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Stimme der Menschlichkeit

Der 1916 in New York geborene Yehudi Menuhin zählte zu den bedeutenden Geigenvirtuosen des 20. Jahrhunderten. Seit seinem Wunderkind-Debüt mit zwölf Jahren in der Carnegie Hall spielte er auf allen bedeutenden Konzertpodien der Welt und machte sich später auch einen Namen als Humanist, der über alle Barrieren hinweg die Kraft der Menschlichkeit predigte. Heute vor zehn Jahren starb Menuhin in Berlin - dem Ort, von dem für sein jüdisches Volk so viel Unglück ausgegangen war und dem er doch nach dem Krieg als einer der ersten wieder die Hand entgegengestreckt hatte.

Von Wolfram Goertz | 12.03.2009
    Es spielen hier wirklich diese beiden, von denen man nicht glauben möchte, dass sie je als Duo aufgetreten sind: der Geiger Yehudi Menuhin, bekannt für seine herzliche, menschenfreundliche Art des Musizierens, und der Pianist Glenn Gould, der berüchtigte Exzentriker des Klaviers. Gould verehrte Menuhin, weil er ihn als singuläres musikalisches Individuum begriff, das sich nicht um das Urteil der Welt scherte. Darin waren sie auf einer Wellenlänge.

    Begonnen hatte der am 22. April 1916 in New York geborene Yehudi Menuhin wie Glenn Gould als Wunderkind, und nach seinem epochalen New Yorker Debüt im Jahr 1927 fasste der Rezensent der "New York Times" diesen Quantensprung kindlichen Violinspiels, das er erlebt hatte, in folgende Worte:

    "Ich war mit der Überzeugung gekommen, dass ein Kind nicht besser Geige spielen könne als ein dressierter Seehund, und ich ging mit der Gewissheit weg, dass es so etwas wie einen berühmten Künstler gibt, der sehr früh beginnt. Hier muss man das abgedroschene Wort 'Genie' zitieren. Es gibt keine andere Erklärung für eine solche Leistung."

    Als Geiger galt Menuhin nie als Inbegriff des Perfekten. Doch rief manches Missglückte bei ihm keine nachhaltigen Zerknirschungen hervor. Er nahm halt noch einmal Unterrichtsstunden und machte trotzdem unbeschadet seinen Weg, die Karriere war unaufhaltsam. Die Musikalität siegte, wenn man so will, über die Materie. Menuhins Geigenton entzündete sich stets am Moment und äußerte gleich ungebremst seine Sehnsucht - wie beim Beginn von Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert:

    Als Yehudi Menuhin 1947 wieder in Berlin gastierte, als erster Amerikaner nach dem Krieg, als Jude und noch dazu mit Furtwängler, wusste er genau, warum er es tat: nämlich aus der gleichen humanistischen Gesinnung heraus, die ihn wenige Jahre zuvor mit der Geige zu den alliierten Truppen geführt hatte. Dieser Einsatz im Namen der Menschlichkeit blieb im Gedächtnis haften. Zu Menuhins Tod am 12. März 1999 in Berlin schrieb die Wochenzeitung "DIE ZEIT" über den Geiger:

    "Lieber sprach er mit den Menschen als zu ihnen, er lieh jedem sein Ohr und spielte sich nicht als Eiferer auf. Was er sagte, war Einsichten abgelauscht. Wenn er predigte, schien hinter jeder Mahnung die Möglichkeit zur Umkehr auf."

    Menuhin hat im Leben vieles ausprobiert. Er spielte mit dem Geiger Stéphane Grappelli und dem Raga-Spezialisten Ravi Shankar, begann zu dirigieren, gründete Festivals, forschte, lehrte, lernte, lieh der Ökologie sein Herz und dem Pazifismus seine Stimme. Außerdem müsse man, sagte er einmal, den "richtigen Gott in sich suchen". Er tat alles schier simultan, denn er hatte nur dieses eine Leben und am Ende keine Zugabe mehr. In der weltweit operierenden Menuhin-Stiftung leben sein Nimbus und seine Autorität fort. Und natürlich auch in seinen Aufnahmen, etwa seiner trotz mancher geigerischen Einwände legendären Einspielung von Beethovens Violinkonzert D-Dur mit dem Philharmonic Orchestra London unter Wilhelm Furtwängler.