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Natur als Garten

Landschaftsmalerei wird zur Zeit im Schweinfurter Museum Georg Schäfer gezeigt, einem Museum, das überhaupt die bedeutendste Privatsammlung von Kunst des deutschsprachigen Raumes aus dem 19. Jahrhunderts beherbergt und damit nebenbei zeigt, was man alles mit dem Geld einer gut gehenden Kugellagerfabrik machen kann. Der Titel der neuen Ausstellung lautet: "Natur als Garten. Barbizons Folgen".

Von Wolf Schön | 12.12.2004
    Ein wenig langweilig wirken die Bilder, nicht nur angesichts der grellen Reizüberflutung, die auch die Museen erfasst hat. Bewaldete Landschaften sind zu sehen, einsame Bauernhöfe, Kühe an der Tränke, ab und ein paar Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, und gemächlich ziehende Wolken am Himmel. Und doch waren die stillen Gemälde um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Provokation. Und zwar deshalb, weil ihre Schöpfer aus ihren Naturdarstellungen so gut wie alles entfernt hatten, was bis dahin die Landschaftsmalerei so anziehend machte: mythologische Abenteuer mit Faunen, Nymphen und Waldgöttern wie der jagenden Diana, amüsante Genreszenen mit fröhlichen Landleuten oder dramatische Schauspiele der Witterung. Uberhaupt mussten es sonnige Gefilde sein, am liebsten das italienische Arkadien mit seinen heroischen und pittoresken Attraktionen.

    Das Publikum litt zunächst unter Entzugserscheinungen. Die Maler Daubigny, Rousseau, Dupré und Corot hatten einen schweren Start. Allesamt Großstädter waren sie und ihre Freunde, Zivilisationsgeschädigte aus der lärmenden Metropole Paris. Ihr irdisches Paradies suchten sie statt im spektakulären Süden im nahe gelegenen Dörfchen Barbizon inmitten der Wälder von Fontainebleau. Leise Revolutionäre waren die Stadtflüchtlinge und doch entschlossene Pioniere, die der Kunstgeschichte eine entscheidende Wendung gaben. Die erste Künstlerkolonie gründeten die Barbizonisten, und sie waren die Ersten, die ihre Staffelei aus dem Atelier trugen und auf einer Wiese am Waldrand aufstellten. So erfanden sie die "paysage intime", den natürlichen Naturausschnitt ohne Theatralisierung. Das war selbstverständlich auch ein Protest gegen den akademischen Schwulst der offiziellen Salonmalerei.

    Im Schweinfurter Museum Georg Schäfer wird die auf den ersten Bick kaum noch zu erkennende Sprengkraft der bescheidenen Meditationen vor der Wahrheit der naturgebenen Welt eindrucksvoll vor Augen geführt. Verwurzelt im Waldboden um Barbizon ist die Freiheitsbewegung des Impressionismus, insgesamt die künstlerische Autonomie der Moderne bis hin zu Courbet und Cézanne , der in der Provence aus der Naturanschauung die Gesetze reiner Malerei jenseits oberflächlicher Effekthaschrerei entwickelte. Die keineswegs auf den eigenen Kulturkreis beschänkte Breitenwirkung der Schule von Barbizon illustriert die Ausstellung mit Münchner Malern, die nach Frankreich pilgerten, um vor Ort unter freiem Himmel das neue Sehen zu lernen, angezogen von der "wunderbaren Einfachheit" und der "wirklichen Posie" der verehrten Reformer. Eduard Schleich, Adolf Heinrich Lier, Philipp Röth und Otto Fröhlicher setzten ihre Erlebnisse im Brucker Land, in oberbayerischer Mooreinsamkeit oder in der Idylle des Englischen Gartens um. Allerdings verließ sie der Mut, wenn es galt, der kühnen, vom Detail abgelösten Pinselschrift eines Daubigny Folge zu leisten.

    Bemerkenswert paradox ist, dass die unberührte Natur ein Produkt der Industrialisierung und den daraus erwachsenden Freitzeitbedürfnissen gewesen ist. Auf seinem Gemälde mit dem urwaldhaft wuchernden Dickicht des Jahres 1850 wollte Théodore Rousseau die urwüchsige Kraft des Waldes sprechen lassen. Aber was er zeigt, das vom Menschen unabhängige Eigenleben der Natur, war zu dieser Zeit bereits Illusion. Schon 1820 war der erste Fontainebleau-Reiseführer erschienen. Nachdem das Naturparadies Gleisanschluss bekommen hatte, schrumpfte Fahrzeit von der Hauptstadt auf seine Stunde. Statt der Wildnis erwartete die Ausflügler im vormaligen Jagdforst der Könige eine gepflegte Parklandschaft, erschlossen von fünf bequemen Rundwegen. Als dann die Forstverwaltung daranging, die Landschaft mit eintönigen Kiefernplantagen profitabel zu nutzen, brach unter den Künstlern ein Sturm der Entrüstung los. Wortführer war der Maler Rousseau, und Kaiser Napoleon III. erhörte den Grünen mit der Palette. So war eines der ersten Naturschutzgebiete Europas zugleich ein staatlich geschütztes Künstlerreservat.