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Strafen für Defizitsünder
"Belastung der Wirtschaft zum ungünstigsten Zeitpunkt"

Die EU-Kommission entscheidet heute über Strafen für die Haushalts-Defizitsünder Spanien und Portugal. Der Ökonom Max Otte warnte, beide Länder steckten noch tief in der Krise. Strafen könnten die Wirtschaft in beiden Ländern deshalb belasten, sagte er im Deutschlandfunk.

Max Otte im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 27.07.2016
    Der Ökonom Max Otte
    Der Ökonom Max Otte warnt vor hohen Strafen für Spanien und Portugal. (dpa / picture-alliance / Erwin Elsner)
    Er rechne damit, dass die EU-Kommission Strafen verhänge, um Handlungsfähigkeit zu beweisen. Allerdings könne das negative Folgen für Spanien und Portugal haben: "Wenn wir in die Krise hineinsparen, macht es die Lage erstmal nicht besser", betonte Otte. Die Krise in den Ländern sei noch lange nicht überwunden. "Vielen Menschen dort geht es nach wie vor dreckig."
    Der Ökonom betonte, der Euro und die Eurozone seien falsch konstruiert. Eine Währungsunion sei dann am besten, wenn die Wirtschaften ähnlich funktionierten. Der Druck in der Eurozone sei hoch und da müsse man auch mal ein Ventil öffnen. Deshalb forderte er: "Es muss auch Ferien vom Euro geben."

    Das vollständige Interview:
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich sollte der Euro-Stabilitätspakt Mitgliedsländer, die die Gemeinschaftswährung einführen, dazu anhalten, eine solide Ausgabenpolitik an den Tag zu legen, damit der Euro stabil bleibt. Doch ixmal ist der Pakt bereits gebrochen worden, auch durch Deutschland und Frankreich übrigens. Sanktionen aber wurden noch nie verhängt. Das könnte sich heute ändern. Vor wenigen Wochen hatten die EU-Finanzminister erstmals den Weg dafür freigemacht, und zwar gegen Spanien und gegen Portugal. Doch am Ende könnten beide Länder noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen.
    Am Telefon ist jetzt Professor Max Otte, Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler, Autor des Buchs "Der Crash kommt", Leiter des Instituts für Vermögensentwicklung und unabhängiger Fondsmanager. Guten Morgen, Herr Otte!
    Max Otte: Guten Morgen!
    Heckmann: Herr Otte, wie wahrscheinlich ist es aus Ihrer Sicht, dass die EU-Kommission erstmals Strafen verhängt?
    Otte: Es wird wahrscheinlich schon etwas ausgesprochen werden, aber es kann sein, dass das mehr in Richtung symbolische Strafen geht. Ich glaube schon, dass man bestrebt ist, irgendwas zu tun, um zu demonstrieren, dass man auch was tun kann, was man bis jetzt noch nicht gemacht hat, und das könnte jetzt schon das erste Mal werden.
    "Die Krise ist noch lange nicht überwunden"
    Heckmann: Das heißt eine symbolische Strafe, die auferlegt wird, aber sich im Bereich null Euro bewegt?
    Otte: Selbst das ist möglich, aber vielleicht wird es auch etwas mehr. Aber darum geht es nicht. Es geht ja letztlich darum, dass wir dieses Verfahren haben. Herr Giegold hat eben im Beitrag gesagt, man braucht Regeln, damit der Euro funktioniert, und der Euro funktioniert ja nicht. Und ob wir es mit diesem Strafverfahren, mit diesen Regeln hinbekommen, das sei mal dahingestellt. Beide Länder haben in den 2000er-Jahren massiv von deutschem und nordeuropäischem Kapital profitiert, das ist dahingeflossen. Dann gab es den Immobilienboom und dann gab es das Erwachen und eine große Wirtschaftskrise und beide Länder stecken zutiefst in der Krise, Portugal mit 13 Prozent Arbeitslosigkeit, 28 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Spanien mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit und 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Die Krise ist noch lange nicht überwunden. Vielleicht zeigt das Wachstum etwas nach oben, aber den Menschen in den Ländern oder vielen Menschen geht es nach wie vor dreckig.
    Heckmann: Was wären denn die Folgen, wenn die EU-Kommission ein weiteres Mal mehr oder weniger die Augen zudrückt?
    Otte: Wie gesagt, durch den falsch konstruierten Euro sind diese Länder künstlich hochgepuscht worden in den 2000er-Jahren. Dann kam die große Krise. Wenn wir jetzt Strafen einführen, dann ist das ja letztlich eine Belastung der Wirtschaften zum ungünstigsten Zeitpunkt, genauso wie es jetzt eigentlich schon läuft durch die Konsolidierungsmaßnahmen. Beide Länder haben ja schon Auflagen beziehungsweise beide Länder wurden ermahnt zu konsolidieren, sprich zu sparen, was passiert ist in einem gewissen Rahmen. Diese Notwendigkeit ist auch irgendwie da. Nur wenn wir in die Krise hineinsparen, dann macht das die Sache erst mal nicht besser. Und die Strafen schlagen im Prinzip in dieselbe Richtung. Das heißt eine weitere Belastung der Wirtschaft in einer noch nicht ausgestandenen Krise.
    Heckmann: Es wäre falsch, Strafen auszusprechen, sagen Sie. Sie sagen auch, der Euro ist falsch konstruiert. Aber irgendwie muss man doch auf die Situation reagieren.
    Otte: Ja, das ist richtig, und wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus und dann wird genagelt. Sparen, Sparen, Sparen scheint die Devise zu sein. Es ist in der Tat nicht einfach, weil beide Wirtschaften doch immer noch relativ weit außen vom Rest der Europäischen Union stehen oder zumindest von den Kernwirtschaften. In dieser Misere da jetzt an den Haushaltsausgaben zu kürzen im falschen Moment, ist sicherlich nicht so produktiv. Man müsste wahrscheinlich viel mehr in die Mikrostruktur der Wirtschaft gehen, an Arbeitsmarktreformen, Reformen der Gesetzgebung, in etwa wie das bei uns mit Hartz IV war, vielleicht nicht in diesem Umfang, aber dass man die Wirtschaft flexibilisiert. Dann haben wir vielleicht Chancen. Aber so wird es wahrscheinlich erst mal nichts bringen, wenn wir jetzt Strafen verhängen.
    "Wir müssen grundsätzlich an die Konstruktion des Euros gehen"
    Heckmann: Arbeitsmarktreformen, das sieht man am Beispiel Frankreich, sind äußerst unbeliebt, gerade auch in den südeuropäischen Ländern. Was haben wir davon, wenn eine Regierung nach der anderen darüber stürzt?
    Otte: Ja. Ich meine, die Regierungen sind ja schon umgefallen wie Dominosteine damals im Zuge der Euro-Rettung. Ob da eine eher sozialdemokratische Regierung Richtung rechts kippt, oder eine eher christdemokratische Regierung Richtung Sozialdemokratie. Es sind in vielen, vielen Ländern die Regierungen abgewählt worden, unter anderem auch Spanien, weil diese unbeliebte Euro-Politik da war. Wir müssen wirklich mal überlegen, ob wir grundsätzlich an die Konstruktion des Euros gehen. Die Sorge, die Herr Giegold da geäußert hat, dass irgendwann der Euro nicht mehr funktioniert oder diese Europäische Union, die trage ich mit, denn diese Europäische Union, so wie sie jetzt sich darstellt, ist doch sehr stark von oben herab, von Brüssel, von den Eliten konstruiert, und ob das auf Dauer die richtige Lösung ist, das wage ich sehr stark zu bezweifeln.
    Heckmann: Man muss grundsätzlich an die Konstruktion des Euros herangehen, sagen Sie. Was heißt das konkret aus Ihrer Sicht? Was meinen Sie damit?
    Otte: Die Debatte ist ja etwas abgeflacht. Aber es muss auch Ferien vom Euro geben dürfen. Dieses Dogma der Unumkehrbarkeit, dass wer drin ist mit aller Macht dringehalten wird, das ist aus meiner Sicht Grund falsch. Wir sehen es an Griechenland, wo im letzten Sommer die Diskussion noch mal ausbrach, und da war dann sehr stark schon, ob was passiert, wenn Griechenland jetzt in die Insolvenz geht, und auf einmal ging das, dass wieder 85 Milliarden ohne große Debatte dann im Europäischen Parlament beschlossen wurden und von Europa zur Verfügung gestellt wurden. Es muss auch möglich sein für Länder, die im Moment in dieses System nicht hineinpassen, noch einmal Ferien vom Euro, von der Eurozone zu machen, damit die Spannungen nicht zu groß werden. Gerade weil man diese Länder in der Europäischen Union halten will, weil man den Populismus nicht zu sehr ausufern lassen will, wie das in England passiert ist, wo wir jetzt den Brexit haben, wäre es richtig, das System etwas flexibler zu gestalten, damit es etwas mehr atmen kann.
    Heckmann: Wobei man sagen muss, Herr Otte, dass Großbritannien ja nie Teil des Euroraums gewesen ist. Sie sprechen von Ferien vom Euro. Aber es wurde ja immer die Gefahr beschworen eines Dominoeffekts, dass ein Land nach dem anderen aus der Eurozone herausbricht und am Ende die Eurozone ganz kaputt ist.
    Otte: Das kann man so sehen oder kann man so vertreten, sehe ich natürlich ganz anders. Eine Währungsunion ist dann am besten, wenn die Wirtschaften relativ ähnlich sind und es auch eine Beweglichkeit von Arbeit und Kapital gibt. Das ist um Deutschland herum mit Deutschland-Österreich und Deutschland-Holland auf jeden Fall der Fall. Da gab es ja auch schon vor dem Euro eine Art Währungsunion, weil die Notenbanken dasselbe gemacht haben. Ich sehe es anders. Wir haben einen unglaublichen Druck in diesem System, und das merkt man ja. Natürlich ist England was anderes mit der langen Tradition auch der Eigenständigkeit, aber wir haben einen Druck auf dem Eurosystem und da muss ich in der Lage sein, auch mal ein Ventil zu öffnen. Und für mich ist als Ventil ein derartiges temporäres Ausscheiden aus der Eurozone. Wenn ich den Druck drin behalte in der Hoffnung, dass ich dann die Reformen von oben diktatorisch aus Brüssel hinbekomme, ist das ein sehr gewagtes Spiel.
    Heckmann: Schauen wir mal, ob es dafür politische Mehrheiten gibt. Max Otte war das, der Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler, zur Frage, ob die EU-Kommission Strafen verhängen soll gegen Spanien und Portugal. Herr Otte, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
    Otte: Guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.