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Sterbehilfe
"Wir brauchen mehr Zeit - und damit mehr Geld"

In der Debatte um ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung fordert Eckard Nagel, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen und Mitglied des Deutschen Ethikrates, Änderungen im Gesundheitssystem. Vor allem die Palliativmedizin müsse ausgebaut werden, sagte er im DLF.

Eckard Nagel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 03.01.2015
    Eckard Nagel, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen und Mitglied des Deutschen Ethikrates.
    Eckard Nagel (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Nagel äußerte außerdem Skepsis zu der Frage, ob ärztliche Hilfe beim Suizid gesetzlich geregelt werden kann und sollte. Im Ethikrat herrsche eher die Meinung, dass sich derart schwierige Situationen nicht durch ein Gesetz regeln ließen, sondern dass "Freiheitsgrade, die die individuelle Situation zwischen Arzt und Patient berücksichtigen", erhalten bleiben müssten. Ein ärztlich assistierter Suizid setze aber immer eine Ausnahmesituation voraus, kommerzielle Sterbehilfe lehnt Nagel ab.
    Die Debatte um dieses Thema rühre auch daher, "dass Beziehungen zwischen Ärzten und Patienten nicht mehr so stabil und auf lange Jahre angelegt sind". Im stark ökonomisierten Gesundheitssystem sei Zeit ein Kostenfaktor, Ärzte und Patienten spürten einen immer größeren Zeitdruck - "das merken Patienten und das macht sie nervös", sagte der Mediziner.
    Ausbau der Palliativmedizin
    Viele Menschen hätten das Gefühl, sie kämen im derzeitigen System zu kurz, da müsse die Politik ansetzen. "Das bedeutet: mehr Zeit zu geben und damit auch mehr Geld." Nagel plädierte zudem für einen Ausbau der Palliativmedizin, wo ein anderer Umgang mit Patienten möglich sei. Hier benötige man eine gesetzliche Regelung, um die Finanzierung zu sichern.
    Keinesfalls dürften Ältere, chronisch Kranke und Alleinlebende sich ständig mit der Frage konfrontiert sehen: Was bist du wert? In solch einer Situation könne das Angebot der Sterbehilfe zu einer Situation führen, in der der Einzelne unter Druck gerate. "Deshalb müssen wir diese Debatte auch sorgsam führen, um Menschen nicht einer Selbstaufgabe auszuliefern", meinte Nagel - und zeigte sich enttäuscht über die Bundestagsdebatte, in der "Horrorszenarien" entworfen worden seien, dass Menschen ohne eine gesetzliche Regelung des assistierten Suizids in Leiden sterben müssten. "Das ist nicht wahr, aber es macht Menschen Angst."