Freitag, 19. April 2024

Archiv


Steinmeier kritisiert deutsches Vorgehen nach Libyen-Resolution

Nach der UN-Entscheidung zum Militäreinsatz in Libyen gelte es nun, die Operation schnellstmöglich zum Ziel zu führen, sagt Frank-Walter Steinmeier. Er verstehe allerdings nicht, warum man im Vorfeld des Konfliktes nicht in der Lage war, den libyschen Diktator von seinen Geldquellen abzuschneiden.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Gerwald Herter | 01.04.2011
    Gerwald Herter: Wo möglich wird der Krieg in Libyen noch lange dauern. Immer wieder greifen Rebellen Gebiete an, die von Gaddafis Truppen gehalten werden. Sie weichen zurück und schlagen dann wieder zu. Hält der revolutionäre Elan der Aufständischen trotzdem an?

    Vor der Sendung habe ich mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier über den Preis gesprochen, den Deutschland für seine Enthaltung bei der Abstimmung der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat zahlen muss. – Herr Steinmeier, ohne Kontinuität ist deutsche Außenpolitik undenkbar. Die Große Koalition hatte sich bereits um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bemüht, die regierende schwarz-gelbe Koalition tut das auch. Sollte Deutschland diesen Wunsch jetzt aber nicht besser aufgeben?

    Frank-Walter Steinmeier: Sie sollte ihn nicht aufgeben, aber ich gebe Ihnen zu: Dieser Sitz ist durch das Verhalten der Bundesregierung, auch durch das Agieren nach der Abstimmung im Sicherheitsrat nicht gerade näher gerückt.

    Herter: Realpolitik ist für Sie ja kein Schimpfwort, wie Sie jüngst bekannt haben. Was ist denn realistisch daran, sich an die Seite Indiens und Chinas zu stellen, die UN-Vetomächte Frankreich, USA, Großbritannien im Regen stehen zu lassen und dann noch einen ständigen Sitz zu fordern?

    Steinmeier: Natürlich muss es das Bestreben der deutschen Außenpolitik sein, auch im NATO-Bündnis und innerhalb der Vereinten Nationen Partner im Westen zu suchen. Das ist bei früheren strittigen Abstimmungen, die es in der Vergangenheit auch gab, gelungen. Dazu muss man sich bemühen im Vorfeld der Abstimmungen. Ich glaube, das was hier wirklich schief gegangen ist, ist, dass man sich darauf verlassen hat, dass Portugal und die USA schon an der Seite Deutschlands bleiben würden. Es gab ja auch aus beiden Ländern viele kritische Stimmen, gerade aus den dortigen Verteidigungsministerien, über die Frage, ob ein militärisches Eingreifen zum jetzigen Zeitpunkt richtig kommt. Darauf hat man sich verlassen, statt sich darum zu kümmern, dass sie an unserer Seite bleiben. Am Ende war man überrascht davon, dass Portugal und die USA beide einen anderen Weg gegangen sind. Das war die Ursache für das Auseinanderlaufen des Westens und die Isolation der Bundesregierung.

    Herter: Hat die SPD mit dieser Entwicklung Schritt halten können?

    Steinmeier: Ich glaube, sie hat Schritt halten können, aber ich verhehle nicht, dass wir auch in der SPD darüber streiten. Sie wissen, dass ich den Militäreinsatz zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen schlecht vorbereitet fand und deshalb ein ziemliches Wagnis fand, zu diesem Zeitpunkt der Vorbereitungen einzuschreiten. Ich habe mit Verlaub in der Vergangenheit die eine oder andere vergleichbare kritische Situation erlebt, weiß, wie viel Vorbereitungszeit man braucht, um militärisch agieren zu können. Hier ist das im Grunde genommen über Nacht entschieden worden, auf Betreiben einiger weniger westlicher Nachbarn, die über offensichtlich bessere Informationen verfügten als andere. Das hat dazu geführt, dass die Streitigkeiten etwa über die Führung dieser Militäroperation nicht vor, sondern bereits vier, fünf, sechs Tage nach Beginn der militärischen Operation erst entschieden worden sind. Das war ein Risiko am Anfang und wir wissen noch nicht, wie sich das auf den weiteren Verlauf der Operation auswirkt.

    Herter: Hätte man mehr Vorbereitungszeit sich genommen – das kennen Sie auch aus Ihrer Erfahrung -, so hätte es gar nichts mehr vorzubereiten gegeben, weil die libyschen Truppen wahrscheinlich die Rebellen überrannt hätten.

    Steinmeier: Nein das ist die Frage, zu was man sich hätte vereinbaren können. Wir sind hier nicht am Nullpunkt gestartet, sondern der Konflikt in Libyen ist gesehen, beobachtet und bewertet worden, und natürlich gehört zur professionellen Vorbereitung auch der Ultima Ratio auch eines Militäreinsatzes, den ich ja nicht prinzipiell ablehne, wie Sie wissen, den ich in früheren Fällen auch mit entschieden habe. Natürlich gehört zur Eskalation eines solchen Konfliktes auch, dass man mit den Partnern andere Möglichkeiten studiert und gegebenenfalls auch vereinbart. Dazu gehörten härteste wirtschaftliche Sanktionen, zu denen man sich aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, im Vorfeld, in den Wochen vor der Zuspitzung des Konfliktes, hat offensichtlich nicht entscheiden können. Ich verstehe bis heute nicht, warum wir nicht und warum einige westliche Partner nicht bereit und in der Lage waren, Öl- und Gasausfuhren aus Libyen komplett zu stoppen und damit auch den Diktator von seinen Geldquellen abzuschneiden.

    Herter: Bleiben wir mal bei der SPD. Sie halten die Enthaltung der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat für verständlich und nachvollziehbar, das haben Sie erklärt. Bleibt es dabei?

    Steinmeier: Ich habe damals gesagt, dass ich die Zweifel über diesen Militäreinsatz nachvollziehen kann, und diese Zweifel hatte ich. Heute sage ich Ihnen ganz offen, nachdem das entschieden worden ist, gehört zu einer Haltung auch, dass man sagt, wenn sie entschieden worden ist, wenn die Operation läuft, dann muss sie auch schnellstmöglich Erfolg haben und nicht dazu beitragen, dass der Konflikt in Libyen noch über einen sehr langen Zeitraum mit Leid und Opfern unter der Zivilbevölkerung ausgetragen wird.

    Herter: Hören wir uns mal an, was Ihre Fraktionskollegin, die frühere Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, im Bundestag dazu gesagt hat.

    Heidemarie Wieczorek-Zeul: Es gibt das Prinzip der Schutzverantwortung, "Responsibility to Protect", und ich finde es eine Schande, dass die deutsche Bundesregierung in der Situation als Mitglied des UN-Sicherheitsrates sich enthalten hat. Gegenüber Despoten kann es in diesen Entscheidungen keine Enthaltung geben.

    Herter: Heidemarie Wieczorek-Zeul. – Der außenpolitische Sprecher Ihrer Fraktion, Herr Mützenich, hat gesagt, dass er die deutsche Enthaltung bedauere. Ist die SPD angesichts solcher Widersprüche denn regierungsfähig?

    Steinmeier: Da müssen Sie keine Sorge haben und mit Blick auf die anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag finde ich auch, das muss ja gar kein schlechtes Zeichen sein, wenn man über die Richtigkeit, den Zeitpunkt, die Qualität der Vorbereitung von Militäreinsätzen auch gelegentlich streitet, im deutschen Parlament, auch innerhalb der Parteien. Ich gebe Ihnen zu, die SPD ist da keine Ausnahme, und wir streiten ja nicht so sehr über die Frage des Verhaltens im Sicherheitsrat, wie man mit westlichen Partnern umgeht. Es ist eine Selbstverständlichkeit für uns, dass, wenn solche Entscheidungen gefallen sind, man nicht, wie das Beteiligte aus der Bundesregierung dann tun, öffentlich tun, auch in den nächsten Tagen noch nachtritt gegenüber diesen Partnern. Das alles schafft keine Freundschaften und bringt Verletzungen auch nicht aus der Welt. Aber wir haben schon unterschiedliche Auffassungen darüber gehabt, ob das der richtige Zeitpunkt zum militärischen Eingreifen war. Das ist zuzugeben und das war für die Vergangenheit so, aber die Auffassung heute ist gemeinsam, dass dieser Einsatz schnellstmöglich zu einem Ergebnis geführt werden muss.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, die "Informationen am Morgen", der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, über die deutsche Außenpolitik und über seine Partei, die SPD. – Herr Steinmeier, wollen Sie SPD-Kanzlerkandidat werden?

    Steinmeier: Ach, wissen Sie, das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Das ist eine Frage, bei der ich Ihnen sagen kann, sie wird gelegentlich von dem einen oder anderen Ihrer Kollegen auch gestellt. Wir sind doch alle professionell genug im Umgang miteinander, wir sind jetzt zweieinhalb Jahre vor der Wahl, und die SPD wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, würde sie jetzt eine Kandidatenfrage vom Zaune brechen. Deshalb haben Sie Verständnis, wenn ich sage, wir werden rechtzeitig zur Wahl 2013 einen Kandidaten haben und nur einen Kandidaten haben.

    Herter: Es wäre ein günstiger Zeitpunkt für Sie, jetzt nach vorne zu gehen. Sie sind derzeit der populärste deutsche Politiker.

    Steinmeier: Ich meine, ich gehöre zu den Politikern, überraschenderweise vielleicht, die sich über gute Umfragen eher freuen als über schlechte Umfragen. Es soll auch den einen oder anderen geben, der in vergleichbarer Situation gleich empfindet. Aber ganz im Ernst: die Popularität ist das eine, die öffentliche Akzeptanz freut mich, aber sie ist natürlich nicht die Vorentscheidung in der SPD für die Kanzlerkandidatur. Haben Sie keine Sorge, wir haben da keinen Streit untereinander, wir sind einig über das Verfahren und wir werden jetzt bestimmt nicht denjenigen auf den Leim gehen, die uns eine Kandidatendebatte aufzwingen wollen.

    Herter: Ihr Parteivorsitzender, Herr Gabriel, hat Herrn Steinbrück vorgeschlagen für die Spitze der Europäischen Zentralbank, für das Präsidium. Stehen Sie hinter diesem Vorschlag?

    Steinmeier: Das Thema ist erledigt! Ich gehöre auch zu denjenigen, die in der Tat gesagt haben, dass eine Bundesregierung nach dem Rückzug von Axel Weber dieses wichtigste europäische Amt an der Spitze der wichtigsten europäischen Institutionen, die noch offen ist, nicht ergebnislos aufgeben sollte, sondern war der Meinung, dass ein deutscher Kandidat hier weiterhin präsentiert werden sollte. Peer Steinbrück selbst hat diese Debatte dadurch beendet, dass er klipp und klar auch öffentlich gesagt hat, dass diese Berufung für ihn, die Kandidatur für ihn dafür nicht infrage kommt, damit ist die Debatte beendet.

    Herter: Haben Sie sich persönlich schon entschieden?

    Steinmeier: Wozu?

    Herter: Zur Kanzlerkandidatur?

    Steinmeier: Ich bin mit mir im Reinen, was meine politische Gegenwart angeht. Was die Zukunft angeht? Wer in Parteien arbeitet weiß, dass er das nicht völlig alleine entscheiden wird. Aber noch mal: Seien Sie versichert, Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und ich, wir sind eng beieinander und wir werden über diese Frage miteinander keinen Streit bekommen und das vor allen Dingen gemeinsam und rechtzeitig entscheiden. Insofern besteht keine Notwendigkeit, dass ich meine Zukunftsplanungen jetzt und dann auch noch über die Medien öffentlich mitteile.

    Herter: Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Wir haben dieses Interview vor der Sendung aufgezeichnet. Herr Steinmeier, vielen Dank.

    Steinmeier: Herzlich gerne! Danke Ihnen.

    Mehr zum Thema:
    Der arabische Aufstand - Sammelportal