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Steinkohleabbau in Russland
Schuften für deutsche Kraftwerke

Deutschland hat das letzte seiner Steinkohle-Bergwerke geschlossen. Um in den verbliebenen Kraftwerken weiter Strom zu produzieren, importieren die Betreiber den Brennstoff aus anderen Ländern, etwa aus Russland. Im größten Abbaugebiet gibt es kaum Vorschriften - fatal für die Menschen.

Von Thielko Grieß | 23.09.2019
Steinkohleabbau im Kusnezker Becken in Sibirien in Russland
Steinkohleabbau im Kusnezker Becken in Sibirien in Russland (Thielko Grieß / Deutschlandfunk)
Der ständige Staub war ja schon schwer zu ertragen. Aber nun schwelt am Ende der Himbeer-Gasse auch noch ein Brand unter der Erde. Dort, wo Abraum eines nahen Tagebaus Hügel in die Landschaft geformt hat. In ihm enthaltene Steinkohle hat sich entzündet und glüht nun unterirdisch. Das ist zwar kaum zu sehen, dafür aber weht ein süßlicher Geruch durch die Luft. Den Schwelbrand, erzählt Anwohner Witalij, hätten sie Ende Mai bemerkt.
"Vom Zaun an diesem Haus bis zur Abraumgrube sind es nur 15 Meter. Es hat viel gestaubt, schwarzer Staub. Ich bin am nächsten Morgen aufgewacht, habe mich gefühlt, als ob ich einen Kater hätte. Wie vergiftet. Mir war schwindelig und übel. In den zwei Tagen danach bin ich fast krepiert."
Aus den Glutnestern entweichen giftige Gase. Behörden hätten zwar Luftmessungen unternommen, es aber so eingerichtet, dass bei denen nichts herauskam:
"Erstens sind sie gekommen, als es geregnet hatte, dann ist es natürlich besser. Zweitens hat zu dem Zeitpunkt niemand im Tagebau gearbeitet. Und sie haben ihr Auto in den Wind gestellt und dann gemessen – und alles war in Ordnung."
Die Behörden warfen den Anwohnern gar vor, den Brand selbst verschuldet zu haben. Sie hätten illegal Müll entsorgt, der nun eben brenne.
Areale, auf denen der Regen verdampft
Heute ist ein grauer, regnerischer Tag, bunte Blätter kündigen den kurzen sibirischen Herbst an. Wer in der Bergarbeiter-Stadt Kisseljowsk den Blick über die Hügel rundherum streifen lässt, entdeckt immer wieder Areale, auf denen der Regen verdampft. Weitere Schwelbrände. Im Winter schmilzt dort der Schnee. Wo er liegen bleibt, wird er schwarz, wegen des Kohlestaubs.
Viele Straßen sind auch wegen des Kohlestaubs zu verdreckt
Viele Straßen sind auch wegen des Kohlestaubs zu verdreckt (Deutschlandradio / Thielko Grieß)
Kisseljowsk ist wegen der Steinkohle entstanden und zählt heute rund 90.000 Einwohner. Fast jeder Arbeitsplatz hier hängt mit der Kohle zusammen. Gebaggert wird in neun Tagebauen, weshalb viele Siedlungen an sie angrenzen. Gesetzlich vorgeschrieben ist ein Mindestabstand von einem Kilometer, der aber häufig unterschritten wird, worauf die Umweltschutzorganisation Ecodefense seit Jahren hinweist.
Als Witalij und seine Nachbarn kaum noch atmen konnten, schrieben sie Eingaben an die Stadtverwaltung. Doch dort habe niemand reagiert. Dann haben sie ein Video gedreht. Es steht bei Youtube.
Darin bitten sie um Asyl in Kanada. Ein Hilferuf, erzählt Irina Nikitina, Mutter zweier Kinder und auch Anwohnerin.
"Das Video hatte nicht wirklich zum Ziel, das Land zu verlassen, sondern dazu, dass unsere Regierung auf uns aufmerksam wird, wo Menschen leben, lebende Menschen."
Für kurze Zeit schienen sie Erfolg zu haben, als plötzlich der Gouverneur der Region in ihrer Siedlung erschien und eine baldige Umsiedlung versprach.
"Aber irgendwie, als der Gouverneur wieder wegfuhr, war auch schon wieder alles vorbei, keine Rede mehr von Umsiedlung", berichtet Witalij.
In der Stadt gibt es zwar keine verlässliche Statistik über Krebserkrankungen, aber viele Hinweise darauf, dass die sehr weit über dem Durchschnitt liegen, sagt Natalja Subkowa. Sie ist unabhängige Journalistin, eine von wenigen in Kisseljowsk.
"Vor allem treten Haut- und Lungenkrebs auf, wegen der giftigen Phenoldämpfe. Am Beispiel meiner Bekannten kann ich sagen, dass in jeder Familie Krebs vorkommt. Bei uns war es der Großvater, der schon tot ist. Befallen waren Nieren, Magen und die Schilddrüse. Es gibt Fälle, in denen Babys im Alter von weniger als einem Jahr schon Leberkrebs haben. Ihre Mütter spenden ihnen dann einen Teil ihrer eigenen Leber."
Subkowa brachte zwei Kinder mit Nierenschaden auf die Welt.
Die Stadtverwaltung von Kisseljowsk will von all dem nicht viel wissen. Ihr Chef, Maxim Schkarabejnikow, zeichnet stattdessen das Bild einer prosperierenden, lebenswerten Stadt.
"Ich weiß gar nicht, worauf ihre Frage zielt, welche ökologischen Probleme. Die Stadt liegt im Zentrum des Kusnezker Beckens, und ein guter Teil der Stadt entwickelt sich, wo gebaut wird, wo soziale Infrastruktur hinzukommt."
Kostenlose Sozialleistungen für Bergbaubeschäftigte
Die Kohlekonzerne hielten den Mindestabstand zu Siedlungen und Stadtteilen ein, worüber seine Stadtverwaltung wache, wie er versichert. Außerdem seien in den vergangenen drei Jahren 2.000 Häuser für Umsiedlungen neu gebaut worden seien, bezahlt von Föderation, Region und Unternehmen.
"Und in diesem Jahr sind es 320 Häuser, in die wir schon umgesiedelt haben. Das sind Zahlen nicht allein für Kisseljowsk, sondern für die ganze Region."
Blick auf das Gelände neben der Siedlung, wo nun ein Kohlebrand gelöscht werden soll (Bleib stehen! Kein Durchgang!)
Blick auf das Gelände neben der Siedlung, wo nun ein Kohlebrand gelöscht werden soll (Bleib stehen! Kein Durchgang!) (Deutschlandradio / Thielko Grieß)
Bergbaubeschäftigte und ihre Familien hätten außerdem Anspruch auf kostenlose Sozialleistungen, Urlaub am Meer und Zusatzzahlungen. Das geht auch aus einem Antwortschreiben eines der Bergbauunternehmen auf Anfrage dieses Senders hervor. Die Anwohner aus der Himbeer-Gasse widersprechen: Solche Leistungen bekomme nur ein kleiner Kreis.
Sie können ohnehin nirgendwo hin. Nicht nach Kanada, und auch nicht in andere russische Regionen, sagt Irina, Mutter zweier Kinder.
"Wir würden umziehen, wenigstens in eine andere Stadt. Ausschließlich wegen der Kinder. Sie haben hier keine Zukunft."
Doch für einen Umzug fehlt ihnen das Geld. Die Familien müssen mit 500 bis 600 Euro monatlich über die Runden kommen. Und bald beginnt wieder die Heizperiode. Sie heizen ihre Häuser mit Kohle. Und die müssen sie kaufen; ein Winter Wärme kostet so allein schon etwa 300 Euro.
Draußen, wo die Abraumhalde unterirdisch schwelt, rattert seit einiger Zeit ein Kompressor. Das ist der Versuch, den Schwelbrand zuerst mit Wasser und dann mit Stickstoff zu löschen. Doch es gibt in dieser Stadt Kisseljowsk andere Kohlebrände, die schon Jahrzehnte schwelen, sodass sich kaum einer noch erinnert, wer oder was sie einst ausgelöst hat.