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Stimme mit "überwältigender Schönheit"

Der Dirigent Wolfgang Sawallisch hat die verstorbene Sängerin Elisabeth Schwarzkopf als "eines der großen Vorbilder der weiblichen Sängergarde" gewürdigt. "Also die Kombination zwischen Wort und Ton, das macht ihr so schnell keiner nach, bis zum heutigen Tag", sagte Sawallisch. Zugleich habe Schwarzkopf eine voluminöse aber nie zu aufwändige Stimme ausgezeichnet.

Moderation: Michael Köhler | 04.08.2006
    Michael Köhler: ich habe den Maestro gefragt, wann seine erste künstlerische Begegnung mit der Sängerin war.

    Wolfgang Sawallisch: Ich habe in London die Oper, Orffsche, "Die Kluge" aufgenommen mit dem Philharmonia Orchestra und dabei hat Elisabeth Schwarzkopf die "Kluge" gesungen. Jetzt sehe ich gerade, das war 1956, um es genau zu sagen, im Mai. Das war die erste Begegnung mit ihr.

    Köhler: Haben Sie in späteren Jahren noch einmal mit ihr zusammengearbeitet?

    Sawallisch: Ja, ich habe dann eine Strauss-"Capriccio"-Aufnahme mit ihr gemacht, die bis heute, ja, das kann man wohl sagen, ein Opernvorbild ist, mit einer unglaublich guten Besetzung. Und da hat Elisabeth die Gräfin gesungen.

    Köhler: Strauss nahm bei ihr ohnehin eine große Rolle ein. Man kann eine weitere Referenzaufnahme nennen, vielleicht den "Rosenkavalier". Sie hat die Marschallin gesungen.

    Sawallisch: Mit Karajan.

    Köhler: Ja, sie hat, in der "Ariadne" hat sie die Zerbinetta gesungen.

    Sawallisch: Nein, die Ariadne.

    Köhler: Die Ariadne. Sie hat Lieder, die "Vier letzten Lieder" gesungen. Strauss nahm bei ihr auch eine große Rolle ein.

    Sawallisch: Ja, und dann erinnere ich mich noch an eine der schönsten Gemeinsamkeiten - das war 1958, '57! 1957, ein Liederabend in der Royal Festival Hall in London mit der Elisabeth Schwarzkopf, ein Exklusiv-Hugo-Wolf-Liederabend, wo wir also zwei Stunden nur Lieder von Hugo Wolf gesungen haben. Das war damals doch verhältnismäßig kurz nach dem Krieg, zehn Jahre nach dem Krieg, das war eine Sensation damals. Und die Zusammenarbeit, da habe ich also Wochen mit ihr vorher zusammen die Lieder gearbeitet, das war eine der aufregendsten und schönsten Ereignisse. Aber leider, leider habe ich mit Elisabeth nie einen Opernabend live in der Oper gemacht, nur eben die beiden Schallplattenaufnahmen "Carpriccio" von Strauss und "Die Kluge" von Orff und die Liederabende, die ich eben genannt habe, in London und in Aachen. Das bedauere ich bis zum heutigen Tag.

    Köhler: Wie würden Sie ihre stimmlichen Qualitäten charakterisieren?

    Sawallisch: Eine mustergültige Atemführung, eine ungeheuere Genauigkeit beim Übersetzen des musikalischen Textes, eine besondere Bevorzugung der sprachlichen Genauigkeit in der Verbindung mit dem Gesang. Also die Kombination zwischen Wort und Ton, das macht ihr so schnell keiner nach, bis zum heutigen Tag. Und dabei von einer Stimmschönheit, von einer voluminösen, aber nie übertrieben aufwändigen Stimme, sondern das ist so selbstverständlich und so ganz normal einfach alles abgelaufen. Für mich eines der großen Vorbilder der weiblichen Sängergarde.

    Köhler: Sie hat mit Furtwängler gearbeitet, mit Karajan, mit Ihnen. Mir geht es etwas schwer über die Lippen, ich frage es trotzdem mal: Würden Sie sagen, sie war für eine gewisse Zeit das, was man im besten Sinne eine deutsche Sängerin nennen könnte?

    Sawallisch: Ja, absolut! Ich möchte sagen, die 50er, 60er Jahre waren, einschließlich der Salzburger Festspiele, geprägt von der Persönlichkeit und von der stimmlichen, überwältigenden Schönheit dieser Stimme von Elisabeth Schwarzkopf.

    Köhler: Hinzu kommt noch ihre Schönheit als Frau, das darf man auch ruhig sagen.

    Sawallisch:D as darf man auch ruhig sagen, ja.

    Köhler: Man sollte zugleich nicht verschweigen, Herr Sawallisch, dass sie ebenso entschieden wie herrisch sein konnte, streng, sich und anderen gegenüber, fast bis zum Ungnädigen.

    Sawallisch: Das stimmt, das hatte sie aber auch gelernt bekommen durch ihren Mann, den Walter Legge, den Begründer des Philarmonia Orchestras in London. Und ich werde nie vergessen, wie er sie richtig streng hergenommen hat und Phrasen vier, fünf, sechs, zehn Mal hat singen lassen. Sie war von einer Strenge sich selbst gegenüber, stundenlang haben wir gearbeitet. Aber das Ergebnis war von einer sensationellen Einmaligkeit.

    Köhler: Wolfgang Sawallisch, der große Dirigent, künstlerische Weggefährte von Elisabeth Schwarzkopf, zum Tod der Lied- und Opernsängerin.