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Stimuliertes Erwachen

Neurologie. – Für Komapatienten können Mediziner nur selten etwas tun. Die Menschen dämmern häufig jahrelang vor sich hin, ohne dass man erkennen kann, ob sie ihre Umwelt überhaupt noch wahrnehmen. In der aktuellen "Nature" berichten Mediziner jetzt, dass sie einen solchen Patienten nach sechs Jahren durch die Hirnstimulation mit implantierten Elektroden aufwecken konnten.

Von Michael Lange | 02.08.2007
    Sechs Jahre lang lag der 38jährige in einem Koma ähnlichen Zustand. Er konnte weder sprechen, schlucken, noch kauen. Sein Fall schien hoffnungslos. Doch nun kehrt er langsam zurück ins Leben, dank einer erstmals ausprobierten neuen Behandlungsmethode. Dies zu kommentieren, bat die Zeitschrift "Nature", die Mutter des Patienten. Und so begann die Präsentation der Forschungsergebnisse für wissenschaftliche Verhältnisse sehr emotional.

    "”Mein Sohn kann jetzt essen, sogar sprechen, einen Film sehen. Er trinkt aus einer Tasse. Er empfindet Schmerz, und er kann weinen. Und was das wichtigste ist: Er kann ‚Mama’ und ‚Papa’ sagen. Er sagt: ‚Ich habe Dich lieb, Mami.’""

    Was wie ein Wunder klingt, war ein wissenschaftliches, höchst riskantes Experiment. Aber da es keine Alternative gab, entschieden sich die Ärzte nach Absprache mit den Eltern des Patienten für eine Elektro-Stimulation. Die Hoffnung, dass dies helfen könnte, das Gehirn zu reaktivieren, schöpften die Ärzte aus der Tatsache, dass der Patient nicht absolut bewusstlos war. Schon bald nach seiner schweren Gehirnverletzung zeigte er Anzeichen eines minimalen Bewusstseins. Viele Bereiche seines Gehirns waren noch intakt und könnten reaktiviert werden, so die Hoffnung. Dazu der Neurochirurg Joseph Giacino aus Cleveland:

    "Er hielt seine Augen die ganze Zeit geschlossen, auch wenn er wach war. Wenn wir ihn aufforderten eine bestimmte Bewegung auszuführen, machte er das. Aber die Augen blieben geschlossen."

    Ganz selten sprach der Patient. Aber die Worte waren nicht oder kaum verständlich. Dennoch: Es gab die Hoffnung, dass viele Gehirnregionen noch funktionstüchtig waren, und sich möglicherweise wieder aktivieren ließen. In einer zehnstündigen Operation pflanzten die Mediziner feine Elektroden in beide Gehirnhälften des Patienten: Eine Art Hirn-Schrittmacher. Sie pflanzten die dünnen Drähte in den Thalamus, eine Region tief im Inneren des Großhirns. Sie gilt als eine Art Relaisstation, die die Informationen aus den Sinnesorganen verarbeitet und an verschiedene Gehirnregionen weiterleitet. Durch schwache, sich ständig wiederholende elektrische Impulse stimuliert nun der Schrittmacher den Thalamus. Die Energie erhält er aus einer Batterie, die unterhalb der Brust implantiert wurde. Und tatsächlich: Die elektrischen Impulse zeigten Wirkung. Verschiedene Gehirnregionen des Patienten, auch solche außerhalb des Thalamus, zeigten wieder eine erhöhte Aktivität. Schon am ersten Tag nach der Operation, überraschte der Erfolg selbst die Fachleute. Joseph Giacino:

    "”Die erste Änderung und auch die wichtigste war: Er öffnete die Augen. Er nahm seine Umwelt sofort wahr. Wenn ihn jemand von rechts ansprach, blickte er nach rechts. Dann kam jemand von links, und er orientierte sich nach links.""

    Möglicherweise ist das erst der Anfang, hoffen die Ärzte. Denn die verschiedenen Regionen im Gehirn des Patienten müssen wieder lernen zusammenzuarbeiten. Wenn erst die stark geschrumpften Muskeln wieder aufgebaut sind, lässt sich sagen, inwieweit der 38jährige wieder fähig sein wird, sich zu bewegen. Auf jeden Fall, gibt es Hoffnung, wenn die Wirkung der Elektroden anhält. Trotz dieses Erfolges warnen die Ärzte vor einer Verallgemeinerung. Möglicherweise handelt es sich um einen Einzelfall. Wenn sich das Ergebnis überhaupt auf andere Patienten übertragen lässt, dann nur, wenn sie wie in diesem Fall noch über gewisse Aktivitäten im Gehirn verfügen.