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Straßburgs neue Bürgermeisterin
Neuer Politikstil und grüner Wandel

Die neue Straßburger Bürgermeisterin heißt Jeanne Barseghian, eine 39-jährige Grüne mit einem deutschen Partner. Sie hat mit ihrer Stadt nun einiges vor, trotz Corona und der Wirtschaftskrise. Erste Maßnahmen sind eher symbolisch - treffen im Elsaß aber nicht nur auf Zustimmung.

Von Anne Françoise Weber | 18.08.2020
Sie will Straßburg verändern - die neue Bürgermeisterin Jeanne Barseghian
Sie will Straßburg verändern - die neue Bürgermeisterin Jeanne Barseghian (www.imago-images.de/ Abdesslam Mirda)
Der Weg ins Büro der Bürgermeisterin führt zu einem Hochhaus aus den 1970er-Jahren, dem Sitz der Stadtverwaltung von Straßburg. Im Hochparterre warten Menschen auf einen Termin, um einen neuen Ausweis oder eine Geburtsurkunde zu bekommen.
Im 1. Stock hat Jeanne Barseghian ihr Büro – keine Selbstverständlichkeit, denn ihr Vorgänger Roland Ries saß noch viel weiter oben, im 9. Stock. Die 39-Jährige mit dem Lockenschopf lacht, als sie auf diese Büroverlegung angesprochen wird:
"In die Höhe zu gehen, wenn man mit dem OB reden muss, finde ich kein gutes Symbol. Es ist sehr vertikal. Mit meinem Team möchten wir stärker horizontal mit anderen Menschen zusammenarbeiten. In Frankreich gibt es sehr viel Misstrauen den Politikern gegenüber und meiner Meinung nach muss man diese Verbindung wieder schaffen."
Kürzung in eigener Sache
Das tut die grüne Politikerin auch, indem sie mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt und sich einfach auf der Straße ansprechen lässt. Einen neuen Politikstil will Jeanne Barseghian verkörpern – dafür hat sie auch ihre eigenen Bezüge und die ihres Stellvertreters gekürzt, um das Geld auf andere Mitarbeiterinnen zu verteilen.
Europa, das merkt man Jeanne Barseghian an, ist keine abstrakte Vorstellung für sie, sondern gelebte Realität. Studiert hat sie Internationales Recht und Umweltrecht in Paris, Münster, Berlin und Straßburg, ihr Lebensgefährte ist Deutscher. Aber: Barseghian ist in der Nähe von Paris aufgewachsen, die Mutter stammt aus der Bretagne, der Vater hat armenische Vorfahren. Ist das kein Nachteil im Vergleich zu ihren elsässischen Vorgängern, die die komplizierte Identität dieser Region mit ihrer bewegten deutsch-französischen Geschichte von innen kannten?
"Ich habe das nie als ein Problem gesehen, weil ich denke, das gehört auch zur Identität von Straßburg, diese Vielfältigkeit und Multikulturalität. Die Menschen kommen aus ganz Europa, aus der ganzen Welt - und ich denke, das ist genau der Reichtum von Straßburg."
Kein Gratis-Parken, kein Weihnachtsbaum?
Noch längst nicht alle Menschen erkennen die neue Bürgermeisterin auf der Straße. Ihr Amt hat sie coronabedingt erst im Juli angetreten. Diejenigen, die ihre Politik verfolgen, beurteilen sie ganz unterschiedlich:
"Wir finden die ersten Maßnahmen sehr positiv, sie ist sehr sympathisch - alle Einzelhändler hier am Platz der Kathedrale unterstützen unsere neue Bürgermeisterin. Und ihr ganzes Team ist wirklich gut – wir sind hocherfreut."
"Ich finde, sie tut nicht viel für den Einzelhandel im Stadtzentrum von Straßburg. Sie schafft das zweistündige kostenlose Parken ab und ich weiß, dass es sehr viele Veränderungen beim Weihnachtsmarkt geben soll. Ich habe gehört, dass sie den großen Weihnachtsbaum am Place Kléber abschaffen will. Der ist wirklich weltberühmt, das wäre sehr schade. Und dass sie das Bettelverbot in der Innenstadt aufhebt, ist auch eine große Dummheit. Also bislang nichts Positives."
"Was sie macht, ist gut. Sie scheint Mitgefühl mit den Obdachlosen zu haben - ich habe den Eindruck, sie will uns helfen, das finde ich gut. Wenn ich mich nicht irre, dann hat sie gesagt: Man muss nicht gegen die Armen kämpfen, sondern gegen die Armut. Außerdem ist sie wohl von den Grünen – ich glaube, es wird der Stadt und allen hier guttun, mal eine Bürgermeisterin mit einem neuen Stil zu haben."
"Wissen Sie, mit 82 ist Radfahren nicht so einfach. Bisher sind wir mit dem Auto gefahren. Weil sie sehr umweltbewusst ist, will sie Dieselfahrzeuge abschaffen und so weiter. Ich verstehe nicht, was die alten Leute jetzt machen sollen – mit dem Bus fahren und sich dabei das Coronavirus oder etwas anderes holen? Das ist nicht besonders gut."
"Jeder Wandel braucht Zeit, Pädagogik und sehr viel Debatte"
Tatsächlich hat Barseghian vor, die Autos noch stärker aus der Innenstadt zu verbannen. Allerdings hat sie schon einen ersten Kompromiss geschlossen und das Gratisparken immerhin noch bis zum Ende des Sommerschlussverkaufs verlängert. Konfrontativ will sie nicht regieren, versichert sie:
"Natürlich braucht jeder Wandel Zeit, Pädagogik und sehr viel Debatte. Es geht nicht darum, alles einseitig umzusetzen, sondern die Lösungen zusammen mit allen Beteiligten zu bauen. Wir müssen es erklären, wir müssen es Schritt für Schritt machen, aber wir müssen auch vorangehen."
Denn die Zeit dränge, gerade in Umweltfragen – deswegen hat sie, wie andere grüne Bürgermeister, in ihrer Stadt den Klimanotstand ausgerufen. Neben ökologischen sind aber auch sozialen Fragen wichtig für Barseghian:
"Wenn man nur im Stadtzentrum läuft, denkt man vielleicht, dass Straßburg eine attraktive, reiche Stadt ist. Und wenn man ein bisschen in der Umgehung läuft, sieht man sofort, dass es diese sehr großen Unterschiede gibt. Wenn es ein Stadtviertel gibt – und dafür habe ich leider mehrere Beispiele -, in dem es keinen Nahverkehr, keine Läden, keinen Markt und keine Bank gibt, dann muss die Stadt unbedingt da prioritär investieren."