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Stifters Vermächtnis

Heiner Goebbels zeigt in der Duisburger Kraftzentrale eine Installation, die auf einem Text des österreichischen Schriftstellers und Malers Adalbert Stifter beruht - eine ruhige, kluge und technisch perfekt realisierte Produktion.

Von Frieder Reininghaus | 22.09.2013
    Lange hält das dumpfe Pochen an, das mit modernen akustischen Mitteln aus den Lautsprechern in den weiten dunklen Raum hinausdrängt. Nachdem sich auch die optische Dimension der Installation im Dunkel der Duisburger Kraftzentrale exponierte, nutzt die Kreation in sympathischer Unaufgeregtheit und mit dem ruhigen Duktus der Rezitation von Hermann Josef Mohr einen Text Adalbert Stifters. Sie sucht damit Annäherung an eine Erzählung aus einer Zeit, in der durch die vehemente Industrialisierung Mitteleuropas und dann durch den Einzug von technischen Neuerungen in den Alltag das Verhältnis der Menschen zur Natur sich offenkundig änderte. Stifter mag dies mit seismographischem Gespür erfasst haben.

    Der musikalisch unterlegte Ausschnitt aus einer Erzählung, die der österreichische Pädagoge und Schriftsteller Stifter in die "Mappe" seines Urgroßvaters einordnete, berichtet von der Fahrt eines Arztes und seines Kutschers in einen verschneiten und vereisten Wald. In ihm stürzen Eiszapfen klirrend herab, brechen Äste unter der Last des gefrorenen Wassers und fallen riesige Bäume mit dumpfem Ton. Es geht um die Faszination eines natürlichen Forst- und Frostschadens, den Heiner Goebbels als "ökologische Katastrophe" versteht und dem Klaus Grünberg ein weithin wie von unsichtbaren Händen ruhig-lebhaft bespieltes Feld zuordnete: Drei große flache rechteckige Wannen, in denen die unterschiedlichen Aggregatzustände des Wassers lebhaft werden in Form von Salz, das an Eis erinnert, oder mit Trockeneis, das Nebel produziert und kochendes Wasser darzustellen vermag. Diese Mittel der optischen Installation liegen vor dem Hintergrund der Stifterschen Schilderung der gefrorenen Waldwelt nicht allzu fern. Dennoch geht die bildnerische Übersetzung von Grünberg, die sich über den autographen Schriftzügen unter der Wasseroberfläche erhebt, entschieden einen modernen Weg. Sie visualisiert den Kontrast von Natur und Technik nachdrücklich. Die Naturkomponente verdeutlicht sich nicht zuletzt durch Bezugnahme auf Öl- bzw. Tempera-Gemälde von Jacob Isaacksz van Ruisdael und Paolo Ucello.

    Heiner Goebbels hat Material aus alten phonographischen Sammlungen verwendet und z.B., unterm Aspekt der Erinnerung an Pionierzeiten der Ethnologie, den Ausschnitt eines Interviews mit Claude Lévi-Strauss. Zentral für das Funktionieren sind der akustischen Installation sind fünf technisch modifizierte Klaviere, die – elektronisch gesteuert – ein Ballet mécanique aufführen und auch historisch anheimelnde Musik mit einem wundersam verfremdeten Ton zur Geltung bringen. Wie z.B. den zweiten Satz des Italienischen Konzerts von Sebastian Bach.

    Indem ihre Rück- bzw. Unterseite nach vorn gedreht und die manipulierte, d.h. technisch weiterentwickelte Mechanik demonstrativ vorgezeigt wurde, nehmen die Klaviere, diese musikalische Pionierinstrumente des 19. Jahrhunderts, folgerichtig eine Schlüsselstellung in der Stifter-Installation von Goebbels und Grünberg ein. Es ist eine ruhige, kluge und technisch perfekt realisierte Produktion zu sehen und zu hören, die wohl auch eine Menge über das Sehnsuchtspotiential aussagt, das heute wieder von Biedermeierwelten ausgeht.