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Namibia-Abkommen
Polenz (CDU): Betroffene sollen bei Verteilung der Milliardenhilfen einbezogen werden

Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz hat das Versöhnungsabkommen zwischen Namibia und Deutschland gegen Kritik verteidigt. Um sicherzugehen, dass die Entschädigungszahlungen den betroffenen Herero und Nama zugutekämen, werde das Geld sicher verwaltet. Auch würden sie in geplante Projekte eng einbezogen werden.

Daniel Heinrich im Gespräch mit Ruprecht Polenz | 29.05.2021
Das Bild zeigt den CDU-Politiker Ruprecht Polenz
Die Volksstämme der Nama und Herero sollen zukünftige Projekte mitgestalten, so Ruprecht Polenz im Dlf (picture-alliance / dpa / Kai-Uwe Heinrich TSP)
Namibia und Deutschland haben sich nach fast sechs Jahren Verhandlungen auf ein Abkommen zur Wiedergutmachung über das begangene Unrecht während der deutschen Kolonialzeit verständigt. Deutschland erkennt darin die Kolonialverbrechen im heutigen Namibia als Völkermord an. Auch die namibische Forderung nach einer Entschuldigung des deutschen Staates und die Bitte um Vergebung beim namibischen Staat und den Nachkommen der Opfer werden darin erfüllt. Außerdem haben sich beide Seiten auf Entschädigungszahlungen geeinigt.
Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama (etwa 1904-1907) im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhoek. Die Inschrift laut übersetzt etwa: „Ihr Blut nährt unsere Freiheit“.
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Das Abkommen stößt sowohl auf Zustimmung, als auch auf Kritik. So fühlten sich zum Beispiel einige Opfervertreter der Volksstämme Herero und Nama von den Verhandlungen ausgeschlossen. Ruprecht Polenz (CDU), seit 2015 Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Dialog mit Namibia, sagte dazu im Dlf-Interview, es seien bei allen Verhandlungen Vertreterinnen und Vertreter der Herero und Nama dabei gewesen, aber nicht jede Gruppierung habe einbezogen werden können.
Er habe bei seinen Besuchen in Namibia außerdem immer wieder den Kontakt zu allen Gruppierungen gesucht "und habe ihnen erklärt, was diese Verhandlungen bezwecken sollen, was das Ziel dieser Verhandlung ist, nämlich die Basis zur Aussöhnung zu erarbeiten."
Zu der Befürchtung von Herero- und Nama-Vertretern, von den vereinbarten Entschädigungszahlungen nur kleine Summen zu erhalten, sagte Polenz, Deutschland habe eine Organisation zur Verwaltung dieser Gelder ins Leben gerufen. Sie sei paritätisch besetzt und werde sich für die nächsten 30 Jahre um die Abarbeitung dieser Summe kümmern. Die Projekte, die zukünftig von diesen Geldern finanziert werden sollen, würden außerdem besonders Herero und Nama zugutekommen, so Polenz. Bei der Planung und Ausgestaltung sollten außerdem die Communities mit einbezogen werden. "Es soll nicht über ihre Köpfe hinweg geplant und entschieden werden."

Das Interview in voller Länge:
Daniel Heinrich: Was sagen Sie denn, Herr Polenz, zu den Opfervertretern der Herero, der Nama, die da heute in Windhoek auf die Straßen gegangen sind, die sich sonstig auf der Welt auch noch kritisch gezeigt haben?
Ruprecht Polenz: Es war ja von Anfang an ein Thema, dass sich bestimmte Gruppen der Herero und Nama von den Verhandlungen ausgeschlossen gefühlt haben, weil sie der namibischen Delegation nicht angehört haben. Der Verhandlungsführer der namibischen Seite, Dr. Ngavirue ist ein sehr angesehener Herero in Namibia. Und es waren auch bei allen Verhandlungsrunden Vertreterinnen und Vertreter von Herero und Nama dabei, also die Communities sind einbezogen gewesen, aber eben nicht jede Gruppierung. Insofern überrascht mich jetzt nicht, dass der Ärger, den diese Gruppierungen die ganze Zeit über hatten, jetzt auch noch mal rauskommt.

"Noch vorhandene Wunden heilen"

Heinrich: Sie haben es angesprochen oder wenn ich lese, viele gewählte Opfervertreter waren erst gar nicht mit am Verhandlungstisch vertreten. Hakt es da dann nicht vielleicht am Grundsatz?
Polenz: Nein, es ist erst mal ja eine Schwierigkeit gewesen, wie wird verhandelt? Man kann natürlich diese Verhandlungen nur als Regierungsverhandlung führen, da legt auch die namibische Regierung großen Wert darauf. Und es ist jeweils die Regierung, die ihre Delegation bestimmt. Wir haben natürlich auch der Regierung gegenüber immer zum Ausdruck gebracht, wir möchten vor allen Dingen den damals besonders betroffenen Communities der Herero und Nama in den Verhandlungen adressieren, dass wir um Entschuldigung bitten wollen, dass wir die noch vorhandenen Wunden heilen wollen – und das hat die namibische Regierung eben in dieser Delegation auch widergespiegelt, die mit uns am Verhandlungstisch gesessen hat.
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Ich habe außerdem bei allen Besuchen, die ich in Namibia gemacht habe, es waren insgesamt vier in den fünfeinhalb Jahren, auch zu diesen Gruppen den Kontakt gesucht und mit praktisch allen auch gesprochen, mit beiden Völkermordkomitees, mit Herrn Rukoro, mit Frau Hoffmann und habe ihnen erklärt, was diese Verhandlungen bezwecken sollen, was das Ziel dieser Verhandlung ist, nämlich die Basis zur Aussöhnung zu erarbeiten. Also wir haben, ich glaube, auch die namibische Regierung hat viel getan, auch diese Gruppierung einzubinden. Man darf vielleicht nicht übersehen, dass manches auch auf innernamibische politische Machtkämpfe hindeutet, die sich dann eben auch an dieser Frage entzünden.
Heinrich: Eine Sache vielleicht zur Erklärung, Herr Rukoro, den Sie ansprechen, Vekuii Rukoro, ist einer der Vertreter der Herero. Und er hat jetzt sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur unerwünschten Person erklärt. Das kann Sie doch nicht zufrieden stellen?
Polenz: Nein, natürlich nicht, ich glaube aber vor allen Dingen, dass es auch die namibische Regierung, den Präsidenten und das Parlament nicht zufrieden stellt. Das ist aber eine Frage, die man in Namibia untereinander diskutieren muss. Wir haben ja auch in Deutschland ab und zu Äußerungen im Netz oder sonst wo, wo irgendwelchen Besuchern gegenüber gesagt wird, der wäre besser zu Hause geblieben. Das muss man jetzt auch nicht zu ernst nehmen. Ich würde mir allerdings schon wünschen, dass auch Herr Rukoro und vor allen die, die sich durch ihn vertreten fühlen, ich weiß nicht, wie viele das sind, sich das Abkommen einmal genauer anschauen, um zu sehen, ob die Kritik, die sie äußern, tatsächlich berechtigt ist.

Polenz: Namibischer Regierung auch Vertrauen

Heinrich: Es soll ja, das habe Sie auch schon erwähnt, im Kern darum gehen – natürlich –, den betroffenen Bevölkerungsgruppen zu helfen in den kommenden Jahren. 1,1 Milliarden Euro lesen wir, über 30 Jahre. Wenn das mal runterbricht, ist das nicht wirklich viel Geld. Wie wollen Sie denn eigentlich ganz sicherstellen, dass das Geld auch wirklich bei denjenigen ankommt, die es verdient haben, und nicht irgendwo versickert?
Polenz: Das Geld ist in etwa dieselbe Summe, die Namibia seit 1989 in den letzten 30 Jahren als Entwicklungshilfe von Deutschland bekommen hat. Und ich habe mir auch diese Verhandlungen noch mal angeschaut in der einen oder anderen Runde, die Protokolle. Und da ging es immer auch um die Frage, hat Namibia es denn geschafft, die jeweils zur Verfügung gestellten Mittel in die Projekte auch tatsächlich zu übersetzen, die Projekte rechtzeitig zu planen, fertigzustellen.
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Und diese sogenannte Absorptionsfähigkeit der namibischen Gesellschaft, des namibischen Staates spielt natürlich auch eine Rolle bei dem, was wir besprochen haben. Und da ist, wenn das jetzt zusätzlich zu den bisherigen Geldern der Entwicklungshilfe kommt, sicherlich mit der Summe, die jetzt zur Verfügung stehen wird die nächsten 30 Jahre, auch ein große Auslastung der namibischen Kapazitäten, diese Projekte auch tatsächlich fertigzustellen, die geplant sind, die vorgesehen sind, gegeben.
Und was die Einbeziehung der betroffenen Communities angeht, sind das zwei Aspekte: Einmal sollen die Projekte in den Regionen, das sind sieben genau benannte Regionen, realisiert werden, in denen hauptsächlich Herero und Nama leben. Also, wenn dann ein Berufsschulzentrum errichtet wird, kommt es dann hauptsächlich den jungen Herero und Nama zugute. Und außerdem ist vorgesehen, dass die betroffenen Communities bei der Planung, bei der Ausgestaltung eng einbezogen werden sollen, es soll nicht über ihre Köpfe hinweg geplant und entschieden werden, auch das steht in dem Dokument, was wir paraphiert haben und was die Außenminister in der nächsten Woche unterschreiben werden.

"Partizipation der damals besonders betroffenen Gruppen"

Heinrich: Hintergrund meiner Frage war auch deswegen, weil Herero und Nama mutmaßlich als Minderheiten vielleicht die Befürchtung hegen, dass sie nicht ganz zum Zuge kommen – und das sollte ja eigentlich der Sinn des Ganzen sein.
Polenz: Diese Befürchtung habe ich auch oft in Namibia gehört, das ist auch der Grund, weshalb wir eine Organisation zur Verwaltung dieser Gelder ins Leben rufen – losgelöst von der bisherigen Entwicklungshilfe –, nur für die Abarbeitung dieser Summe über die nächsten 30 Jahre, die paritätisch auch besetzt sein wird, wo Deutschland eng dabei ist.
Und wie gesagt, wir haben eben auch diese Regionen benannt und damit eine weitere Zweckbestimmung vorgenommen, und die Partizipation der damals besonders betroffenen Gruppen. Also ich glaube, man sollte der Regierung jetzt auch etwas Vertrauen entgegenbringen, ich meine jetzt der namibischen Regierung, dass sie zu ihrem Wort steht, was sie in dieser Erklärung jetzt auch unterschreibt und abgibt.
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Heinrich: Der deutsche Außenminister Heiko Maas, Herr Polenz, hat davon gesprochen, dass es das dunkelste Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte gewesen sei. Mindestens 75.000 Tote, lesen wir. Dann aber der Hinweis, über den ich gestolpert bin, das Ganze sei jetzt als historische und nicht als juristische Einigung zu sehen. Warum denn eigentlich nicht?
Polenz: Wir haben keine außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen oder Ähnliches geführt, weil die Frage keine Rechtsfrage ist, sondern eine politisch-moralische Frage. Und Deutschland möchte sich seiner politisch-moralischen Verantwortung stellen. Das Ergebnis ist eine joint declaration, also eine gemeinsame Erklärung, in der dann eben das beschrieben ist, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Und natürlich ergeben sich dann daraus Verpflichtungen, die Deutschland in dieser Erklärung ja auch beschrieben hat.
Aber wie gesagt, das ist kein völkerrechtlicher Vertrag, es bedarf also auch beispielsweise im Deutschen Parlament keiner Ratifizierung. Ich gehe aber davon aus, dass sich der Bundestag mit der Angelegenheit beschäftigen wird, vielleicht auch mit einer eigenen Resolution.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.