Samstag, 20. April 2024

Archiv


Stimme der freien Welt

Als Gegengewicht zum sowjetisch dominierten Berliner Rundfunk war der Rundfunk im Amerikanischen Sektor (RIAS) am 5. September 1946 zum ersten Mal im Radio zu empfangen. Er berichtete vor allem über die deutsche Teilung. Im Osten galt er deshalb als Propagandainstrument.

Von Ingo Kottkamp | 05.09.2006
    "Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen."

    Stimmen aus fünf Jahrzehnten - jeden Sonntag um 12 Uhr übertrug der RIAS die Freiheitsglocke samt Freiheitsschwur vom Schöneberger Rathaus in West-Berlin. Es war eine Art Hausgebet des Senders und bekräftigte sein Selbstverständnis als

    "Eine Stimme der freien Welt."

    Der Sender stand für einen saloppen, in Deutschland neuen Ton. Das sagte schon der Name - RIAS, das klang irgendwie frischer, beschwingter als bürokratische Senderkürzel wie HR oder NDR. Nicht zufällig gehörte eine seiner populärsten Stimmen einem Unterhaltungsmann: Hans Rosenthal.

    " Hier ist das klingende Sonntagsrätsel."
    "Mit der 250. Ausgabe."
    "Ja, weißt du das ganz genau?"
    "Ich hab’s hier schwarz auf weiß."
    "Na, dann wird’s ja wohl stimmen."

    Löste man die Abkürzung aber auf, dann zeigte sich eine ernstere Seite. Der "Rundfunk im Amerikanischen Sektor" wurde von den amerikanischen Alliierten gegründet, um ein Gegengewicht zum sowjetisch dominierten Berliner Rundfunk zu schaffen - seit dem 5. September 1946 mit eigener Funkfrequenz. Auch die Finanzierung kam anfangs vom amerikanischer Seite, in den 60er Jahren wurde sie zunehmend vom Bund übernommen. Bis zum Schluss gab es aber einen amerikanischen Vorstand, der zumindest formell das letzte Wort über alle den Sender betreffenden Fragen hatte.

    "Seit etwa ein Uhr heute Nacht rattern die Pressluftbohrer und bohren einen Graben quer durch die Ebertstraße hier am Brandenburger Tor."

    Die Folgen der deutschen Teilung erlebte der RIAS quasi vor der Haustür. Sie waren ständiger Gegenstand seiner Berichterstattung, so wie hier in einer Reportage vom Mauerbau. Der RIAS sendete für, über und nach Ostdeutschland - berichtete von Versorgungsengpässen in der so genannten Zone, versuchte Nachrichtendefizite der Ostpresse auszugleichen und richtete sogar seinen Jugendfunk an den Lehrplänen der ostdeutschen Schulen aus. Kabarettistisch flankierten diese Maßnahmen die Insulaner, wenn sie etwa den Typus des SED-Funktionärs aufs Korn nahmen.

    "Und wenn jemachte Fehler ein Maßstab sind, dann is unsre Partei det jrößte, was wer haben. Die Sitzung is jeschlossen."

    Die DDR nahm diese Fehde auf - mit Störsendern, die den Empfang verhindern sollten, mit Repressionen gegen RIAS-Hörer und mit dem Schwarzen Kanal, der antiwestlichen Presseschau des DDR-Fernsehens.

    "Der RIAS ist weder ein Westberliner noch ein Regionalsender noch überhaupt eine Rundfunkstation, diese vorgeblich freie Stimme der freien Welt ist eine ausländische Agentenzentrale."

    War der RIAS ein Propagandainstrument? Eine wissenschaftliche Studie hat für die 50er und frühen 60er Jahre die Programminhalte des RIAS mit den Richtlinien der amerikanischen Informationspolitik verglichen. Ergebnis: Sie stimmten überein. Das war aber nicht das Ergebnis einer Zensur oder Lenkung von oben, sondern entsprach der Haltung der Mitarbeiter, die sich gerade in der Insellage West-Berlins mit den USA verbunden fühlten.

    Die Bedeutung des RIAS für die Bundesrepublik kann man kaum überschätzen. Viele große Namen aus Journalismus, Unterhaltung und Politik sind mit ihm verbunden, etwa Friedrich Luft, Klaus Harpprecht, Jürgen Graf, Günter Neumann oder auch Egon Bahr, der ein Jahrzehnt lang Chefkommentator des Bonner RIAS-Büros war.

    Die Wende machte den amerikanischen Sektor obsolet, und mit ihm den RIAS. Es dauerte noch bis Ende 1993, dann hörte er für immer zu senden auf. In den Nachfolgesender DeutschlandRadio gingen sowohl der RIAS als auch der 1990 gegründete Deutschlandsender Kultur auf, der wiederum Nachfolger des DDR-Rundfunks war. Siegfried Buschschlüter, der letzte RIAS-Programmdirektor, sprach die Abschiedsworte auf eine Radioära im Zeichen der Konfrontation.

    "Du hast deinen Rang in der Zeitgeschichte, den kann dir niemand nehmen. Du hast deinen Platz im Herzen der Menschen, da kann dich keiner verdrängen. Mach’s gut, lieber Freund! Bye bye RIAS, bye bye."