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Stimmung bei SPD-Basis
Bloß keine Neuwahlen!

Man müsse den Koalitionsvertrag gar nicht lesen. Man merke schon an den Reaktionen von CDU-Politikern und Wirtschaftsverbänden, dass die SPD gut verhandelt habe, sagen einige der SPD-Mitglieder beim Stammtisch in Dortmund-Berghofen. Doch längst nicht alle. In einer Sache sind sich die Genossen jedoch einig.

Von Moritz Küpper | 10.02.2018
    SPD-Ortsvereins Dortmund-Berghofen beim Stammtisch im Februar 2018. Gruppe von Menschen um einen Tisch herum sitzend, in einer Kneipe.
    Bei Neuwahlen könnte der Partei noch Schlimmeres drohen, fürchten die SPD-Mitglieder beim Stammtisch des SPD-Orstvereins in Dortmund-Berghofen (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    Ewald Schumacher kann sich einen Spruch nicht verkneifen. Der pensionierte Richter, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Dortmund-Berghofen, überreicht Birgit Baumhöcker als Neumitglied das Parteibuch sowie eine Geschichte der Sozialdemokratie.
    "Und gerade an einem Tag wie gestern und heute steht da sehr viel von Solidarität. Das wir Seit an Seit schreiten."
    Gelächter am Tisch. Rund 160 Mitglieder gibt es, von denen 18 an diesem Abend zum monatlichen Stammtisch in die Gaststätte Haus Heimsoth gekommen sind. Alle in der zweiten Lebenshälfte, sitzen die Genossinnen und Genossen neben holzvertäfelten Wänden. Das Pils kostet 2 Euro 10, auf der weißen Tischdecke steht aber auch hier und da eine Tasse Tee. Doch bevor es losgeht, herrscht noch Informationsbedarf:
    "Wir haben einiges nicht mitgekriegt so richtig."
    "Es wurde gesagt, aber das ist ein blankes Gerücht, dass Herr Schulz nicht Außenminister werden möchte."
    "Ist das richtig?"
    Am Tisch wird es laut, zustimmenden Nicken – und Jürgen Hoppe zieht seinen Ordner hervor, er hat Schulz' Erklärung ausgedruckt.
    "Er hat geschrieben."
    Die Genossen lauschen andächtig – bis wieder der Vorsitzende Schumacher übernimmt:
    "Ja, gehen wir mal davon aus, dass das die neue Situation ist. Vielleicht, wenn wir es schaffen, wäre es schon ganz gut, wenn wir erstmal vielleicht Stellung beziehen, zum Vertrag."
    Schumacher hat die 177 Seiten ebenfalls ausgedruckt, ein Schnellhefter hält sie zusammen, doch letztendlich fällt es Lore Struck nicht so leicht, Inhalt und Personal zu trennen.
    "Dass viele Punkte erreicht worden sind, zu unseren Gunsten, zu Gunsten der Bürgerinnen und Bürger. Und was sich jetzt abgespielt hat, ist wieder das, also besonders heute, weshalb Du schon mal in unserem Namen an den Bundesvorstand geschrieben hast. Dass sie doch bitteschön, der eine oder andere Mal den Mund halten sollte."
    "Eine Absichtserklärung, der Koalitionsvertrag, nicht mehr"
    Kopfnicken am Tisch. Wie auch bei Wilfried Liebigs Wortmeldung zum Vertrag:
    "Man muss ihn, glaub ich, gar nicht lesen, wenn man die Reaktionen der CDU sieht."
    "Eben."
    "Die Reaktion der Wirtschaftsverbände sieht, dann hat man offensichtlich sehr gut verhandelt."
    Es wird deutlich, auch wenn es einzelne Zweifel und Gegenargumente gibt, wie beispielsweise von Helmut Beer:
    "Das was wir hier feiern, tun so, als ob das alle Gesetzeskraft ist. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Das ist eine Absichtserklärung, der Koalitionsvertrag, nicht mehr."
    Und Beer hat noch ein Argument.
    "'ne Erneuerung, was hier alles rumreden. 'ne Erneuerung in der Regierung, das ist völlig klar. Ich kann nicht 'ne Ehefrau haben und kann nebenher noch fremdgehen. Na gut, das geht vielleicht auch."
    "Kannst Du!"
    Bei Neuwahlen könnte der SPD noch Schlimmeres drohen
    Dass es hier in Dortmund-Berghofen wohl eher eine Zustimmung zu diesem Koalitionsvertrag gibt. Zumal ansonsten Neuwahlen drohen und da – da sind sich alle einig – der SPD noch Schlimmeres drohe. Außerdem gebe es doch eine Kanzlerinnendämmerung und bei Halbzeit kommt alles auf den Prüfstand, auch wenn Neumitglied Baumhöcker fragt:
    "Wie würde sich denn so was darstellen? Das nach zwei Jahren gesagt wird, wie kündigen den jetzt auf. Wie geht denn so was?"
    "Das gibt es."
    "Hat es schon gegeben. In der Geschichte, als jetzt Genscher auf einmal sagte: Ich mach' nicht mehr."
    Zu Familiennachzug: "Wir wissen von unseren Gören, wenn Mama nicht tritt, dann tut der nix."
    Damals waren die Genossen die Leidtragenden, doch jetzt soll es anders sein: Die wichtigen Ministerien, die Parität bei der Krankenversicherung, selbst die kleinen Gewinne beim Familiennachzug werden positiv gesehen – oder auf Einsicht gesetzt:
    "Es wird uns die Erfahrung lehren, dass die jungen Männer, die hier sind, besser integrierbar sind, wenn die Familien dabei sind. Denn wir wissen es von unseren Gören, wenn Mama nicht tritt, dann tut der nix."
    "Das ist ja, was die Andrea Nahles auch macht im Bundestag. Die fragt die Leute von der CDU und CSU: Würdest Du, wenn Dein Kind da irgendwo wär' und Du wärst getrennt davon, dann würdest Du nicht alles dransetzen, dass ihr als Familie wieder zusammenkämt? Ja, das ist genau die Ebene auf der Leute was kapieren können. Aber doch nicht subsidär-geschützter Familiennachzug."
    Nach fast genau anderthalb Stunden, schließt der Vorsitzende Schumacher dann den Abend – und sagt zu Neumitglied Baumhöcker:
    "Ich denke, wir haben von daher eine ganz gute Streitkultur bei uns."
    "Wir lieben uns", fügt Groko-Gegner Helmut Beer an – und dann ist wirklich Schluss.