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Stichwahl in Argentinien
Gute Chancen für Oppositionskandidat

Seit Sonntag ist die argentinische Welt nach 70 Jahren Peronismus aus den Fugen: Argentinien muss nun in einer Stichwahl erneut über seinen zukünftigen Präsidenten entscheiden. Und der Herausforderer eines Mitte-Rechts-Bündnisses, Mauricio Macri, hat gute Chancen zu gewinnen.

Von Anne Herrberg | 31.10.2015
    Der Kandidat der konservativ-liberalen Bündnisses "Cambiemos" bei der Präsidentenwahl in Argentinien, Mauricio Macri.
    Der Kandidat der konservativ-liberalen Bündnisses "Cambiemos" bei der Präsidentenwahl in Argentinien, Mauricio Macri. (picture alliance / dpa / Juan Ignacio Roncoroni)
    Bunte Luftballons, Sprecherchöre, ein tanzender Mauricio Macri, der seinen Überraschungserfolg feiert. Der Oppositionskandidat vom Parteienbündnis Cambiemos ist in der Stichwahl. Cambiemos heißt "Lasst uns verändern" und scheint der Slogan der Stunde.
    Macri, 56-jähriger Bürgermeister von Buenos Aires, hat gute Ausgangchancen bei der Stichwahl am 22. November - und das wider allen Orakeln. Seine Partei ist erst zehn Jahre jung. Sie präsentiert sich als der Wandel, als Alternative zu Peronismus und Politikklüngel. Das kommt nicht nur bei Tierarzt Alejandro Ferreira gut an, er ist aus Wilde im südlichen Vorstadtgürtel von Buenos Aires:
    "Die Sicherheit, das ist so ein Thema. Es wird immer mehr geklaut. Und es gibt immer mehr Drogen. Polizei und Politiker sind korrupt. Die Stimmen der Armen werden mit Sozialprogramme gekauft, aber wir, aus der Mittelschicht, wir zahlen immer mehr Steuern. Und für was? Stattdessen hat uns die Präsidentin beschimpft, wir würden uns mit nichts zufrieden geben."
    Ferreira ist in den Jahren der Kirchner-Regierung sozial aufgestiegen vom Angestellten zum eigenen Chef. Nun fühlt er sich alleingelassen.
    Krisensitzung bei den Peronisten
    Krisensitzung im regierungstreuen TV-Programm "6, 7, 8". Was ist passiert bei den Wahlen? Eine der Stammgäste, die Journalistin Mariana Moyano, wagt eine Analyse – und zieht Parallelen zur aktuellen Regierungskrise in Brasilien.
    "Ich glaube, dass gewisse Errungenschaften dieser Regierung sich jetzt gegen sie gewandt haben. Die Mittelschicht ist gewachsen und damit die Ansprüche. Es sind komplexere Ansprüche, wie bessere Bildung etc. Das sind langfristige Projekte, die eben keine schnellen Ergebnisse zeigen. Ich denke, es ist wichtig, nicht nur auf das zurückzublicken, was bereits getan wurde, sondern über die Aufgaben zu sprechen, die bleiben und die Zukunft, die wir wollen."
    Maxi Sahonero steuert seinen neuen Mittelklassewagen durch Villa 20 Lugano, ein Elendsviertel im Süden von Buenos Aires. Vorbei an einem Fußballplatz, über asphaltierte Straßen und gelben Schildern. Gelb wie die Erkennungsfarbe von Bürgermeister und Oppositionskandidat Mauricio Macri.
    "Das sind Macher, die gehen mit frischer Energie an die Dinge ran."
    Marci überzeugte mit Dialog
    An der Seite seines Vaters arbeitet Maxi für die Urbanisierung der Villa – seit 20 Jahren. Die Sahoneros sind eigentlich Peronisten aus Tradition. Bis vor rund fünf Jahren Macris-Leute an sie herantraten: Seitdem haben die Sahoneros sieben Blocks urbanisiert, eine eigene Baufirma gegründet und der 30-jährige Maxi wurde Präsident der Jugendbewegung von Macris Partei:
    "Mauricio Macri hat mir die Möglichkeit und die Mittel gegeben, Teil eines Wandels zu sein. Er schwingt keine großen Diskurse, baut keine Feindbilder auf. Er ist ein Typ des Dialoges, der sich Rat holt, wie man Dinge am besten anpackt. Und ich konnte für Mauricio hier in der Villa einen ganzen Sektor gewinnen, der ihn früher kritisiert hat."
    Gemeinsam Dinge anpacken, jenseits von Ideologien, Dialog statt Konfrontation, das sei das Erfolgsgeheimnis von Macri, glaubt Sahonero, der inzwischen in ein Mittelklasseviertel umgezogen ist.
    Die restlichen 30 Blocks der Villa 20 sind ein Chaos aus Backsteinen, in dem weder Sahonero noch die Stadtregierung von Mauricio Macri präsent sind. Dort steht Victoria Montenegro, sie ist Tochter von Desaparecidos, ihre Eltern waren soziale Aktivisten, die während der Militärdiktatur verschwunden sind. Heute arbeitet die 39-Jährige im Sozialministerium der Kirchner-Regierung:
    "Buenos Aires ist die reichste Stadt des Landes, aber das Budget für Soziales ist minimal und wird outgesourct an befreundeten Kooperativen. Macri ist ein Rechter, es geht ihm nicht um Inklusion, es geht ihm nicht um soziale Rechte, sondern nur ums Geschäfte machen."
    Zwei Entwicklungsmodelle stehen in Konkurrenz
    Es gehe um zwei verschiedene Entwicklungsmodelle: ein Modell der sozialen Inklusion oder eines, in dem allein der Markt regiere, sagt Montenegro.
    Mitte der Woche ist es dann wieder soweit. Noch-Präsidentin Cristina Fernandez steht auf dem Balkon des Regierungspalastes. Und sie hält eine Kampfesrede: Anderthalb Stunden lang verteidigt sie das Erbe von zwölf Jahren Kirchner-Regierung. Doch derjenige, der dieses Erbe offiziell retten sollte, ist mal wieder nicht dabei – wird nicht mal mit Namen genannt: Daniel Scioli.
    Es ist ein Eiertanz, den das Regierungsbündnis Frente para la Victoria um ihren offiziellen Kandidaten Daniel Scioli aufführt. Dass er hart gesottenen Kirchneristas – wahrscheinlich auch der Präsidentin selbst - nicht linientreu genug ist, ist ein offenes Geheimnis. Andere, eher gemäßigte Peronisten, glauben, dass er sich deutlicher von Präsidentin Cristina Kirchner abgrenzen sollte.
    Nach dem schlappen Wahlergebnis vom Sonntag sind die internen Konflikte offen ausgebrochen. Immer unklarer wird dabei, für was der Kandidat Daniel Scioli eigentlich steht. Dass dies am Ende vor allem der Opposition in die Hände spielt, scheint im Kirchner-Lager entweder keiner zu merken. Oder keinen zu stören.