Mittwoch, 24. April 2024

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Steinbach: Völlig kontraproduktive Haltung der USA

Im Konflikt zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah räumt der Nahost-Experte Udo Steinbach der Diplomatie derzeit kaum Chancen ein. "Man will die Sache auskämpfen", begründete der Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg seine Haltung. Die US-Außenministerin Condoleezza Rice bezeichnete er als "schlechte Vermittlerin". Amerika sei dafür, dass die Hisbollah in die Knie gezwungen werde: "Und das halte ich für eine völlig unzureichende, völlig kontraproduktive Strategie."

Moderation: Ursula Welter | 23.07.2006
    Ursula Welter: Am Telefon ist nun Udo Steinbach, der Direktor des Orientinstituts in Hamburg. Guten Morgen!

    Udo Steinbach: Guten Morgen, Frau Welter!

    Welter: Herr Steinbach, heute trifft die amerikanische Außenministerin im Nahen Osten ein, Condoleezza Rice. Der deutsche Außenminister ist in einer Vermittlungsmission unterwegs. Was wird die Diplomatie leisten können?

    Steinbach: Gar nichts, fürchte ich, jedenfalls nicht in den Tagen die vor uns liegen. … Man will die Sache auskämpfen, man stellt eine Reihe von Bedingungen an die andere Seite, und die wird diese Bedingungen nicht akzeptieren als Vorleistung für einen Waffenstillstand. Also da man sich in keiner Weise auf irgendetwas einlassen will, was auch nur aussieht nach Gesprächen über welche politische Agenda auch immer, wird weiter gekämpft, und natürlich ist die amerikanische Botschafterin im Augenblick eine schlechte Vermittlerin. Amerika unterstützt die ungeheuer brutale Reaktion der Israelis im Libanon. Amerika ist dafür, dass weiter gekämpft wird, dass die Hisbollah sozusagen in die Knie gezwungen wird, um dann von dieser Position aus eine Art Waffenstillstand anzubieten. Und das halte ich für eine völlig unzureichende, völlig kontraproduktive Strategie.

    Welter: Was wäre die Alternative?

    Steinbach: Die Alternative wäre, dass man zu erkennen gibt, dass man zu Gesprächen bereit ist, wie man das ja früher auch schon zweimal getan hat mit der Hisbollah. Ähnliches müsste übrigens auch in Palästina geschehen, wo ja die Palästinenser noch immer einen israelischen Soldaten verschleppt haben, aber tausende von palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen sich befinden.

    Also ich glaube, man muss Signale geben, dass man hier in ein Gespräch eintritt, und glaube, das war ja wohl das Verhängnisvolle auch im Vorfeld der gegenwärtigen Krise, dass die Israelis zwar das eine oder das andere getan haben, was ein Schritt in die richtige Richtung hätte sein können, zum Beispiel der Rückzug aus Gaza. Dass sie es aber völlig einseitig gemacht haben, ohne die palästinensische Seite einzubeziehen, insbesondere den palästinensischen Präsidenten, dass sie gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft die legal gewählte palästinensische Regierung verteufelt haben und damit ein Vakuum geschaffen haben, in das hinein nun die Radikalen agieren.

    Welter: Aber wie sind Gespräche möglich angesichts auch der Militanz der Hisbollah?

    Steinbach: Die Hisbollah, und das werden die Israelis glaube ich erkennen müssen, das werden sie hoffentlich erkannt haben am Ende dieser Kämpfe, die Hisbollah ist militärisch nicht zu besiegen. Sie können jetzt den Libanon pulverisieren, und sie sind ja dabei das zu tun. Zehntausende sind auf der Flucht. Das ganze Land ist abgeschnürt, aber das lässt Hisbollah völlig unbeeindruckt, wie ja auch die Radikalen im Irak völlig unbeeindruckt sind, von den Schäden, die sie selber anrichten.

    Also man mag sie besiegen, man mag ihnen die Waffen wegnehmen, man mag den Rest des Libanons platt machen, aber die Bewegung bleibt, und die Bewegung vertieft sich ja immer weiter. Jeder Tag an dem gekämpft wird, vertieft den Hass auf Israel, vertieft den Hass auf den Westen, den Hass auf die Vereinigten Staaten. Und das verschärft das, was den Kern der Krise ausmacht, nämlich das Bewusstsein dafür, in einer Situation zu sein, aus der heraus man sich, sprich die arabische Welt, gegebenenfalls mit Gewalt zu befreien hat.

    Welter: Eine Schlüsselrolle, Herr Steinbach, in diesem Konflikt kommt Syrien und dem Iran zu. Schauen wir zunächst nach Damaskus. Der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, Primor, hat diese Woche im Deutschlandfunk die Auffassung vertreten, dass Israel noch umhinkomme, mit Syrien Gespräche zu führen. Teilen Sie diese Meinung?

    Steinbach: Ja, das teile ich. Ich glaube, dass Gespräche überhaupt geführt werden müssen. Wir haben ja gerade einmal über Gespräche gesprochen. Syrien ist ein wichtiges Glied in dieser Kette, wenn auch nicht entscheidend. In Syrien leben und agieren führende radikale palästinensische Führer. Also mal das Gespräch suchen mit den Syrern und sie nicht einfach wie die Amerikaner das tun, auf eine Achse des Bösen zu setzen, dann ist Schweigen angesagt, das ist wichtig. Genau so wie wichtig ist, dass man endlich mit Iran zu sprechen beginnen auch über den Irak, über die Palästinakrise, über die Atomfrage, es sind so viele Dinge, über die gesprochen werden muss und es wird viel zu wenig gesprochen, es wird viel zu viel diktiert.

    Welter: Sie vertreten also die Auffassung, Herr Steinbach, dass Syrien, aber auch der Iran in den vergangenen Jahren zu sehr dämonisiert worden sind?

    Steinbach: Ja, diese Auffassung vertrete ich definitiv, das gilt insbesondere auch für den Iran. Sicherlich, dieses Regime, insbesondere der jetzige Präsident, ist einem nicht geheuer. Was er da von sich gibt in Sachen Israel ist unakzeptabel, aber ich glaube, wir müssen erkennen, dass man an dem Iran überhaupt nicht mehr vorbeikommt. Die Krise im Irak hat den Iran enorm aufgewertet. Es läuft nichts mehr im Irak ohne Iran, und damit ist Iran zu einer regionalen Macht geworden, eine regionale Macht, die in der einen oder der anderen Weise ihren Einfluss auch über den Irak hinaus, bis nach dem Libanon, bis nach Palästina. Das ganze ist heute ein Politfeld geworden, in dem die verschiedenen Mächte, die verschiedenen Kräfte, zusammengehalten durch die islamistische Ideologie, dominieren.

    Welter: Es fällt aber auf, was den Iran betrifft, Herr Steinbach, dass in den vergangen Tagen von dort keine markigen Worte kamen. Welche Position sucht der Iran offenbar oder offenkundig jetzt in dieser aktuellen Situation?

    Steinbach: … es kam ein Brief an Frau Merkel, nachdem Herr Ahmadineschad schon Herrn Bush geschrieben hatte. Iran versucht einfach Normalität zu demonstrieren, versucht zu sagen, es gibt ein paar politische Probleme zwischen uns, lass’ uns doch darüber sprechen, das ist der Duktus der Briefe von Ahmadineschad gewesen. Und ich glaube die Iraner spielen es sehr geschickt. Sie sind auf der einen Seite überall präsent. Sie haben ihre Fäden überall drinnen.

    Auf der anderen Seite tun sie so, als seien sie gesprächsbereit, als ginge es ihnen allein um die Politik, und ich glaube, dass Iran gar keinen Anlass sieht, im Augenblick, seinen Kopf aus dem Graben zu strecken. Sondern man handelt einfach, man zieht die Fäden und ansonsten tut man so, als sei man unbeteiligt und gibt der internationalen Gemeinschaft keinen Anlass, gewissermaßen auch Iran in irgendwelche Überlegungen zu militanten Aktionen einzubeziehen.

    Welter: Ist dem Iran da zu trauen?

    Steinbach: Wir haben es in der Vergangenheit immer wieder erlebt, in den 1990er Jahren auch. Bis zum Ende der Ära Chatami, 2004, 2005. Die Iraner sind letzten Endes pragmatisch. Sie sind ein Volk, das endlich seine Rolle spielen möchte. Seine Rolle von gleich zu gleich, auf der gleichen Augenhöhe mit den anderen regionalen Mächten, mit den Vereinigten Staaten, insbesondere auch mit Israel. Und so lange ihnen diese Rolle auf der gleichen Augenhöhe verwehrt wird, so lange werden sie immer gewissermaßen von unten, von hinten, aus dem Hintergrund heraus versuchen, ihre Fäden zu ziehen und deutlich zu machen, anzudeuten, der internationalen Gemeinschaft klar zu machen, dass ohne Iran eben nichts mehr läuft. Gegebenfalls mit Mitteln, wie wir sie im Augenblick sehen.

    Welter: Nun hat Russland in dieser Woche Nahost-Gespräche in Rom vorgeschlagen. Liegt einer der Schlüssel zur Lösung des Konfliktes in Moskau?

    Steinbach: Nein, auch nicht. Die Russen spielen ihre Spiele im Augenblick. Herr Putin wittert Morgenluft. Russland kommt als Nahost-Macht wieder ins Bild, nachdem man viele Jahre ja keine Rolle mehr gespielt hat. Mit dem Ende der Sowjetunion war das Ende Russlands als einer Nahost-Macht angesagt. Herr Putin versucht das eine oder andere, und angesichts der völligen Unzulänglichkeit westlicher Politik, amerikanischer Politik. Ob das den Irak betrifft, ob das die Atomfrage betrifft, ob das die Palästinafrage betrifft, der Westen hat hier völlig versagt, insbesondere Amerika. Condoleezza Rice jetzt in Israel, jetzt im Nahen Osten, um den Israelis noch einmal nahe legend, erst einmal weiter zu kämpfen. Das ist unzureichend, das ist kontraproduktiv, und in diese Vakuum hinein stößt sehr geschickt, sehr realpolitisch Herr Putin.

    Welter: Sie rechnen nicht damit, dass die Diplomatie in dieser Woche große Chancen haben wird. Herr Steinbach, was halten Sie von dem Vorschlag, eventuell internationale Friedenstruppen zu schicken?

    Steinbach: Ja aber doch nicht heute und morgen. Darüber kann man nachdenken, wenn das Kämpfen vorbei ist und wenn man erst einmal einen politischen Rahmen gefunden hat, innerhalb dessen dann diese internationale Friedenstruppe ihren Platz finden soll. Man kann sich schwer vorstellen, dass in diesem Chaos jetzt im Libanon deutsche oder welche Soldaten immer einer internationalen Friedenstruppe sich tummeln oder dass zu einem späteren Zeitpunkt eine Friedenstruppe an der israelisch-libanesischen Grenze aufgestellt wird und da mittenherum bewaffnete Hisbollahs sich tummeln. Das ist völlig undenkbar.

    Also ich glaube, bevor es dazu kommt, werden noch viele Gespräche geführt werden müssen, muss vor allen Dingen ein dauerhafter und stabiler Waffenstillstand an der libanesisch-israelischen Grenze hergestellt werden. Vielleicht muss sogar ein bisschen Bewegung in die israelisch-palästinensische Frage kommen.

    Welter: Udo Steinbach, Leiter des Orientinstituts in Hamburg. Danke für das Gespräch!