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Stellenvergabe an Italiens Hochschulen
"Ein echtes Korruptionssystem"

Bei der Vergabe von Posten ist Korruption an italienischen Universitäten alltäglich. Doch der Widerstand gegen die mafiösen Strukturen wächst: Nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln inzwischen – auch Wissenschaftler organisieren sich und kämpfen undercover für mehr Transparenz.

Von Thomas Migge | 23.01.2019
    Hauptgebäude der Universität La Sapienza in Rom
    Hauptgebäude der Universität La Sapienza in Rom: Seit 2017 wurden in Italien rund 280 Fälle von Korruption bei Postenbesetzungen an Hochschulen aufgedeckt. (picture alliance / dpa / Isabella Bonotto)
    "Meine Geschichte ähnelt denen vieler anderer Nachwuchswissenschaftler. Wir können beste Noten vorweisen, zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Auszeichnungen etc. und doch finden wir im italienischen Hochschulwesen keinen Posten. Sicherlich: Es gibt immer wieder auch bessere Kandidaten für einen Posten, aber sehr oft scheitern wir an Konkurrenten, die einfach nur die besseren Beziehungen haben."
    Der junge Historiker Alessandro Orsini ist sauer. Er fühlt sich betrogen. Von einer, wie er sagt, akademischen Mafia, die viel zu oft jene begünstigt, die einen Uni-Posten nur deshalb bekommen, weil sie gewisse Beziehungen haben. Orsini gilt als einer der besten italienischen Kenner der Roten Brigaden, jener linksextremistischen Gruppierung, die in den 1970er-Jahren Angst und Schrecken verbreiteten. Für seine Publikationen erhielt er mehrere Auszeichnungen. Doch immer wieder, Jahre lang, ging Orsini bei Stellenausschreibungen für Nachwuchshistoriker an Hochschulen leer aus:
    "Man hat dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder sich anzupassen und Komplize im akademischen Korruptionsspiel zu werden, oder aber man geht ins Ausland."
    Tra-me - "Transparenza e merito"
    Alessandro Orsini tat nichts von beidem. Er wandte sich hingegen an die Staatsanwaltschaft. Und die nahm den Fall des jungen Historikers so ernst, dass sie mit Ermittlungen begann, und einem System illegaler Begünstigungen im Hochschulwesen auf die Spur kam.
    Orsinis Fall von nur einer von vielen. Seit Jahren fahnden Ermittler in ganz Italien nach den sogenannten "concorsi truccati", den getürkten Stellenausschreibungen im akademischen Bereich.
    Aber nicht nur die Staatsanwaltschaft sucht nach den Verantwortlichen dieser Form von Korruption. Auch die Mitglieder von Tra-me recherchieren. Tra-me steht für "Transparenza e merito", zu deutsch in etwa: Transparenz und Verdienst. Die Organisation wurde 2017 von Nachwuchswissenschaftler und Hochschulprofessoren gegründet, die es satt hatten, Opfer eines weit verbreiteten akademischen Korruptionssystems zu sein.
    "Wir wollen unsere Hochschule erneuern"
    Wie etwa der Agrarwissenschaftler Adamo Rombolà. Er ist eines der Gründungsmitglieder von Tra-me. Er wurde über zehn Jahre lang nie zu akademischen Stellenausschreibungen zugelassen:
    "Viele von uns werden bei diesem ständigen Kampf nicht nur depressiv. Es kam auch schon zu Selbstmorden. Deshalb mache ich bei Tra-me mit. Wir sehen uns als Partisanen, die von außen und innen heraus diesem System auf die Spur kommen wollen. Wir wollen unsere Hochschule erneuern."
    Die Organisation Tra-me arbeitet "undercover": wer alles zu den Mitgliedern zählt ist unbekannt. Aus berechtigten Gründen. Nur so ist es möglich, bei Kommissionssitzungen innerhalb von Fakultäten Absprachen über Kandidaten für frei gewordene Uniposten belauschen zu können, um dann Ross und Reiter mit Namen zu nennen und anzuzeigen. Seit 2017 wurden rund 280 Fälle von Korruption in Sachen illegaler Bevorzugungen bei Postenbesetzungen an Hochschulen aufgedeckt. Ein guter Teil davon dank der Informationen der Mitarbeiter von Tra-me.
    Baroni - die einflussreichen Professoren
    Im Zentrum der Anzeigen von Tra-me stehen immer wieder die sogenannten "baroni". Das sind jene innerhalb der Fakultäten einflussreichen Professoren, die in Sachen Stellenbesetzung über Gut und Böse entscheiden. Die Nachforschungen von Tra-me wie auch die Ermittlungen der Polizei ergeben immer wieder, dass diejenigen, die einen "barone" zum Verwandten oder Bekannten haben, problemlos einen Uniposten erhalten - auch dann, wenn sie im Vergleich zu anderen Kandidaten nicht die nötigen Voraussetzungen dazu mitbringen. Der römische Historiker Pier Giorgio Zunino, auch er macht bei Tra-me mit:
    "Die ‚baroni‘ machen Druck auf andere Professoren in den Bestellungskommissionen seiner Fakultät. Und sie sind mächtig, denn sie entscheiden auch über die Vergabe von Geldmitteln innerhalb ihrer Fachbereiche. Das ist ein echtes Korruptionssystem."
    Öffentliche Kandidatenanhörung
    An La Sapienza arbeitet das Rektorat seit kurzem mit der Organisation Tra-me zusammen. Kandidatenanhörungen für akademischen Posten finden nun öffentlich statt, berichtet Roberto Nicolai, Altphilologe an der römischen Hochschule:
    "Nur so ist ja echte Transparenz ja möglich. Wir Hochschullehrer und wir als akademische Institution versuchen auf diese Weise nicht mehr angreifbar zu sein."
    Auch wenn seit 2017, seit Gründung der Organisation Tra-me, viele "baroni" als korrupt entlarvt worden sind, ist diesem kriminellen System der Stellenvergabe nur schwer beizukommen. Aber die Mitarbeiter von Tra-me lassen sich nicht entmutigen.