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Stopp auf allen Strecken

Der Konflikt zwischen Lokführern und Bahn wirft eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf: Welchen Wert hat die Tarifeinheit der Bahngewerkschaften? Darf ein Arbeitgeber, die Bahn, Streiks gerichtlich verbieten lassen? Sollte die Bundesregierung eingreifen, wenn die Volkswirtschaft unter Streikfolgen leidet? Und im Hintergrund wartet dann auch noch die geplante Privatisierung der Bahn.

Von Gudula Geuther, Hanno Griess, Gerhard Irmler und Jörg Münchenberg | 14.11.2007
    Heute Mittag um kurz vor 12 im Führerstand einer schweren Güterzug-Lokomotive der Baureihe 155. Ab jetzt werde gestreikt, sagt der Lokführer, der seinen Namen nicht nennen will. Dazu rüstet er die Lok ab, wie es in der Bahner-Sprache heißt:

    " Dazu hätten wir dann jetzt eben hier den Umformer mit auszuschalten, Hauptschalter, und den Stromabnehmer senken wir. Damit wäre die Lok erst mal schon vom Stromnetz getrennt, und nicht mehr fahrfähig, Handbremse andrehen "

    Die Lok steht und wird abgeschlossen. Wie lange das so sein wird und wie lange der Streik insgesamt dauern könnte, das weiß er nicht:

    " Bis zum bitteren Ende. Wir werden sehen, wie die Lage sich entwickelt, so dass wir endlich mal ein tragfähiges Angebot bekommen, so dass sich auch in unseren Löhnen, Arbeitszeiten und den ganzen Umfeldsbereichen mal wieder was ändert. Dass ein Leben als Lokführer nicht nur auf der Strecke, sondern auch im Bereich des Umfelds, in der Dienststelle, bzw. das sich auch da wieder was ändert, dass man familienmäßig doch mal mehr planen kann und eben so wieder noch mehr Freude am Beruf haben kann. "

    Der anvisierte Lohnzuwachs sei für ihn dabei gar nicht das Entscheidende. Sondern die Arbeitsbedingungen. Der Dienstplan zwinge ihn dazu, beispielsweise privat von Dresden nach Magdeburg zu fahren, dort einen Zug zu übernehmen, zwischendurch Pausen zu machen und am Ende wieder nach Hause zu fahren. Bezahlt würden nur seine Dienstzeiten auf der Lok, sagt der 45-Jährige. Am Ende arbeite er den ganzen Monat und habe trotzdem offiziell weniger geleistet als im Arbeitsvertrag vereinbart.

    Deshalb stehen er und seine Kollegen hinter der Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag. Andere Gewerkschaften wie die Transnet hätten sich in der Vergangenheit nie für die Verhältnisse bei den Lokführern interessiert, sagen Wolfgang Berndstein und Uwe Herklotz von der örtlichen Streikleitung. Die Uhr an der Wand ihres Büros zeigt kurz vor zwölf:

    " Fünf vor zwölf ist es jetzt. Das ist eine gute Zeit. Und es ist weiß Gott fünf vor zwölf, weil wir schon seit längerem die Streikwaffe rausgeholt haben, und für viele ist es schon nicht mehr nachvollziehbar, was hier zwischen Bahn und GDL abgeht. Auch wir sehen das so. Wir wollen ein Ziel erreichen, und uns bleibt nur dieses eine Mittel, der Streik um unser Ziel zu erreichen, ein anderes Mittel haben wir nicht "

    Von den rund 70 Lokführern im Bahnbetriebswerk Dresden Friedrichsstadt sind etwa 60 in der GDL organisiert, und damit bewegt sich auf den Schienen in der Region nicht mehr viel. Die bis zu 700 Meter langen Züge würden übrigens nicht - wie oft gegenteilig behauptet - auf freier Strecke abgestellt, sondern so, dass sie den sonstigen Verkehr nicht behinderten, sagt Streikleiter Uwe Herklotz:

    " So, dass niemand gefährdet wird. Leben, Gut und Güter werden also geschützt und dann wird die Arbeit beendet. "

    Dann klingelt das Telefon. Herklotz bekommt Nachricht von der ersten Reaktion der Deutschen Bahn auf die Arbeitsniederlegung. Jetzt erst hat der Streik endgültig begonnen:

    " Es ist grad der Hinweis gekommen, dass der Arbeitgeber sämtliche Mitarbeiter, die sich am Streik beteiligen, der Arbeitsräume des Arbeitgebers verweist, bis hin zur DB Gastronomie. "

    "Meine Damen und Herren, bitte beachten Sie: aufgrund von Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokführer ist der Zugverkehr beeinträchtigt"

    Diese Ansage wird den Zugreisenden in den nächsten Tagen häufig in den Ohren klingen. Denn im Tarifkonflikt zwischen der Gewerkschaft der Lokführer, kurz GDL, und dem Vorstand der Bahn zeichnet sich keine Annäherung ab, im Gegenteil, die Fronten haben sich verhärtet: beide Seiten bestehen unnachgiebig auf ihren Grundsatzpositionen.

    Bevor überhaupt verhandelt werden kann, müsse die Bahn ein neues Angebot vorlegen, lautet die Grundmaxime der Lokführer. Dreh- und Angelpunkt dabei: das Zugeständnis eines eigenen Tarifvertrages, wie ihn sich auch schon andere einflussreiche Berufssparten wie etwa die Klinikärzte, Piloten oder Fluglotsen erkämpft haben. Es geht also um deutlich mehr als nur um die übliche Lohnfeilscherei. Nicht umsonst hat die GDL stets betont, die bisherige Forderung von rund 31 Prozent Lohnaufschlag sei kein Dogma, sondern verhandelbar.

    Stattdessen wollen die Lokführer endlich raus aus der Tarifeinheit mit den beiden anderen Bahngewerkschaften, Transnet und GDBA - natürlich auch mit dem langfristigen Ziel, deutlich höhere Abschlüsse für die rund 14.700 so genannten Triebfahrzeugführer zu bekommen, als sie die übrige Belegschaft bislang erstritten hat. Die Bahnspitze wiederum befürchtet einen Dominoeffekt - gewährt man jetzt den Lokführern einen eigenen Tarifvertrag, könnten bald andere Berufsgruppen nachziehen - die Folgen für den Konzern wären verheerend, meint auch der Tarifexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft, Hagen Lesch:

    " "Wenn ein Unternehmen mit vielen Spartengewerkschaften verhandeln muss, eben weil es keine Tarifeinheit gibt, dann hat dieses Unternehmen massive Probleme. Es ist ständig mit Arbeitskonflikten bedroht. In alle Tarifverträge kommen irgendwelche Revisionsklauseln, man hat keine Planungssicherheit und die Belegschaft wird gespalten, weil dann Neideffekte auftreten, weil die eine Gewerkschaft mehr rausholt als die andere. Wenn das die Zukunft des deutschen Tarifvertragsystems wird, dann kriegen wir tatsächlich die viel beschworenen britischen Verhältnisse der 60er und 70er Jahre". "

    Sicherlich eine überzogene Prognose, zumal sich auch die Lohnforderungen der anderen neuen Spartengewerkschaften wie die der Ärzte oder Piloten im Rahmen gehalten haben.

    Doch die Bahn treibt noch eine andere Sorge um: Sollte es nämlich der GDL gelingen, in einem eigenständigen Tarifvertrag deutlich höhere Abschlüsse zu erzielen als die bislang mit den beiden anderen Gewerkschaften erreichten 4,5 Prozent plus Einmalzahlung von 600 Euro, würden auch Transnet und GDBA auf Nachverhandlungen pochen - eine entsprechende Klausel im bestehenden Tarifvertrag macht dies möglich. Entsprechend unnachgiebig und harsch vertritt Bahn-Chef Hartmut Mehdorn seine Position, zumal der Konzern sein Angebot im Oktober noch einmal nachgebessert habe:

    " Und wenn jemand einigungswillig ist, dann nimmt er das an. Und wenn jemand Krieg durch Streik erzielen will, dann können wir das nicht verhindern. Dann muss die GDL dafür aber auch die Verantwortung übernehmen. "

    Gleichzeitig hat die Bahn versucht, den Streik mit allen Mitteln zu verhindern, nicht zuletzt mit Hilfe der Gerichte.

    Dabei gibt es durchaus viel versprechende Ansätze, wie dieser Konflikt gelöst werden könnte. So wird derzeit über die Auslagerung der GDL-Lokführer in eine eigene Bahn-Gesellschaft spekuliert, in die dann auch die Lokführer von Transnet und GDBA eintreten könnten. Der Charme dabei: die GDL bekäme ihren eigenen Tarifvertrag, gleichzeitig könnte eine Zersplitterung der Tarifstrukturen im Konzern verhindert werden.

    Angeblich soll sich mit diesem Ansatz morgen auch der Bahn Aufsichtsrat befassen, doch zunächst einmal lassen die Lokführer erneut die Muskeln spielen. Und die Bahn kann dem nichts entgegen setzen: weil gleichzeitig alle drei Sparten, also Nah-, Fern- und Güterverkehr bestreikt werden, können auch die verbeamteten Lokführer die Lücken nicht mehr füllen. Die volkswirtschaftlichen Schäden, so IW-Experte Lesch, könnten beträchtlich sein:

    " "Man muss einfach entscheiden nach der Fristigkeit des Streiks. Je länger der dauert, desto mehr Firmen sind letztlich betroffen. Und man kann schon sagen, dass ein einwöchiger Streit mit Sicherheit Produktionsausfälle verursachen würden. Und solche Produktionsausfälle können schnell eine Summe von 100 Millionen Euro pro Tag erreichen. Das ist kein Horrorszenario, sondern das ist wirklich ein Szenario, das eintreten wird, wenn die GDL über einen längeren Zeitraum die Schiene blockieren wird". "

    Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass heute die Bundesregierung in einem deutlichen Appell Bahn und Gewerkschaft zu neuen Verhandlungen aufgefordert hat. Die Befürchtungen sind groß, dass die Tarifauseinandersetzung die konjunkturelle Erholung Deutschlands nachhaltig gefährden könnte.

    Um mögliche "immense wirtschaftliche Schäden für die Volkswirtschaft" abzuwenden, hatten bereits im August die Richter des Nürnberger Arbeitsgerichts jeglichen Ausstand in der Hauptreisezeit vorläufig untersagt. Ein höchst umstrittener Beschluss. Viele Arbeitsrechtsexperten vertreten die Ansicht, solche Abwägungen seien nicht Sache des Gerichts. So auch Heide Pfarr, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

    " Volkswirtschaftlicher Schaden - natürlich entsteht der bei einem Streik. Das ist ja der Sinn der Sache. Der Arbeitgeber soll ja unter Druck gesetzt werden. Und wie soll er anders unter Druck gesetzt werden als mit der Drohung mit einem Schaden - oder auch einem eingetretenen Schaden. Man kann dann mit dem Hinweis "der Schaden ist groß" oder "die Volkswirtschaft ist betroffen" jeden beliebigen Streik aufhalten. Deswegen ist das ein schlechtes Kriterium. "

    Tatsächlich hatte dieses Argument auch bisher noch kein Gericht je angeführt. Wie vieles im - kaum gesetzlich geregelten - kollektiven Arbeitsrecht ist dieser Punkt umstritten. Frank Bayreuther, Professor an der Freien Universität Berlin, kann sich sehr wohl vorstellen, dass die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft für die Beurteilung eine Rolle spielen:

    " Der wirtschaftliche Schaden soll dem Kampfgegner, also dem Verband oder dem ihm angeschlossenen Unternehmen Schaden zufügen. Und an sich nicht der Allgemeinheit. Schäden der Allgemeinheit sollen an sich sogar vermieden werden. "

    Dennoch sei es die Regel, dass Unbeteiligte von Streiks betroffen seien, sagt Frank Bayreuther. Deshalb stellt sich für ihn die Frage, ab wann es zuviel, ab wann es unverhältnismäßig wird. Heide Pfarr glaubt: Gar nicht. So eine Abwägung stehe einem Gericht nicht zu. Bayreuther dagegen geht es bei der Frage des Schadens nicht nur um Euro-Beträge, sondern vor allem die öffentliche Daseinsvorsorge. Also die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Grundgütern. Die wird bei der Bewertung von Streiks in Zukunft eine immer größere Rolle spielen, wenn immer weniger Beamte eingesetzt werden. Im konkreten Fall der Bahn genügt Bayreuther dieses Argument aber eher nicht:

    " Ansonsten hat man immer gesagt: Wenn es um lebenswichtige Güter geht, da darf zwar gestreikt werden, aber die absolut lebensnotwendige Versorgung, die muss aufrecht erhalten bleiben. Ob man jetzt die Eisenbahn schon unter Daseinsvorsorge rechnet, das kann man sicher unterschiedlich beurteilen. "

    Für Heide Pfarr sind das ohnehin zwei verschiedene Ebenen:

    " Notdienst ist eine Sache, über die die sozusagen geübteren Tarifparteien als die, die jetzt im Clinch liegen, in der Regel Vereinbarungen machen. Damit zum Beispiel ein bleibender Schaden an den bestreikten Unternehmen nicht entsteht. Auch die Bahn könnte mit der GDL eine Notdienst-Vereinbarung abschließen. "

    Das sei aber keine Frage des volkswirtschaftlichen Schadens. Wie auch immer man die Frage theoretisch beantwortet: Letztendlich ist das Ergebnis der richterlichen Abwägung für den Normalfall vorgezeichnet. Das sagt auch Frank Bayreuther:

    " Die Wertentscheidung des Grundgesetzes ist eigentlich ganz klar. Zunächst spricht das Grundgesetz einmal für den Streik. Das heißt: Die Untersagung des Streiks kann eigentlich nur eine zu rechtfertigende Ausnahme sein. Es müssen eben im Einzelfall ganz besondere Rechtsgüter festgestellt sein. - Allerdings mehr an Maßgaben werden wir auch nicht finden. Es bleibt in der Tat eine Einzelfallentscheidung. "

    Deutlicher noch formulierte es das sächsische Landesarbeitsgericht in Chemnitz Anfang November - und hob damit ein Urteil des Arbeitsgerichtes Chemnitz auf, das den Streik im Fernverkehr zuvor untersagt hatte: Damit ein Gericht einen Streik als rechtswidrig untersagen könne, müsse er offensichtlich ungeeignet und unverhältnismäßig sein. Das aber sei hier - bei den Lokführern - nicht der Fall. Sie dürfen also die Arbeit niederlegen - ohne Beschränkungen. Ähnliche Grundsätze hatte früher auch schon das Bundesarbeitsgericht aufgestellt.

    Bei der Frage, ob ein Streik ungeeignet ist, kommt die zweite große Streitfrage dieses Verfahrens auf: Der Grundsatz der Tarifeinheit. Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag - damit wollten die Richter am Bundesarbeitsgericht verhindern, dass unterschiedliche Regelungen für den Arbeitgeber nicht mehr handhabbar werden. Vor allem aber soll es im Sinne der Arbeitnehmer verhindern, dass ihre Verhandlungsmacht zersplittert. Inzwischen ist allerdings fraglich, ob dieses Prinzip so noch gilt. Verfassungsrechtliche oder gesetzliche Regelungen fehlen, in der Wissenschaft ist es umstritten. In letzter Zeit ist auch das Bundesarbeitsgericht, von dem dieses Prinzip stammt, vorsichtig von ihm abgerückt. Schließlich haben nicht nur die immer wieder erwähnten Piloten ihre eigene Gewerkschaft Cockpit; auch in der Seefahrt gibt es unterschiedliche Tarifverträge für See- und Landbetriebe. Um die deutschen Bühnen kümmern sich sogar sechs Gewerkschaften.

    Ob die Tarifeinheit gilt oder nicht, hat allerdings konkrete Folgen für das Streikrecht, erklärt Frank Bayreuther:

    " Wenn ein Tarifvertrag ohnehin nicht im Betrieb gilt, weil er eben nicht der speziellste ist, sondern ein Separattarifvertrag für eine Berufsgruppe, dann ist es wahrscheinlich unverhältnismäßig, für diesen zu streiken. Weil, er kommt ja eh nie zur Geltung. Und jetzt ist die Frage: Gibt man den Grundsatz der Tarifeinheit auf, dann hat der natürlich keine Auswirkungen auf den Streik. Dann darf auch ein separater Tarifvertrag zum Beispiel für Lokomotivführer oder Piloten etc. erstreikt werden. Hält man daran fest, wird es wohl schwierig. "

    Wiederum anders sieht es Heide Pfarr: Die Tarifeinheit mag wünschenswert sein. Rechtlich erzwingen lässt sie sich nicht:

    Wir haben nun mal die Garantie der Koalitionsfreiheit. Und da ist jedermann und allen Berufen gewährleistet, dass sie sich vereinigen können. da ist von Tarifeinheit keine Rede.

    Wie auch immer sich ein Gericht entscheidet: Es muss überzeugt sein davon, dass ein Streik rechtswidrig ist, glauben Pfarr und Bayreuther. Zweifel genügen nicht für ein Verbot.

    Dass in Sachen Streik rechtlich vieles unklar ist, liegt daran, dass Fragen des Streikrechts selten zum Bundesarbeitsgericht gelangen, wie die Gewerkschaftsfrau erläutert.

    " Deswegen, weil die Tarifparteien, insbesondere die, die auch schon miteinander eine lange Übung des Aushandelns und auch der Streikweisen Erkämpfung haben, überhaupt keinen Wert darauf legen, gerichtliche Auseinandersetzungen zu führen. Es gibt in der Regel bei Tarifabschlüssen eine Klausel, dass wechselseitige Vorwürfe oder Ansprüche nicht geltend gemacht werden. Und das ist auch vernünftig so. Es ist wirklich Sache der Tarifparteien, mit diesem Konflikt klarzukommen. Und einen Richter herbeizuzitieren und als Streikhelfer einzusetzen oder als Anti-Streikhelfer, ist einfach der falsche Weg. "

    Bleibt abzuwarten, ob dies angesichts der bisherigen Klagefreude der Bahn auch in diesem Verfahren so bleibt.

    Denn der Bahn ist an einer raschen Lösung gelegen. Zum einen wegen des wirtschaftlichen Schadens, der dem Unternehmen dadurch entsteht. Zum anderen aber sind die streikenden Lokführer nicht das einzige Problem, mit dem sich Bahnchef Hartmut Mehdorn zur Zeit beschäftigen muss. Um seine Pläne für den Börsengang der Deutschen Bahn steht es nicht gut. Die Frage der Bahnprivatisierung - ob integriert, also mit Schienennetz oder doch ohne - spaltet nicht nur die politischen Lager, sie legt auch die Nerven bei vielen Beteiligten blank. So auch beim Vorsitzenden der Bahn-Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, der kritische Journalisten gerne mal abbügelt.

    " Zunächst mal sollten Sie keine rhetorischen Fragen stellen, ich muss überhaupt nichts. Ich muss auch nichts konstatieren. "

    Nach dem Parteitag der SPD, auf dem ein stimmrechtsloses Volksaktien-Modell beschlossen wurde, bei Erhalt des integrierten Gesamtkonzerns Bahn, ist die Not wieder einmal groß, ein Erfolg versprechendes Privatisierungs-Modell zu finden. Zumal die Union das SPD-Volksaktien-Modell ablehnt, weil damit nicht genug Geld in die Kasse komme.

    Den schwarzen Peter hat damit einmal mehr der glücklos agierende SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee.

    " Wir sind mit CDU/CSU uns einig, dass wir die Teilprivatisierung vorantreiben wollen. Dazu werden wir noch beraten, ohne, dass ich etwas vorwegnehmen will. Es ist sicher, dass wir Lösungen weiter ins Kalkül ziehen. "

    "Lösungen weiter ins Kalkül ziehen", eine Formulierung, die die geballte Ratlosigkeit der Regierenden ausdrückt. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hatte als Ausweg aus der Klemme vorgeschlagen, nicht den integrierten Gesamtkonzern Bahn teilweise zu privatisieren, sondern bahneigene Logistik-Firmen wie Schenker und andere.

    Als Miterfinder des SPD-Volksaktien-Modells gilt der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin. Er lobt, was sich Steinbrück ausgedacht hat.

    " Ich persönlich finde das Modell einen sehr guten Ansatz, weil es das jetzt bringt, was wir auch brauchen, dass das Netz als staatliche Einrichtung staatlich bleiben soll, dass aber das, was auf dem Netz fährt und sich bewegt, ruhig auch von Privaten gefahren und bewegt werden kann und ruhig auch im Wettbewerb. "

    Dagegen hält der Verkehrsexperte Horst Friedrich, dessen liberale Partei sich ansonsten keiner Privatisierung verschließt, das so genannte Steinbrück-Modell für "den Gipfel des Unsinns" - der FDP-Politiker wörtlich:

    " Wenn ich jetzt anfange, Teilbereiche des Konzerns, ob nun Schenger, ob nun andere Bereiche zu verkaufen oder mit zusätzlichen Investoren von Außen zu schmücken, konterkariere ich damit den Beschluss des SPD Parteitages, der ja genau das nicht wollte. Vor allen Dingen halte ich es ja auch für wirtschaftlich völlig falsch. "

    Nicht anfreunden mit einem Finanzholding-Modell wollen sich auch die Bahngewerkschaften GDBA und Transnet. Allerdings aus ganz anderen Gründen. Der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen

    " Das so genannte Finanzholdingsmodell lässt bei uns die Sorge wachsen, dass dies zumindest ein Einstieg in die Zerschlagung sein könnte, dass dieses Modell die Möglichkeit eröffnet, die im Grundgesetz verankerte Privatisierungsschranke zu umgehen und letztendlich zu einer Vollprivatisierung der Nicht-Infrastrukturbereiche zu kommen. "

    Claudia Kemfert wiederum vom DIW, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, würde am liebsten alles, das Schienennetz inklusive, privatisieren:

    " Bei der Bahnprivatisierung kommt erschwerend hinzu, dass das Netz mit privatisiert werden müsste, um mehr Wettbewerb hier auf den Markt zu bringen. "

    Doch davor ist das Grundgesetz und sein Artikel 87e. Und so warten denn alle darauf, dass Verkehrsminister Tiefensee das berühmte Kaninchen aus dem Zylinder zaubert, nach dem nächsten Koalitionsausschuss am 10. Dezember. Zur Zeit werden wie gesagt - Originalton Tiefensee - noch "alle Lösungen weiter ins Kalkül" gezogen.