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Stets auf der Spur von Mord und Korruption

Auf Sara Paretsky ist Verlass. Wann immer sie einen ihrer Romane um die Chicagoer Privatermittlerin Vic Warshawski schreibt, nimmt sie sich eines aktuellen politischen Themas an. Seit über zwanzig Jahren schon. Manchmal verwebt sie ihren Stoff mit einem Rückblick in die Vergangenheit. Aber immer geht es um Ungerechtigkeit, um politische Unterdrückung, um die Macht der Reichen und Mächtigen. Die mag sie einfach nicht. Ebensowenig wie George Bush und die derzeitigen politischen Verhältnisse in Amerika. Vic Warshawski, ihre Heldin, geriert sich wie ein gestrenges Cowgirl, wie ein lonesome Rider in weiblicher Gestalt, der durch Chicago reitet, weder Nacht noch Nebel scheut, stets auf der Spur von Mord und Korruption, Hass und Gewalt. So war dies schon immer, seit Vic Anfang der 80er Jahre von Sara Paretsky geschaffen wurde. So ist es auch in "Black List", ihrem neuesten Krimi um die von vielen so heiß geliebte Protagonistin.

28.12.2004
    Black List ist eine lange und ziemlich komplizierte Geschichte. Sie fängt damit an, dass Vic Warshawskis mächtigster Kunde sie bittet, zu einem vornehmen Altersheim etwas außerhalb von Chicago zu fahren. Dort lebt seine 91jährige Mutter. Die alte Dame beobachtet von ihrem Apartment aus immer des Nachts Licht auf dem Dachboden eines gegenüberliegenden leerstehenden Hauses. Sie hat die Polizei hierauf aufmerksam gemacht, doch die halten das alles offenbar für die Hirngespinste einer senilen alten Frau. Sie durchsuchen das Haus erst gar nicht, vor allem, wo es mit einem einbruchsicheren Sicherheitssystem ausgestattet ist. Vics bittet sie nun, die Beobachtungen seiner Mutter zu überprüfen.

    Vic Warshawski ist wieder da. Und ihre Fans freuen sich. Zurecht. Denn der neue Roman der in Chicago lebenden Krimiautorin Sara Paretsky ist einer ihrer Besten. "Black List" packt gleich zwei äußerst heikle Themen an und versucht die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden. Die Vergangenheit, das ist in diesem Fall die Kommunistenjagd, zu der der Republikanische Senator Joe McCarthy in den 50er Jahren blies.

    Ich begann mit dem Roman im Sommer 2001 und hatte damals vor, über ein Verbrechen zu schreiben, dessen Wurzeln in der McCarthy-Aera liegen. Ich wollte dies aus mehreren Gründen tun: Zum einen gab es im Jahr 2001 mehrere US-Schriftsteller, die versuchten, McCarthy zu rehabilitieren. Sie stellten ihn als einen Helden dar, den die Linke zerstört hat. Das hat mich sehr berührt. Außerdem war da noch meine über 90 Jahre alte Freundin, eine Schriftstellerin, deren Mann Schauspieler war. Beide waren unter McCarthy auf der Schwarzen Liste, der Black List. Durch die Freundschaft mit diesem Paar war mir diese Zeit sehr präsent.

    McCarthy und seine unnachgiebige Kommunistenhatz sollte das Thema von "Black List" sein. Doch dann zerstörten zwei Flugzeuge die beiden Türme des World-Trade-Centers. Woraufhin in Amerika die Bürgerrechte durch eine Gesetzesverordnung drastisch eingeschränkt wurden. In Sara Paretskies nun auf deutsch erschienenen Roman "Black List" drängte sich die Gegenwart.

    Dann kam der 11. September. Ich schrieb da längst an dem Buch. Der 'patriot act' wurde direkt nach dem 11. September 2001 erlassen. Er umfasst etwa 400 Seiten, nur ein einziges Kongressmitglied hat ihn vor der Abstimmung hierüber im Senat überhaupt gelesen. Dieser 'patriot act' stattet die staatliche Gewalt mit einer enormen Macht aus. So kann der Staatsschutz zum Beispiel einfach in jede Wohnung gehen, in jeden Buchladen, jede Leihbücherei, ohne dass sie dich hierüber informieren müssen. Sobald der Verdacht auf Terrorismus besteht, muss ein Richter hierzu die Erlaubnis geben, auch wenn es für den Verdacht überhaupt keine Beweise gibt. Damit wurde aus dem 'patriot act' ein Akt des Schreckens.
    Jeder Buchhändler, der weiter erzählt, dass die Polizei Unterlagen über die Lesegewohnheiten eines Kunden beschlagnahmt hat, kann ins Gefängnis gesteckt werden. Und zwar für eine unbestimmte Zeit.
    Im ersten Jahr dieses patriot acts wurden bei einem Drittel aller Buchläden die Computerunterlagen über die Kaufgewohnheiten der Kunden beschlagnahmt.
    Sie können einfach in mein Haus kommen. Ohne einen Durchsuchungsbefehl, ohne Schlüssel, ohne dass ich je über ihre Anwesenheit informiert werde.


    Die Suche nach islamistischen Terroristen geriet in Amerika zur Hysterie. Sara Paretsky wusste plötzlich ebenso wenig wie ihre Fantasiefigur Vic Warshawski, wovor sie mehr Angst haben sollte: vor radikalen Amerikanern oder vor radikalen Islamisten.

    Ich reagierte damals, nach dem 11. September, wie jeder andere auch: Ich war geschockt, demoralisiert, geriet in Panik. Ich fürchtete mich vor terroristisch motivierter Gewalt, wie jeder andere auch. Aber die Reaktion der US-Regierung auf den terroristischen Anschlag auf das World-Trade-Center machte mir Angst. Es war so, als hätte man ihnen eine Blankovollmacht erteilt, um endlich das durchzusetzen, was sie schon lange in den Schubladen bereit hielten. Dieser 'patriot act`' zum Beispiel war etwas, das die Bush-Regierung lange schon vor dem Anschlag vom 11. September 2001 fix und fertig in der Schublade hatte. Dieses 400 Seiten umfassende Gesetzeswerk war schon vor dem 11. September gedruckt. Das alles beschäftigte mich während ich an meinem Buch schrieb. Woraufhin ich das Buch änderte.

    Es hat "Black List" nicht geschadet. Im Gegenteil. Tatsächlich ist die Geschichte um den kleinen ägyptischen Jungen Benjamin, der verdächtigt wird, ein gefährlicher islamischer Terrorist zu sein und den seine gutbürgerlich amerikanische Freundin Catherine auf dem Dachboden des verlassenen Hauses versteckt, der eigentliche Erzählstrang dieses Krimis. Die McCarthy-Aera verblasst hinter dem Auftreten der US-Police, die nach ihrem altbewährten Motto vorgeht: erst Losballern, dann Fragen stellen. Dabei ist 'Black List' kein politisches Pamphlet, weit gefehlt. Sara Paretsky beweist nur einmal mehr, dass aktuelle ebenso wie vergangene politische Hetzjagden für einen Krimi durchaus das adequate Umfeld sein können.