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Störche, Stare und Kraniche als Frühlingsboten

Die ersten Störche sind aus ihren Winterquartieren nach Deutschland zurückgekehrt. Doch nicht nur die Störche sind die ersten Frühlingsboten in Deutschland, sondern auch die Stare und ebenso die Kraniche. Seit einigen Tagen schon ziehen die großen Schreitvögel mit lauten Rufen über Südniedersachsen.

Von Carolin Hoffrogge | 01.03.2010
    "Wir haben hier in der Region circa 3000 Vögel gesehen, die durchgezogen sind und das können bis Mitte Ende März erheblich mehr werden."

    Für den Arbeitskreis Göttinger Ornithologen ist Hans Heinrich Dörrie zurzeit täglich mit seinem Fernglas unterwegs. Heute beobachtet er die ziehenden Kraniche am Göttinger Kiessee, einem großen Wasserschutzgebiet zwei Kilometer von der Innenstadt entfernt.
    "Der Kranich ist eine der ersten Arten, die in die Brutgebiete zurückkommt und insofern auch ein Frühlingsbote. Es kann natürlich sein, dass wir in milden Wintern schon im Januar Züge haben, beziehungsweise die Vögel versuchen hier zu überwintern. Aber bei dem letzten Winter, der ja nun sehr hart war, ist das nicht der Fall."

    Mit einer Flügelspannweite von bis zu zweieinhalb Metern ziehen die großen Schreitvögel majestätisch über die Landschaft. Aber trotz dieser Grazie sind die Kraniche hart im Nehmen, meint Hans Heinrich Dörrie. Bei Wind und Wetter zieht es sie vom Südwesten in den Nordosten Europas.

    "Er ist eine vergleichsweise harte Vogelart, die nicht auf Insekten oder Fische angewiesen ist, sondern sich vegetarisch ernähren kann, von Würmern oder Kleinlebewesen. Dieser Nahrungserwerb ermöglicht dem Kranich schon relativ früh im Jahr, in die Brutgebiete zurückzukehren. Er hat gegenüber anderen Artgenossen einen Vorteil, wenn er möglichst früh, die besten Brutplätze besetzt. Das ist so wie auf Mallorca, wenn man am Pool die besten Plätze mit seinem Laken markiert."

    Ohne Zwischenstopp legen die Kranich bis zu 800 Kilometer Luftlinie an ein bis zwei Tagen zurück, von Ostfrankreich nach Ostdeutschland. Der Göttinger Vogelkundler Hans Heinrich Dörrie:

    "Die meisten Kraniche, die wir über die Region ziehen sehen, die fliegen vom Lac du Der, das liegt in der südlichen Champagne in Ostfrankreich nonstop von diesem großen See in ihre Rastgebiete nach Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern."

    Neben den eindeutigen Lauten, dem Trompeten wie die Vogelkundler den Kranichruf nennen, erkennt man die Kraniche auch an ihren Flugformationen. Entweder formieren sich die großen Vögel zu einer Eins, zu einem V oder auch zu einer geraden Linie.

    "Sie fliegen in Formation, aber streng genommen ziehen sie paarweise, weil Kraniche sind lebenslang verpaart, leben in lebenslanger Einehe, nehmen ihre Jungvögel auch noch mit, denen sie den Hin und Rückweg erklären. Das heißt die großen Kranichformationen, die in Form einer Eins ziehen, setzen sich aus mehreren Familien zusammen."

    An der Spitze des Zuges ziehen die Starken der Familien, meistens die männlichen Kraniche. Aber, so Dörrie, die intelligenten Tiere wechseln sich bei ihrem Zug stetig ab. Es gibt also eine Arbeitsteilung. All diese Informationen sammelt der Göttinger Zoologe Dr. Klaus Dornfeld für die ortsänsassige Gruppe des Naturschutzbundes. Hilfe bekommt Kranichliebhaber Dornfeld von Spaziergängern, die Kranichzüge beobachten. Wie groß sind die einzelnen Kranichfamilien? Um welche Uhrzeit ziehen sie von West nach Ost? Wie ist das Wetter, wie weht der Wind?

    "Daher hoffe ich das viele Beobachter ihre Kranichzugmeldungen an den Nabu melden. Unter Angabe des Datums, der Uhrzeit und möglichst auch der Anzahl, etwa schätzen, noch besser wäre es, wenn sie sie zählen können. Dann noch die Formation."

    Seit 1968 schon dokumentiert der Göttinger Nabu die Kranichzüge. Dabei arbeiten Klaus Dornfeld und Kollegen eng mit den nationalen Vogelschutzwarten und anderen Kranichschützern zusammen. So lässt sich das Verhalten der großen Zugvögel besser einschätzen. Hans Heinrich Dörrie.:

    "Wir haben festgestellt, das er sich zum Beispiel an prominenten Landkarten orientiert wie zum Beispiel an Flussniederungen, wo die Vögel dann über dem Leinetal kreisen und lautstark rufen, untereinander diskutieren, wo geht es weiter? In dem Moment, wo sie die Weser erblicken hat, man bei vielen Formationen einen scharfen Knick ab nach Südwesten, das heißt dort orientieren sie sich wieder neu und sie bringen auf dem Zug auch wieder ihrem Nachwuchs bei, wo sie langfliegen müssen."

    Diese Beobachtungen haben dem Kranich und seiner Art in den vergangenen Jahren sehr geholfen, galt der imposante Vogel doch noch vor Jahrzehnten als bedrohte Tierart in Deutschland und Europa.

    "In Deutschland haben wir zurzeit 6000 Brutpaare und in Niedersachsen um die 400. Das ist ein ganz enormer Bestandsanstieg. Zum einen hat sich rausgestellt, das die Vögel anpassungsfähiger sind, als man bisher gedacht hat. Das heißt, sie können in kleinen feuchten Blenken inmitten großer Getreideschläge brüten, wie es zum Beispiel auf Rügen der Fall ist. Sie haben aber auch von Naturschutzmaßnahmen profitiert, wie zum Beispiel der Vernetzung abgetrofter Moore oder der Unterschutzstellung von Bruchwäldern, wo dann zum Teil sogar die Brutplätze von Menschen einzeln bewacht werden."

    Der Korridor, in dem die Kraniche ziehen ist 200 Kilomter breit und erstreckt sich diagonal durch Deutschland, von West nach Ost.

    "Für uns Göttinger, wie sind da in einer privilegierten Position. Weil viele Menschen in Bayern oder auch in Nordwestdeutschland, die kennen diese Kranichzüge nicht, weil ihre Heimatorte nicht in dem Zugkorridor der Art liegen. Es ist schon eine tolle Sache, wenn die jedes Jahr laut trompetend über einen hinwegziehen."

    Seit ihrer Kindheit genießt die Göttingerin Tanja Schmidt dieses großartige Naturschauspiel:

    "Vorgestern ist ein riesengroßer Schwarm über Göttingen geflogen. 300 Stück, es war eine Menge. Das war zu hören. Das war ein Hingucker. Alle hier am Kiessee haben nach oben geguckt. Alle waren begeistert, was sich da oben am Himmel tut."