jahres geht er nach Hollywood, wo man ihm einen Vertrag als Drehbuchautor angeboten hatte, doch es hält ihn dort nicht lange, selbst das Wetter treibt ihn in die Depression. Er zieht weiter auf eine Farm in Vermont, um dann bald in New York zu landen, wo es ihn vor allem deprimiert, einer unter so vielen Exilanten zu sein.
    Prochnik zeichnet auch Zweigs weitere Wanderschaft nach, die 1941 in Brasilien ihr tragisches Ende findet. Selbst im britischen Bath, wohin es die Familie seiner Frau Lotte verschlagen hat, hält es ihn nur ein halbes Jahr. Es wurde ihm dort zu eng und langweilig. Zweig war immer schon ein ruheloser Mensch, der nirgendwo wirklich verwurzelt war. Und das Exil hat dies nur verstärkt, so Prochniks Interpretation.
    In den Aufzeichnungen des Schriftstellers René Fülöp-Miller fand Prochnik einen Hinweis, dass Zweig bereits im Sommer 1941 an Selbstmord gedacht haben könnte:
    "Er schilderte, wie er und Zweig in Ossining so manche Nacht verbrachten 'in eifriger Diskussion über all die Fragen, die mit der "letzten" zusammenhängen'. Erst später fiel Fülöp-Miller auf, 'mit welch beharrlichem Interesse Stefan Zweig damals immer wieder das Gespräch auf die Maximaldosen der letalen Gifte und auf die Psychologie der "letzten Stunde" brachte.'"
    Prochnik geht auch auf Zweigs Angst vor dem Altern ein sowie auf dessen Gewissheit, dass der Zenit seines Ruhmes überschritten war. "Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt" arbeitet auch deutlich heraus, dass Zweig immer ein Getriebener war. George Prochniks akribische Fleißarbeit schärft nicht nur das Bild der gedanklichen Welt, in der Stefan Zweig sich bewegte, es schärft auch das Bild seines Charakters.
    George Prochnik: "Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt",
    Aus dem Englischen von Andreas Wirthenson, C.H. Beck Verlag, München 2016, 397 Seiten, Preis: 29,95 Euro