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Sterbehilfe
Medizinethiker: Hilfe bei Selbsttötung zulassen

Ärzte sollen in Ausnahmefällen Suizidhilfe durchführen dürfen, fordert der Medizinethiker Ralf Jox im Interview mit dem Deutschlandfunk. Aktive Sterbehilfe solle aber weiterhin verboten bleiben und die Hilfe zur Selbsttötung auch nur unter strengen Bedingungen erlaubt werden.

Ralf Jox im Gespräch mit Sabine Demmer | 26.08.2014
    Ein jüngerer Mensch umfasst das Armgelenk einer älteren Person, die im Krankenbett liegt.
    Der Medizinethiker und Palliativmediziner Ralf Jox setzt sich für das Selbstbestimmungsrecht von Sterbenskranken und Ärzten ein. (picture alliance / dpa / Jm Niester)
    Sabine Demmer: Es gibt Menschen, die über Sterbehilfe nachdenken, etwa wenn sie unheilbar krank sind und unter großen Schmerzen leiden. Die aktive Sterbehilfe in Deutschland ist verboten, in anderen Ländern hingegen erlaubt, und so zieht es immer mehr Menschen, die sich für die aktive Sterbehilfe entscheiden, in die Schweiz. Das bestätigen aktuelle Studien. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl derer verdoppelt, die zum Sterben in die Schweiz gefahren sind.
    Nach der Sommerpause wird sich der Deutsche Bundestag auch mit dem Thema beschäftigen. Dort möchte man über eine gesetzliche Regelung des assistierten Suizids debattieren. Wissenschaftler haben sich jetzt zusammengetan und wollen die Politik mit ihren Erkenntnissen konstruktiv unterstützen. Es sind Medizinethiker, Medizinrechtler und Palliativmediziner, die ein Buch dazu geschrieben haben. Es heißt "Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben".
    Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dieser Thematik haben die Autoren heute Vormittag in München vorgestellt. Einer dieser Experten ist Ralf Jox, mit dem ich jetzt gerne darüber sprechen möchte. Herr Jox, Sie sind Medizinethiker. Sie und Ihre Kollegen wollen mit Ihrem Fachwissen den Politikern helfen, eine gesetzliche Regelung zu finden. Wie sähe das perfekte Gesetz Ihrer Meinung nach aus?
    "Wir wollen die aktive Sterbehilfe weiterhin verboten lassen"
    Ralf J. Jox: Das was bisher diskutiert wird, ist ein Verbot der organisierten Sterbehilfe oder ein Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe. Aber es wird nicht diskutiert, wie denn dann konkret die Sterbehilfefälle, die erlaubt sind, aussehen sollen. Und unserer Meinung nach gibt es hier sehr viele Regeln, die zu beachten sind. Was wir vorschlagen ist, dass Ärzte in Ausnahmefällen die Suizidhilfe durchführen dürfen, nachdem sie eine ganze Reihe von sehr strengen Bedingungen beachtet haben.
    Demmer: Aktive Sterbehilfe in Deutschland ist derzeit verboten. Sollten wir das Ihrer Meinung nach in Deutschland erlauben?
    Jox: Wir wollen die aktive Sterbehilfe weiterhin verboten lassen. Aktive Sterbehilfe bedeutet ja, dass ein Arzt oder jemand anderes tatsächlich das Gift spritzen kann, um den Menschen zu töten. Das wollen wir den Ärzten nicht erlauben, sondern das Einzige, was wir unter sehr strengen Ausnahmeregeln zulassen möchten, ist die Hilfe bei der Selbsttötung. Das heißt, dass zum Beispiel ein Arzt ein bestimmtes Medikament verschreibt und dem Patienten mitgibt, aber der Patient, der Kranke muss selbst dann aus dem Leben scheiden.
    Demmer: Halten Sie sich als Arzt denn für so fähig, solch eine schwerwiegende Entscheidung zu fällen?
    Jox: Es geht bei diesen Entscheidungen im Wesentlichen um zwei wichtige Punkte. Das erste ist zu erkennen, ob der Kranke wirklich freiwillig, freiverantwortlich im vollen Bewusstsein seiner geistigen Kräfte diese Entscheidung oder diesen Wunsch äußert und ob nicht etwa eine psychische Erkrankung, eine Depression vorliegt. Und das zweite ist zu erkennen, ob alle anderen Möglichkeiten ausgereizt sind, ob es noch Möglichkeiten der palliativmedizinischen Behandlung, Betreuung gibt, der Linderung von Beschwerden. Diese zwei Einschätzungen kann am besten ein Arzt beurteilen.
    Was wir mit dem Gesetz auch wollen ist, dass wir nicht nur die Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger respektieren wollen, derer, die sterben wollen, sondern dass wir auch das Leben schützen wollen. Und wir wissen aus den anderen Ländern, dass in vielen Situationen, wenn Patienten um Suizidhilfe wünschen und ihren Arzt ansprechen, dass dann diese Patienten auch für das Leben gewonnen werden können. Wir wissen etwa aus Washington, dass 80 Prozent der Patienten, die ihren Arzt bitten um Suizidhilfe, letztlich nicht durch Suizid sterben.
    "Patienten würden vor den Zug springen, wenn ihnen nicht geholfen wird"
    Demmer: Was für praktische Erfahrungen haben Sie denn persönlich als Arzt und Medizinethiker mit dem Thema Sterbehilfe gemacht?
    Jox: Ich habe lange Zeit gearbeitet in diesem Bereich auf einer Palliativstation, habe es extrem selten erlebt, dass Patienten wirklich den Wunsch äußern, frühzeitig selbst aus dem Leben zu scheiden mit einer Hilfe beim Suizid. Aber selbst diese wenigen Fälle, die ich erlebt habe, haben mir deutlich gemacht, dass das Patienten waren, die eigentlich bestens behandelt waren, wo es wirklich eine optimale palliative Betreuung gab, und die hatten dennoch diesen Wunsch.
    Ich habe erkennen müssen, dass es oft mit bestimmten Vorstellungen von Würde, Würdelosigkeit zu tun hat, mit sehr selbstbestimmten Lebensentwürfen und ganz selbstbestimmten Vorstellungen zu sterben, und das sind Patienten, die dann im Notfall sogar das Heft selbst in die Hand nehmen und vor den Zug springen würden, wenn ihnen nicht entsprechend geholfen wird.
    Demmer: Sie haben gerade gesagt, Sie haben erkennen müssen. Haben Sie denn schon immer diese Einstellung zum Thema Sterbehilfe gehabt oder hat sich das im Laufe Ihres Berufslebens verändert?
    Jox: Im Laufe des Berufslebens hat sich das vielleicht konkretisiert. Am Anfang hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es solche Patienten gibt und dass es solche extremen Leidenszustände oder extremen Situationen am Lebensende geben kann. Insofern hat sich das ein bisschen verändert im Laufe der Zeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.