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Sticks auf den Tisch! Ein Kurzkrimi

In Computer und Kommunikation schleicht sich ab sofort das Verbrechen ein: Jeden Samstag im Advent ermittelt Kommissar Plock, ein Mann mit extrem kurzem Oberkörper. Die Beweise stecken immer in einem kleinen bunten Stick, dem USB-Stick. Plocks zweiter Fall dreht sich um den Tod einer Reporterin, zwielichtige Matrosen und pikante Daten.

Von Maximilian Schönherr | 06.12.2008
    Erzählerin: Julia Hummer
    Kommissar Plock: Martin Hilbert
    Horst Schnecke, der Kapitän: Niko Bertling
    Matrosen: Thomas Engel, Ulrich Harings, Lukas Jendges
    Roberta Hunter: Hannah Runge
    Regie, Musik: der Autor

    Als die Küstenwache Kommissar Plock an Bord der Viking ablieferte, wechselte dort die Stimmung. Von "Heyo, heyo, wir surfen in die Welt hinaus" zum nur noch dezenten Plätschern der Wellen. Nicht nur die Stimmung wechselte schlagartig: Die Matrosen saßen nicht mehr – wie wenige Minuten zuvor – oben an Deck in der Sonne an dem großen Tisch und schielten überglücklich in ihre Notebookcomputer, sondern jetzt angelten sie ernst und wichtig und angestrengt an der Reling in den flachen Wellen der Nordsee herum.

    "Hat bei dir schon einer angebissen?"

    "Bei mir beißt nie einer an."

    "Bei mir auch nicht. Haste mal nen Grog?"

    Es war der Tag, an dem Plock einen Mord aufklären wollte, den Mord an der englischen Reporterin Roberta Hunter. Die junge Frau war tot am Strand von Sankt Peter Ording angespült worden. Den GPS-Daten in ihrer ansonsten unbrauchbar gewordenen Pocketkamera hatte Plocks Team die letzten Aufenthaltsorte von Roberta Hunter entnehmen können: Sie deckten sich fast mit dem Kurs der Viking, wiesen aber merkwürdige Zickzackbewegungen darum herum auf. Der Kapitän der Viking stand am Steuerrad und ähnelte ein wenig Johnny Depp in Fluch der Karibik. "Zum Teufel, alter Kompass!" Die Ähnlichkeit war nur rein äußerlich. Sein Name war Horst Schnecke. Plock ging auf ihn zu; er war angenehm klein, nur ungefähr einen Kopf größer als Plock selbst, und drückte ihm die Hand.

    "Schnecke, sagen Sie Ihren Männern, es ist Zeit, die USB-Sticks auf den Tisch zu legen!"

    "Matrosen”, rief der Kapitän prompt, "Sticks auf den Tisch!"

    Die Männer zurrten ihre Angeln umständlich an der Reling fest und kamen übertrieben langsamen Schritts an den Tisch.

    "Sie haben von der Journalistin Roberta Hunter gehört?" fragte Plock in die müde Runde.

    "Nö."

    Kopfschütteln.

    "Frau Hunter arbeitete für den Tribune Express in London und recherchierte zum Thema verschwundene Daten des britischen Außen-, Innen-, Gesundheits- und, Moment,…"

    …Verteidigungsministeriums, ergänzte ein Matrose. "Tolle Daten aus dem Verteidigungsministerium! Scans von Verträgen über die Lieferung chinesischer Mittelstreckenraketen und iranischer Streubomben und amerikanischer Giftgase."

    "Halt Klappe", zischten die anderen dazwischen.

    "Das mit den Giftgasen und Streubomben und Mittelstreckenraketen", sagte Plock. wissen Sie natürlich aus der Zeitung?"

    "Klar, alles aus der Zeitung." Alle nickten und schielten auf ihre Angeln.

    "Seit zwei Wochen nicht mehr an Land gegangen, aber jeden Tag die Zeitung gelesen", stellte der Kommissar fest. "Respekt. Meine Herren: Frau Hunter ist tot, ertränkt. Und bevor sie man sie ins Wasser warf, war sie in einem Außenbordmotorboot eineinhalb Tage um Ihre Viking herumgetuckert, und Sie haben nichts davon gemerkt, weil Sie die ganze Zeit Zeitung gelesen haben."

    "Uns ist niemand aufgefallen", raunten die Matrosen.

    "Und eine Braut wie Roberta Hunter wäre uns in jedem Fall aufgefallen", warf Kapitän Horst Schnecke ein.

    "Woher wussten Sie, Schnecke, wie Frau Hunter aussah?"

    "Äh, hab ich mir nur so gedacht. Blond und oben und unten durchaus…"

    "Aha, oben und unten durchaus", sagte der Kommissar.

    "Aber auch ziemlich schwierig."

    "Schwierig?"

    "Bisschen verklemmt", sagte der Kapitän.

    Rückblick: Roberta Hunter im Kampf mit Kapitän Schnecke:

    Roberta Hunter: "Ich bin vom Tribune Express in London und weiß genau, dass Sie das haben, was wir drucken wollen! – Nicht so grob, Sie ungeschlachter Kerl!"

    Kapitän Schnecke: "Ein schönes Bad für Sie! Jammerschade, Miss Hunter."

    "Schwierig?"

    "Bisschen verklemmt", sagte der Kapitän.

    Der Kommissar dachte an sein eigenes, bisschen verklemmtes Leben. Immer, wenn er daran dachte, wurde er plötzlich sehr bestimmt:

    "Die gestohlenen oder ‚verloren gegangenen’ Daten von Millionen britischer Bürger, hinter denen Frau ‚oben und unten durchaus’ her war, befanden sich auf vier USB-Sticks. Pro Ministerium ein Stick. Ich glaube, meine Herren, es ist Zeit, Ihre Angeln einzuziehen und die Sticks hier auf den Tisch zu legen!"

    "Wir sind Seeleute, Herr Kommissar", sagte der Kapitän, "und keine Hacker!"

    "Genau, wir sind Seeleute, und keine Bäcker", maulten die anderen.

    "Wollen Sie, meine Herren, dass ich da rübergehe und Ihre Angeln hebe, um nachzusehen, was für interessante Meerestierchen angebissen haben?" fragte Plock.

    Diese Drohung, dass der Kommissar sich ihre Meerestierchen ansehen würde, gefiel ihnen gar nicht. Es waren so schöne Meerestierchen.

    "Nein, das machen wir schon selbst." Sie erhoben sich müde von ihren Hockern und schlichen zu ihren Plätzen an der Reling. Sie zogen die Angelschnüre ein – es sah einstudiert aus, synchron, wie bei einem Ballett –, und siehe da: An jeder Angel hing ein USB-Stick.

    Wenig später trockneten alle fünf Speichermedien auf dem Tisch in der Sonne, und Plock klappte seinen Notebook-Computer auf.

    "Es sind nur Daten von vier Ministerien abhanden gekommen. Was befindet sich auf dem fünften Stick?"

    "Videos", sagte der Matrose, dem der rote, herzförmige Stick gehörte. "Nur Videos."

    Plock lachte in sich hinein. "Nur Videos."

    Nachdem er sich die ‚nur Videos’ auf seinem Notebook-Computer angesehen hatte – der englische Staatssekretär im Fesselsex mit seiner deutschen Kollegin – ließ der Kommissar die Kollegen von der Küstenwache aus ihrem Boot an Bord der Viking kommen und alle festnehmen.

    "Warum auch mich?" fragte der Kapitän. "Ich hab’ doch gar keinen USB-Stick auf den Tisch gelegt."

    "Weil Sie, Schnecke, Captain Sparrow sind, und als Pirat haben Sie Ihren festen Platz an Land."