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Stichwahl um Präsidentschaft in der Ukraine
Komiker Selenskyj: Die Katze im Sack?

Die einen finden ihn intelligent, die anderen primitiv: Der Komiker Wolodymyr Selenskyj gilt als Favorit bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine. Politisch unerfahren, macht Selenskyj das durch seine Schlagfertigkeit wett, doch was sind seine Ziele? Ein Programm, so seine Kritiker, habe er nie vorgestellt.

Von Florian Kellermann | 21.04.2019
Der ukrainische Präsidentschaftskandidat und Komiker Wolodymyr Selenskyi beim Verlassen der Wahlkabine.
Der ukrainische Komiker Wolodymyr Selenskyj gilt als Favorit im Rennen um die Präsidentschaft (ZUMA Wire/Serg Glovny)
Der Sieger steht praktisch fest - so sehen es jedenfalls die Meinungsforscher und die Wettbüros. Der Herausforderer Wolodymyr Selenskyj dürfte mit deutlichem Abstand neuer Präsident der Ukraine werden.
An der Stimmung im Land hat auch die Fernsehdebatte wenig geändert, die am Freitag stattfand. Der politisch unerfahrene Selenskyj, ein Kabarettist, schlug sich überraschend gut - und setzte die Pointen. Dem Amtsinhaber Petro Poroschenko sagte er:
"Sie werfen mir vor, dass ich bisher kein Politiker bin, dass die Ukrainer nicht die Katze im Sack kaufen sollen. Aber lieber die Katze im Sack als der Wolf im Schafspelz. Warum gehen Sie nicht gegen Ihre korrupten Mitarbeiter vor? Und wie ist Ihre Rolle beim illegalen Abbau von Bernstein in unserem Land?"
Wählerin: "Er ist ein Jurist, er ist jung, und er ist intelligent"
Die Debatte fand im Kiewer Olympia-Stadion statt, auf Betreiben Selenskyjs. Dessen Kalkül ging dabei voll auf: Die Veranstaltung wurde zur Show - und der Kabarettist war in seinem Element. Er musste den weitverbreiteten Vorwurf gegen Poroschenko nur immer wiederholen: dass jener viel zu wenig gegen die Korruption unternommen habе.
In Sichtweite des Olympia-Stadions befindet sich die 78. Schule von Kiew - heute ein Wahllokal. Die Meinung der Menschen, die gerade ihre Stimme abgegeben haben, ist geteilt. Die 35-jährige Unternehmerin Elena Waleriwna hat für Selenskyj gestimmt:
"Er ist ein Jurist, er ist jung, und er ist intelligent. Aber das Wichtigste: Er war nie in der Politik. Er sich alles, was er hat, selbst erarbeitet. Er steht gegen die Oligarchen, die sich nach dem Untergang der Sowjetunion bereichert haben. Kurz: Ich bin für die Jugend, für den Verstand und für das Morgen."
Mit seinem Kabarett kommt Selenskyj vor allem im russischsprachigen Osten und im Süden der Ukraine gut an. Dort hat er die meisten Anhänger. In Kiew und im Westen haben im ersten Wahlgang zwar auch viele für ihn gestimmt. Doch hier gibt es auch viele Skeptiker. So die 71-jährige Nina Arlowa, die ebenfalls in der 78. Kiewer Schule abgestimmt hat:
"Ein Präsident sollte ein gebildeter Mensch sein - und das ist er nicht, das sieht man an seinem primitiven Humor. Er hat einige großspurige Versprechen gemacht - aber kein Programm vorgestellt. Er hat ja überhaupt nicht mit den Wählern gesprochen. Er ist wirklich die Katze im Sack."
Kommunikation über Videoclips im Internet
Tatsächlich ist Selenskyj kaum öffentlich aufgetreten, er gab nur wenige Interviews. Mit den Wählern kommunizierte er vor allem mit kurzen, selbstgedrehten Videoclips im Internet. Außerdem war ständig im Fernsehen präsent - mit seiner Satire-Show, in der er Politiker verhöhnt. Und mit seiner TV-Serie "Diener des Volkes", in der er einen Lehrer spielt, der überraschend Präsident wird.
Der 41-Jährige blieb sich auch heute, am Wahltag, treu. Er sei guter Laune, erklärte er, weil seine Frau zum Frühstück die Musik des US-amerikanischen Rappers Eminem eingeschaltet habe. Auf die Bitte eines Journalisten gab Selenskyj sogar ein paar Zeilen eines Rappers zum Besten.