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Steinbrück zufrieden mit Rot-Grün

Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, zeigt sich optimistisch, was den Ausgang der Landtagswahl in NRW betrifft. Rot-Grün habe das Land in den letzten Jahren " ganz gut geführt". Das angebliche Tief von Rot-Grün halte er eher für eine Medieninszenierung, so Steinbrück weiter.

Moderation: Jürgen Zurheide | 26.03.2005
    Jürgen Zurheide: Zwischenzeitlich gab es ja so etwas wie ein Stimmungshoch, zumindest bei der SPD, und damit natürlich auch bei den Rot-Grünen. Die große Frage: Befindet sich die SPD und befindet sich Rot-Grün nun auf der Rutschbahn oder auf der Achterbahn? Für beides gibt es Hinweise, vor allen Dingen, Rot-Grün scheint ja, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, an Strahlkraft verloren zu haben. Das kostet vor allen Dingen bei der SPD Stimmen. Der Nächste, der dieses Experiment in der Realität überprüfen lässt, ist Peer Steinbrück, der Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen. Dort wird gewählt am 22. Mai, und ihn haben wir jetzt am Telefon. Herr Steinbrück, sowohl Sie als auch Landesparteichef Harald Schartau haben die Grünen heftiger kritisiert und haben gesagt, sie müssen bei den Arbeitsplätzen mehr tun. Vielleicht, das ist die Frage, brauchen die Grünen so etwas wie Sie, die SPD, bei Godesberg nämlich schon mal gehabt haben, eine Veränderung der Politik hin zu mehr Arbeitsplätzen?

    Peer Steinbrück: Ja, ich bin nicht derjenige, der den Grünen vorzuschreiben hat, ob sie ein Godesberg oder eine Programmüberarbeitung brauchen. Aber es gilt für alle Parteien, sie müssen sich "auf der Höhe der Zeit" bewegen, sinngemäß wie das Willi Brandt gesagt hat. Und die "Höhe der Zeit" wird im Augenblick bestimmt von den Problemen, die wir auf dem Arbeitsmarkt mit einer unzureichenden Wachstumsdynamik in Deutschland haben und mit den Finanzierungsproblemen für unsere sozialen Sicherungssysteme. Das sind die Prioritäten und auf die müssen wir uns politisch einlassen.

    Zurheide: Bei den Grünen stellt man aber fest, dass da, wo sie was positiv für die Wirtschaft bewegen, es natürlich viel mit Subventionen zu tun hat - im Energiebereich, bei der Windenergie. Kann man das durchhalten?

    Steinbrück: Nein. Sie können nicht auf Dauer gegen einen Markt ansubventionieren. Sie können Prozesse darüber erleichtern, Sie können über Sinkflüge auch soziale und ökonomische Anpassungsprozesse darüber gestalten - Stichwort zum Beispiel: Steinkohle -, aber auf Dauer bin ich ein Gegner, dass mit Steuermitteln gegen Marktentwicklungen ansubventioniert wird. Umgekehrt, wir haben viele positive Beispiele - übrigens auch in den USA, da maßgeblich übrigens aus dem Verteidigungshaushalt -, dass mit staatlichen Leistungen Prozesse in Gang gesetzt werden können, die dann einen selbsttragenden Prozess haben. Ich glaube, die Luft- und Raumfahrindustrie in Europa ist ebenfalls ein Beispiel dafür.

    Zurheide: Nun treten Sie ja wieder an für Rot-Grün und mit Rot-Grün. Hat Rot-Grün nicht so viel Strahlkraft verloren, dass das ein hoffnungsloses Unterfangen ist?

    Steinbrück: Nein. Ich glaube, das ist eher im Augenblick eine Medieninszenierung - so wie man ohnehin den Eindruck gewinnen kann, dass alle vier Wochen das Spitzenthema ausgetauscht werden muss. Das war vielleicht noch im November der Türkei-Beitritt, im Dezember ist es eine Patriotismus-Debatte, im Dezember/Januar ist es die Maut-Einführung, dann ist es die Einführung von Hartz-IV, jetzt ist es die Magie der Zahlen aus der dramatisch hohen Arbeitslosigkeit und dann wechselt das Thema und geht auf Rot-Grün. Jede Landtagswahl hat ihre eigenen Bedingungen und Voraussetzungen. Das gilt für Nordrhein-Westfalen, das gilt für Bayern, das gilt für Schleswig-Holstein. Und insofern folgen wir auch ganz spezifischen Bedingungen in Nordrhein-Westfalen für die Landtagswahl am 22. Mai.

    Zurheide: Aber wo sehen Sie denn Strahlkraft für Rot-Grün? Die ist doch nicht zu erkennen.

    Steinbrück: Ja, ich glaube, dass Rot-Grün immerhin darauf hinweisen kann, in den letzten fünf Jahren dieses Land Nordrhein-Westfalen sowohl im Strukturwandel wie auch in der sozialen Balance ganz gut geführt zu haben. Damit sage ich ja nicht, dass alles prima ist oder dass alles uns gelungen ist. Aber es ist uns vieles gelungen. Und im Übrigen steht Rot-Grün immer noch für eine Schnittmenge, wo wir auf der einen Seite nicht den Marktradikalisten folgen im Lager der FDP und auch der CDU, sondern diese Balance weiter fortsetzen wollen, im Sinne eines Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen, der erforderlich ist, aber darüber den Zusammenhalt dieser Gesellschaft, auch die liberale und zivile Gesellschaft darüber nicht aus dem Auge zu verlieren.

    Zurheide: Nun verlieren Sie, die SPD, stärker als alle anderen bei Ihren Stammwählern, also die traditionellen Schichten, die Sie immer unterstützt haben, die haben Verlustängste, die bleiben zu Hause oder sind völlig aus dem politischen Raum weg. Alleine mit so einem Kampf gegen die Dienstleistungsrichtlinie jetzt in Brüssel werden Sie die doch nicht zurückbekommen, oder?

    Steinbrück: Nein. Aber immerhin. Es war ja nicht die CDU/CSU, die da gekämpft hat, sondern es war diese von Gerd Schröder geführte Bundesregierung, die dort gekämpft hat, und zwar für Arbeitsplätze in Deutschland. Wichtig ist hier, die Unterscheidung klar auszumachen: die SPD gegen die CDU. Eine CDU, die in ihrem Programm die Mitbestimmung infrage stellt, die den Kündigungsschutz alle 14 Tage auf den Prüfstand stellt, die die Tarifautonomie infrage stellt. In der Tat, das sind die großen Unterscheidungsmerkmale, die in einem solchen Landtagswahlkampf eine Rolle spielen. Im Übrigen auch die Programmaussagen meines Herausforderers, denn der will sehr schnell Arbeitsplätze kündigen im öffentlichen Dienst, er will dies auch im Bergbau machen - dies hat alles eine Erschütterungsdynamik, wo am Ende mehr Arbeitslose stehen als vorher.

    Zurheide: Nun hat der Bundespräsident noch mal gesagt, Sie haben es auch vorhin angesprochen, vieles muss getan werden, um "Vorfahrt für Arbeit" zu haben. Reicht das alleine aus oder muss da noch was hinzukommen?

    Steinbrück: Ja, ich glaube, dass man das eine tun muss, ohne das andere zu lassen. Wir in Deutschland bewegen uns ja immer in so Entweder-Oder-Kategorien, statt sehr viel pragmatischer uns vorzustellen, einerseits notwendige Reformen in Gang zu setzen beziehungsweise so zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, wie wir das bei Hartz-IV machen müssen. Und auf der anderen Seite, das, was ich den "Kitt" dieser Gesellschaft nenne, den Zusammenhalt dieser Gesellschaft nicht aus dem Auge zu verlieren. Mir ist weder mit denjenigen geholfen, die immer nur aufs Gaspedal drücken wollen und dabei ihnen es ziemlich egal ist, ob hinten von dem beschleunigten Zug ein paar Waggons aus den Schienen springen. Und mir ist auch nicht geholfen mit denjenigen, die sagen: "Die Strukturen können alle so bleiben, wir können das alte, uns wohlbekannte Sofa, das schon die Weinflecken hat und die Asche aus vielen Jahren, das können wir weiter so in unserem Wohnzimmer stehen lassen". In Wirklichkeit wissen wir, wir müssen es austauschen, wir müssen es renovieren.

    Zurheide: Nun braucht es aber dennoch noch weitere Reformen. Und manchmal hat man den Eindruck, dass das in Berlin nicht so ganz verstanden wird. Zum Beispiel im Gesundheitswesen steht die große Frage an: Kopfpauschale, Bürgerversicherung. Wie klar ist die SPD denn da überhaupt positioniert? Auch unterschiedlich zur CDU?

    Steinbrück: Ja, nun erst mal muss man sehen, zwischen der Definition von Reform und der Umsetzung von Reform liegt ein ziemlich hartes Stück und ziemlich dickes Brett, das gebohrt werden muss. Das vergessen diejenigen, die diese Reform nicht umzusetzen haben, die dafür auch keine Mehrheiten oder Konsens oder mindestens Zustimmung zu organisieren haben. Angekündigt für diese Legislaturperiode ist die Notwendigkeit zum Beispiel einer Reform der Bund-Länder-Beziehung, Stichwort: Föderalismus.

    Zurheide: Ja kommt das noch zustande?

    Steinbrück: Ich erwarte dies strikt, auch gerade nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers und erneuten Annäherungsversuchen zwischen CDU/CSU und der SPD.

    Zurheide: Sehen Sie denn die Bereitschaft der Bundesregierung, dass man da auch Kompetenzen beim Bildungsbereich abgibt? Das ist ja wohl notwendig?

    Steinbrück: Ja. Nach den jüngsten Einlassungen - übrigens nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von erfreulichen Hinweisen, die es, glaube ich, von Herrn Stoiber, Kollege Stoiber dazu gegeben hat - sehe ich die Möglichkeit. Die Pflegeversicherung: es wird einen Gesetzentwurf erkennbar geben vor Ende dieser Legislaturperiode. Was die Gesundheitsfinanzierung betrifft, sind die beiden Modelle sehr weit auseinander, das Prämien-Modell der CDU/CSU und unser Bürgerversicherungsmodell auf der anderen Seite. Ich glaube, es wird dort Annäherungen geben müssen, also eine Kooperation der großen politischen Kräfte in Deutschland, ohne dass man deshalb gleich immer über eine Große Koalition räsonieren muss.

    Zurheide: In Umfragen liegen Sie, also Rot-Grün, deutlich hinter der CDU. Können Sie das überhaupt noch drehen, die Zeit ist doch viel zu kurz, oder?

    Steinbrück: Ah. Wir haben eine furchtbare Europawahl hinter uns, das ist neun Monate her oder zehn Monate her. Und wir haben zwischen der Europawahl im Mai 2004 auf die Kommunalwahl im September/Oktober 1,1 Millionen Wähler dazugewonnen. Wenn wir jetzt noch mal 800.000 bis 900.000 Wähler dazugewinnen würden gegenüber der Kommunalwahl, dann würden wir die Landtagswahl gewinnen. Das ist das, was wir demoskopisch wissen. Und diese Wahl wird entschieden in den letzten zwei bis drei Wochen. Das, was wir wissen ist, dass 20 bis 25 Prozent der Menschen sich buchstäblich erst in den letzten Tagen entscheiden, ob sie zur Wahl gehen und wen sie wählen. Das heißt, es wird darauf ankommen, wie wir mobilisieren, dass wir deutlich machen, wo sind die Unterschiede zur CDU, vielleicht auch ein bisschen stärker betonen, dass nur mit Nordrhein-Westfalen nicht eine der letzten sozialdemokratischen Bastionen in der Republik aufgegeben werden sollte. Und es wird auch auf den Personenvergleich ankommen, nach dem Motto: "Wollen Sie Herrn Rüttgers oder wollen Sie Herrn Steinbrück als Ministerpräsidenten?".