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Steuerstraftaten: 4000 Richter und Staatsanwälte zu wenig

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, hat der Vermutung widersprochen, in Steuerstrafverfahren würden regelmäßig Absprachen zugunsten des Angeklagten getroffen. Allerdings führe die dünne Personaldecke zu der Vorgabe, bei Wirtschaftsverfahren in überschaubarer Zeit ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Es fehlten in Deutschland etwa 4000 Richter und Staatsanwälte, sagte Frank.

Moderation: Christiane Kaess | 19.02.2008
    Christoph Frank: Wirtschaftskriminalität richtet nicht nur wirtschaftlichen Schaden an, sondern beeinflusst auch das Verständnis der Bevölkerung über eine funktionierende Strafrechtspflege. Man bekommt das Gefühl, die Kleinen werden gehängt, die Großen werden laufen gelassen. Und da müssen wir in der Tat alles tun, um diesen falschen Eindruck zu korrigieren.

    Christiane Kaess: Die Staatsanwaltschaft darf ja genau davon jetzt im Moment durch eine große Beliebtheit in der Bevölkerung profitieren. Hat sich denn im Justizsystem in den letzten Jahren etwas verändert, das es leichter macht, dieser Art Kriminalität nachzugehen?

    Frank: Die Justiz war schon immer in der Lage, Wirtschaftskriminalität zu verfolgen. Sie braucht dazu aber eine ausreichende Ausstattung. Es fehlen in Deutschland 4000 Richter und Staatsanwälte. Wir brauchen besonders ausgebildete Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen Mitarbeiter im Unterstützungsbereich, die über Jahre Erfahrungen sammeln müssen. Das setzt eine konsequente Personalpolitik voraus, und das wiederum erfordert eine ausreichende Personalausstattung.

    Kaess: Wer trägt die Schuld an diesen Defiziten?

    Frank: Die Ausstattung der Justiz ist Ländersache. In jedem Land wird, und das ist eine politische Entscheidung, entschieden, welche Personalstellen besetzt werden, wo sie besetzt werden. Es ist also durchaus eine politische Entscheidung, wenn ein Land seine Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Wirtschaftssachen nicht ausreichend ausstattet.

    Kaess: Dennoch, Herr Frank, hat man auf der anderen Seite im Moment den Eindruck, dass da auch ein neues Selbstbewusstsein entstanden ist, mit dem die Staatsanwaltschaft im Moment auftritt. Stimmt das?

    Frank: Wenn Sie mit Selbstbewusstsein die aktive Annahme der Rolle, die nach der Strafprozessordnung der Staatsanwaltschaft zukommt, meinen, dann ist das sicher richtig. Eine Rolle, die nun auch wahrgenommen wird. Die Staatsanwaltschaft hat einen klaren gesetzlichen Ermittlungsauftrag. Sie ist an das Legalitätsprinzip gebunden, das heißt, sie muss Straftaten verfolgen, wenn sie davon Kenntnis erlangt. Und sie ist eine objektive Behörde, die für und gegen Beschuldigte ermittelt. Wenn diese Aufgaben und die gute Wahrnehmung dieser Aufgaben durch die Staatsanwaltschaft jetzt wahrgenommen wird, trägt das dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in ein funktionierendes Strafverfolgungssystem zu fördern.

    Kaess: Hat sie auch mehr Befugnisse und kann jetzt mehr Druck beim Ermitteln auslösen?

    Frank: Die Befugnisse nach der Strafprozessordnung sind im Wesentlichen gleich geblieben. Sie müssen nur genutzt werden.

    Kaess: Werden sie das jetzt stärker als früher?

    Frank: Nein, die Anwendung der Befugnisse richtet sich nach den Erfordernissen des Einzelfalles. Wir haben auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität alle Ermittlungsmethoden schon seit Jahren zur Verfügung und nutzen die auch.

    Kaess: Herr Frank, dürfen wir darauf hoffen, dass es jetzt zu so etwas wie einem großen Reinigungsprozess kommt, so, wie viele sich das wünschen?

    Frank: Die Staatsanwaltschaft kann die Taten verfolgen, die ihr bekannt werden. Sie hat Hinweise bekommen, die ihr nun ermöglichen, Steuerstraftaten in großem Umfang aufzuklären, sie wird das schnell tun. Wir gehen davon aus, dass die Ermittlungen aufgrund der Daten, die nun zur Verfügung gestellt worden sind, weitere Ermittlungen nach sich ziehen. Es kann damit gerechnet werden, dass weitere Aussagen gemacht werden. Und deshalb bin ich durchaus zuversichtlich, insgesamt mehr ermitteln zu können, als es jetzt den Anschein hat.

    Kaess: Herr Frank, ist das Mittel, eine geklaute Daten-CD für fünf Millionen zu kaufen, gerechtfertigt?

    Frank: Die Möglichkeit, hier Informationen zu bekommen, um Strafverfolgung zu betreiben, muss genutzt werden. Der Staat hat die Pflicht, Strafverfolgung zu betreiben. Und zu dieser Pflicht gehört auch, alle Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen, die ihm legal zur Verfügung gestellt werden, und dazu gehören auch die Daten, die hier wohl übermittelt worden sind.

    Kaess: Aber indirekt wird Datendiebstahl belohnt?

    Frank: Datendiebstahl wird nicht belohnt. Der Staat nutzt Erkenntnisse, die er bekommen hat. Er nutzt sie nach einem Abwägungsprozess, der hier dazu geführt hat, schwerste Straftaten verfolgen zu können. Ich denke, dass wir hier eine klare Beweisführung haben. Wir haben durch Gerichte bestätigte Anfangsverdachte, die zur Durchsuchungsbeschlüssen und Durchsuchungen geführt haben. Und deshalb besteht für mich keine Veranlassung, dass durchgreifende Bedenken gegen das bisherige Verfahren erhoben werden können.

    Kaess: Herr Frank, die Möglichkeit der Selbstanzeige ist ja jetzt eine Möglichkeit, einer harten Strafe zu entgehen. Dafür werden in der Bevölkerung wahrscheinlich viele kein Verständnis haben.

    Frank: Die Selbstanzeige ist ein Modell, das schon seit Jahren besteht. Sie trägt dem Gedanken Rechnung, dass der Staat ein Interesse daran hat, hinterzogene Steuern dann auch tatsächlich zurückzuerhalten, das ist ja eine Voraussetzung der Selbstanzeige. Dass dann auf Strafverfolgung verzichtet wird, ist eine gesetzgeberische Entscheidung, die man korrigieren kann, wenn man sie korrigieren will. Das ist Sache des Gesetzgebers, nicht der Justiz.

    Kaess: Jetzt haben wir über die harten Ermittlungen auf der einen Seite gesprochen, auf der anderen Seite werden vor Gericht oft Deals ausgehandelt. Was bewirken harte Ermittlungen, wenn letztendlich, in Anführungsstrichen, "weich" bestraft wird?

    Frank: Es wird nicht weich bestraft, sondern es wird der Versuch unternommen, in überschaubarer Zeit sachgerechte Ergebnisse von Strafverfahren zu erzielen. Die angesprochene unzureichende Personalausstattung führt dazu, dass gerade in Wirtschaftsverfahren, gerade in Steuerstrafverfahren sehr umfangreiche Hauptverhandlungen durchgeführt werden müssen. In diesen Hauptverhandlungen werden immer wieder Absprachen getroffen, um mit den vorhandenen Ressourcen ein, und das möchte ich betonen, sachgerechtes Ergebnis in überschaubarer Zeit zu erzielen.

    Kaess: Aber das heißt, die Deals sind alleine auf Mangel an Personal zurückzuführen?

    Frank: Die sind ganz wesentlich auf Personalmangel zurückzuführen. Der deutsche Strafprozess ist darauf angelegt, in einer Hauptverhandlung gründlich alle Beweise zu erheben. Das kostet Zeit, das kostet Personal, und daran fehlt es eben immer wieder.

    Kaess: Gehen Sie auch davon aus, dass es bei Klaus Zumwinkel zu einem Deal kommen wird?

    Frank: Ich kenne das Verfahren nicht. Ich bin der Auffassung, dass die Gerichte, die Staatsanwaltschaften hier dieses Hinweises, der ja aus der Politik gekommen ist, nicht bedürfen. Ich bin überzeugt, dass in einem korrekten Verfahren ein sachgerechtes Ergebnis erzielt werden wird.

    Kaess: Herr Frank, zum Schluss noch, woher, denken Sie, kommt das Bewusstsein, offensichtlich vieler, dass Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt ist? Ist dagegen in der Vergangenheit nicht genügend hart vorgegangen worden?

    Frank: Die Steuerstrafverfahren finden nicht unter den Augen der Öffentlichkeit statt. Das Steuergeheimnis muss auch im Steuerstrafverfahren weitgehend gewahrt bleiben. Und deshalb bekommt die Öffentlichkeit sehr viele Steuerstrafverfahren, die durchaus auch mit hohen Strafen enden, gar nicht mit. Daraus mag der Eindruck entstehen, dass nicht hart genug geahndet würde. Meiner eigenen Einschätzung, meiner Erfahrung entspricht das nicht.