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Stimmung in Irland und Nordirland
Trotz Brexit: Erleichterung in Dublin und Belfast

Viele Iren waren und sind gegen den Brexit. Dass sich die EU und Großbritannien zumindest auf einen Handelsvertrag einigen konnten, sorgt in der Republik und auch in Nordirland für Erleichterung. Die geteilte Insel könnte jetzt sogar enger zusammenrücken.

Von Martin Alioth | 30.12.2020
Anti Brexit billboards are seen on the northern side of the border between Newry, in Northern Ireland, and Dundalk, in the Republic of Ireland, on Wednesday, July 18, 2018. British Prime Minister Theresa May is scheduled to make her first visit to the Irish border since the Brexit referendum later this week. (Niall Carson/PA via AP)
Protestplakat aus dem Jahr 2018 - mittlerweile stehen die Zeichen auf Kompromiss (picture alliance/AP Photo | Niall Carson)
"Brexit means Brexit." "Brexit bedeutet Brexit", hatte die britische Premierministerin Theresa May einst kryptisch wiederholt, aber niemand wusste, was sie damit eigentlich meinte - möglicherweise einschließlich ihrer selbst. Doch nach ihrem Scheitern und Sturz übernahm Boris Johnson die britische Führung und unterschrieb ein Scheidungsabkommen, das die britische Provinz Nordirland im Europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion beließ.

Nordirland weiter Teil des Binnenmarkts

Im letzten Dezember gewann er eine deutliche Parlamentsmehrheit mit dem Versprechen, einen recht kompromisslosen Austritt für den Rest des Landes, also Großbritannien, durchzusetzen. Formell trat dieser Austritt, der Brexit, am 31. Januar in Kraft, wobei sich wirtschaftlich bis zum Jahresende nicht viel ändern sollte.
Während Irlands Interessen aufgrund seiner geografischen Lage und des nordirischen Friedensprozesses in der ersten Verhandlungsphase im Zentrum gestanden hatten, war dies im laufenden Jahr weniger stark sichtbar. In den letzten Monaten allerdings wurde Dublin im Wechselbad der Verhandlungen immer pessimistischer.
Barnier im braunen Mantel und mit Maske winkt in die Kamera. Er trägt einen Stapel Dokumente unter dem Arm. Hinter ihm unscharf weitere Personen.
Michel Barnier, Chefunterhändler der Europäischen Union für den Brexit (Victoria Jones/PA Wire/dpa)
Doch am Heiligen Abend verkündete der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, den Durchbruch. Die Stoppuhr stehe still. Als erstes Ziel der kollektiven Anstrengung auf EU-Seite nannte er die Bewahrung des Friedens auf der Insel Irland. Entsprechend erleichtert fielen die ersten Reaktionen in Irland aus.
Leo Varadkar, der stellvertretende Regierungschef, der einst das Scheidungsabkommen gerettet hatte: Die Beziehungen müssten sich verändern, weil die Briten ihre Souveränität nicht mehr mit der EU teilten, aber, wenn man bedenke, was unter anderen Umständen hätte geschehen können, dann sei dieser Ausgang wesentlich besser als viele in den letzten viereinhalb Jahren erwartet hätten.

Irland pro-europäisch eingestellt

Irland hat die weitgehend englische Obsession mit Souveränität nie begriffen oder gar geteilt, denn den Iren ist es wohl unter dem europäischen Dach.
Varadkars Chef und Koalitionspartner, Premierminister Micheál Martin, verwies auf die Vorteile für Irland: Der Handelsvertrag bedeute Irland viel, es sei der Endpunkt einer langen Reise zum Schutz irischer Kerninteressen. Martin nannte die Bewahrung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums für die ganze Insel Irland ohne eine sichtbare Grenze, die Aufrechterhaltung der Personenfreizügigkeit zwischen dem Königreich und Irland sowie die Absicherung von Irlands Platz im Herzen der EU. So bleiben die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Teilen dieser Inselgruppe intakt, das Schlimmste ist verhindert.

Selbst Nordirlands Chefministerin, Arlene Foster, war zufrieden: Sie werde das Kleingedruckte noch prüfen, aber grundsätzlich handle es sich um eine frohe Botschaft. Die seit hundert Jahren geteilte Insel wird jetzt näher zusammenrücken.
Die Republik hat während des gesamten Prozesses immer auch versucht, die Interessen der Nordiren wahrzunehmen. Künftig wird Irland die Kosten für die Beteiligung nordirischer Studenten am europäischen Austauschprogramm Erasmus übernehmen, während die britischen Studenten vorläufig ausgeschlossen bleiben.
Die Konservativen Arlene Foster (DUP) und Boris Johnson in Belfast, Nordirland, am 2. Juli 2019. Johnson hat für seine Kandidatur um den konservativen Parteivorsitz in Großbritannien und um das Amt des Premierministers geworben.
Arlene Foster neben dem britischen Premier Johnson (Andrew Parson / imago)