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Stichwahl in Brasilien
Mehr Gegenwind für Jair Bolsonaro

Es sind die verbalen Ausfälle gegen Landlose, Intellektuelle und Homosexuelle, die kurz vor der Wahl am Sonntag viele Brasilianer zum Umdenken gebracht haben: Der Vorsprung des Rechtsaußen-Politikers Jair Bolsonaros schrumpft. Für seinen Konkurrenten Fernando Haddad dürfte der Stimmungsumschwung allerdings zu spät kommen.

Von Ivo Marusczyk | 27.10.2018
    Eine Frau hält bei einer Demonstration gegen den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro ein Bild von Bolsonaro mit der Aufschrift "Vomito" ("Erbrochene") hoch. Zahlreiche Menschen gingen in Sao Paulo gegen Bolsonaro und seinen rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Kurs auf die Straße.
    Vor der Stichwahl in Brasilien: Protest gegen Bolsonaros rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Kurs (picture alliance / dpa / Pablo Albarenga)
    Kurz vor der Wahl hat der Wind gedreht. Brasiliens Fernsehsender melden eine Trendwende. Zum ersten Mal seit Beginn des Wahlkampfs sinken die Zustimmungswerte für den rechtsradikalen Kandidaten Jair Bolsonaro. Sein Stichwahl-Gegner Fernando Haddad hat ein bisschen aufgeholt. Und der Kandidat der linken Arbeiterpartei wirkt plötzlich wesentlich angriffslustiger, findet erstmals deutliche Worte für seinen Gegner
    "Er hat immer zur Gewalt angestiftet. Sein ganzes Leben hat er zu Gewalt aufgerufen. Stellen Sie sich einen Menschen vor, dessen größte Helden die schlimmsten Folterknechte des Kontinents waren. Das ist der Mann, der in den Umfragen führt. Aber er wird verlieren."
    Das ist allerdings eine gewagte Vorhersage. Tatsächlich dürfte die Trendwende zu spät kommen. Jair Bolsonaros Vorsprung ist geschrumpft, aber trotzdem hat er in den letzten Umfragen noch einen satten Vorsprung von zwölf Prozentpunkten. Das dürfte reichen, um zum nächsten Präsidenten des fünftgrößten Landes der Erde gewählt zu werden. Bolsonaro ist wieder auf Tauchstation gegangen. Fehler wie am letzten Wochenende sollen nicht mehr vorkommen.
    "Wir werden jetzt eine große Säuberung durchführen. Diese linke Clique wird sich unseren Gesetzen unterwerfen müssen, wenn sie hierbleiben will. Sie müssen das Land verlassen oder sie werden in den Knast wandern."
    Angst vor einem Wahlsieg des Rechtsaußen
    Bolsonaro hatte sich zu einer Kundgebung seiner Anhänger zuschalten lassen. Was er dort zu sagen hatte, kam aber nicht gut an. Weil er unter anderem auch soziale Organisationen attackierte.
    "Ihr Banditen von der Landlosenbewegung und von der Obdachlosen-Bewegung: Eure Aktionen werden künftig als Terrorismus eingestuft."

    Inzwischen haben viele Brasilianer regelrecht Angst vor einem Wahlsieg des Rechtsaußen-Politikers. Vor allem Intellektuelle, Schwule und Lesben und auch Menschen aus den Favelas, den Armenvierteln.
    07.10.2018, Brasilien, Rio de Janeiro: Unterstützer des rechtspopulistischen Kandidaten bei der Präsidentenwahl, Bolsonaro, jubeln während der Wahlen und warten auf die Wahlergebnise.
    Unterstützer des rechtspopulistischen Kandidaten bei der Präsidentenwahl, Bolsonaro (dpa / Ian Cheibub)
    "Man macht sich schon Sorgen. Bis jetzt dachten wir, das ist alles nicht ernst, aber jetzt wo er vorne liegt, hat sich sein Ton schon geändert. Er wird immer unverschämter und klarer. Und wir sagen halb im Scherz halb im Ernst, lasst uns schon mal die Pässe bereitlegen, man weiß ja nicht, was passiert. Zuhause haben sich alle neue Pässe geholt, er könnte es ja vielleicht doch ernst meinen."
    Aus Protest gegen die Arbeiterpartei
    Aber trotzdem stehet mehr als die Hälfte der Wähler hinter dem Rechtsaußen. Sein Gegner Haddad leidet vor allem darunter, dass er viel zu spät in den Wahlkampf einsteigen durfte, nur als Ersatzmann für Ex-Präsident Lula da Silva. Der hatte trotz einer Haftstrafe wegen Bestechlichkeit zu lange stur an seiner Kandidatur festgehalten. Haddad gilt vielen jetzt als Marionette Lulas. Und das stößt viele ab.

    "Die Leute sind gar nicht unbedingt für Bolsonaro - sondern gegen die Arbeiterpartei, Deshalb gewinnt er. Schau mal wie schlecht es dem Land geht. Diese Zeitbombe die die Arbeiterpartei hinterlassen hat. Alles Pleite…. die Krankenhäuser, die Sicherheit, einfach alles."
    Bolsonaro rudert inzwischen etwas zurück, versucht etwas gemäßigter aufzutreten. Er werde nun doch nicht aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen. Und er werde auch nicht den Umweltschutz bei der Ressortverteilung der Landwirtschaft unterordnen. Seine Anhänger werden unterdessen weiterhin über die sozialen Netzwerke mit Fake News gefüttert, mit diffamierenden Behauptungen über seinen Gegner. Der wolle die Kirchen verbieten, Inzest erlauben und kleine Kinder sexuell umpolen. Mit solchen Behauptungen wurden die sozialen Netzwerke in Brasilien in den letzten Wochen regelrecht geflutet. Die letzten Wahllokale schließen in der Nacht von Sonntag auf Montag um 23 Uhr deutscher Zeit - bald danach wird feststehen, wer Brasilien künftig regiert.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Ersatzmann der Arbeiterpartei - Fernando Haddad, Ex-Bürgermeister von São Paulo, Ex-Bildungsminister unter Lula. (imago stock&people)